Alter! Wie sind wir gepflegt? 2
Bau von Alternativen Wohnformen
Oberösterreich ist im Bundesländervergleich bei den Heimplätzen im oberen Level. Daher wurde im März über alle Parteien hinweg entschieden, keine zusätzlichen Heimplätze mehr und dafür Alternativen für die Pflege zu schaffen. Bis 2025 sollen 1.200 „Alternative Wohnformen“ zur Verfügung stehen. Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer rechnet damit, dass man bis zum Herbst erste finale Entscheidungen treffen könne. Außerdem werden die mobilen Dienste aufgestockt: „Wir wollen dem Wunsch nach Pflege zu Hause gerecht werden.“ Im Jahr 2016 absolvierten die mobilen Dienste und die Hauskrankenpflege rund 1,6 Millionen Leistungsstunden. Bis 2025 rechnet man mit einem Anstieg auf etwa 1,9 Millionen. Angesprochen auf die aktuelle Situation im Bereich der Pflege in Oß sagt Gerstorfer: „Wir sind grundsätzlich gut aufgestellt. Wir haben zuletzt bei allen pflegebedürftigen Personen rasch eine Lösung gefunden.“ Als positives Beispiel nennt sie die Kursana Seniorenresidenz in Linz. Das Heim wurde Ende März geschlossen, innerhalb kürzestes Zeit habe man für die 126 Bewohner neue Plätze gefunden. Im Mai gab es in Oß 250 leere Heimplätze. Im Durchschnitt müssten pflegebedürfte Menschen bis zu drei Monate auf einen Heimplatz warten. Kritik gibt es von der SP-Landesrätin zum Thema Pflege in Richtung Regierung: „Wenn der Trend dahin geht, dass auf andere immer mehr Druck ausgeübt wird, nur mehr Leistung zählt, dann wird der Druck auf die Sozialbranche immer höher.“ Leidtragenden seien die Menschen, die Betreuung brauchen, sowie die Pflegekräfte.
Viele Baustellen
Judith Schober machte 2001 das Diplom und arbeitete lange Zeit in der Geriatrie. Später absolvierte Schober die Ausbildung für Gedächtnistraining und spezialisierte sich immer mehr auf mobile Gedächtnistrainings und Angehörigenberatung: „Es gibt in diesem Bereich viel zu wenig leistbare Angebote. Viele ältere Menschen sind nicht mehr mobil und auch die 24h-Betreuungskräfte wissen oft zu wenig über Gedächtnistrainings.“
Mit einfachen Dingen wie etwa Zeitungsartikeln könne man aber bereits gutes Gedächtnistraining machen und damit den Pflegebedürftigen helfen, möglichst lange einigermaßen selbstständig zu bleiben. Es gebe auch gute Maßnahmen, um ältere Menschen für Trainings zu motivieren.
Schober habe in den unterschiedlichen Bereichen der Pflege viele Dinge mit ßnderungsbedarf gesehen. „Die Aufgaben für das Pflegpersonal werden immer mehr, aber die Entlohnung steigt trotzdem nicht.“ Das Personal sei zunehmend überfordert. Die Dokumentationspflichten würden mehr werden, der ßrztemangel zusätzliche Aufgaben auf das Pflegepersonal abwälzen und dazu komme der akute Pflegekräftemangel. „Für die pflegebedürftigen Menschen bleibt immer weniger Zeit, die Pflegekräfte können nicht mehr ausreichend auf deren Bedürfnisse eingehen.“ Es fehle auch an finanziellen Mitteln, daher werden oft Trainings über längerem Zeitraum unterbrochen, was sich negativ auf die Qualität des Trainings auswirkt. Für pflegende Angehörige sieht Schober vor allem in kleinen Gemeinden Bedarf nach mehr Anlaufstellen zum Thema.
„Wir wollen dem Wunsch der Menschen nach Pflege zu Hause gerecht werden.“
Birgit Gerstorfer
Soziallandesrätin, Landesregierung Oberösterreich
„Für die pflegebedürftigen Menschen bleibt immer weniger Zeit, die Pflegekräfte können nicht mehr ausreichend auf deren Bedürfnisse eingehen.“
Judith Schober
Dipl. psychiatrische Gesundheits- und Krankenschwester und mobile Gedächtnistrainerinhober / Dipl. psychiatrische Gesundheits- und Krankenschwester und mobile Gedächtnistrainerin
ßberblick
Pflege-Lehre Die Oß Landesregierung setzt sich für die Einführung eines eigenen Lehrberufs (mehr auf S. 113) ein. Die Interviewpartner begrüßen das. „Wir verlieren derzeit viele junge Menschen, da man erst ab 17 Jahren in der Pflege arbeiten kann“, sagt Heimleiterin Wiesinger. Für die Arbeit müsse man soziale Kompetenz mitbringen, diese sei unabhängig vom Alter. Fachgruppenobfrau Viktoria Tischler und Soziallandesrätin Gerstorfer betonen, dass man den Ausbildungsplan so adaptieren müsse, dass die jungen Menschen mit gewissen Themen, wie dem Tod, erst später in Kontakt kommen. Gerstorfer plädiert überhaupt dafür, einen dreijährigen Lehrgang „Junge Pflege“ zu schaffen. Dafür brauche man keine Gesetzesänderung auf Bundesebene, das würde durch eine ßnderung des Oß Sozialberufegesetzes gehen.
Pflegeregress Seit 2018 ist der Pflegeregress, mit dem zuvor auf das Vermögen von Pflegebedürftigen beim Eintritt in ein Alten- und Pflegeheim zurückgegriffen wurde, Geschichte. Nach einigem Hin und Her haben sich Bund und Länder über die Finanzierung geeinigt. Viktoria Tischler begrüßt das neue Gesetz: „Bisher gab es da eine Ungleichheit. Wer auf Pflege angewiesen ist, muss sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen können.“ Das Gesetz habe sich laut Landesrätin Gerstorfer in Oß regional unterschiedlich ausgewirkt, aber insgesamt komme man mit den bestehenden Ressourcen aus: „Anfangs gab es ein wenig eine Hysterie, aber es hat sich alles wieder gut eingestellt.“
Heimplatz Als zweite ßnderung bekommen seit 2018 in Oß nur mehr Leute mit mindestens Pflegestufe vier einen Heimplatz. Gesetzlich ist das bereits vorher so geregelt gewesen, in Oß gab es eine „liberalere Vorgehensweise“. 28 Prozent aller Heimbewohner haben aktuell eine Pflegestufe unter vier. Gerstorfer versichert, dass „niemand aus einem Heim geworfen werde“, auch zukünftig pflegebedürftige Menschen mit bestimmten Krankheitsbildern, die man nicht zu Hause betreuen kann, einen Heimplatz bekommen werden.
Angebot der sozialen Krankenkasse
Viele Familien seien auf plötzliche Pflegefälle in der Familie nicht vorbereitet, sagt Wilfried Giegler, Abteilungsleiter im Kundenservice der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OßGKK). Die OßGKK bietet den Versicherten und ihren Angehörigen Beratung zum Thema „Case Management“ an. Da bekomme man mit, dass teilweise massive Belastungen auf Versicherte und Angehörige zukommen, wenn die Aufnahme in ein Alten- oder Pflegeheim nicht funktioniert oder der Zugang zu diesen erschwert wird, wie es etwa Anfang des Jahres mit der Anhebung der Pflegestufe auf vier als Voraussetzung für einen Heimplatz passiert sei.
Neben der Beratung hat die soziale Krankenkasse noch zwei andere Berührungspunkte mit dem Thema Pflege: Es werden Sachleistungen, wie etwa Krankenbetten, zur Verfügung gestellt sowie die medizinische Hauskrankenpflege finanziert. Letztere müsse vom behandelnden Arzt angeordnet werden. Seit einigen Jahren bietet die OßGKK für pflegende Angehörige ein spezielles Kurangebot an. Dazu Giegler: „Angehörige können sich eine dreiwöchige Auszeit von der schweren Belastung durch die Pflege nehmen.“ Das Angebot wird gemeinsam mit der Caritas organisiert, die sich während der Kur um die Versorgung der Pflegefälle kümmert.
„Viele Familien sind auf plötzliche Pflegefälle in der Familie nicht vorbereitet.“
Wilfried Giegler
Abteilungsleiter im Kundenservice der OßGKK
Tageszentrum als Angebot zwischen 24h-Pflege und Altenheim
Um die steigende Anzahl der pflegebedürftigen Menschen auch zukünftig versorgen zu können, wird immer wieder die Schaffung von neuen Modellen der Betreuung gefordert. Als eine noch relativ neue Form gelten die Mehrgenerationenhäuser, wo Jung und Alt mit verschiedenen Betreuungsangeboten unter einem Dach leben. Eines wurde 2003 in Oberneukirchen eröffnet. Mittlerweile sind im „Lebenshaus“ drei Wohnungen für Familien, zwei Wohngruppen für Menschen mit Beeinträchtigung, ein Eltern-Kind-Zentrum, neun betreubare Wohnungen und ein Tageszentrum für ältere Menschen untergebracht. Die beiden Letzteren werden vom Hilfswerk betreut.
Das Interesse am Tageszentrum als ein „Angebot zwischen 24h-Pflege und Altenheim“ ist laut Leiterin Anneliese Bräuer groß: „Es entlastet die pflegenden Angehörigen und bringt gleichzeitig Abwechslung in das Leben älterer Menschen. Die Personen kommen raus aus den eigenen vier Wänden, können sich austauschen und haben im Haus Kontakt mit unterschiedlichen Generationen.“ Das Tageszentrum hat zwei Mal in der Woche geöffnet, das Programm ist vielfältig, reicht von Gedächtnistrainings, körperlichen ßbungen, Kochen bis hin zu Ausflügen und richtet sich auch nach den Bedürfnissen und dem Gesundheitszustand der Teilnehmer. Aktuell besuchen laut Bräuer rund zwölf bis fünfzehn Menschen, deren Pflegstufe von 0 bis 5 reicht, regelmäßig das Tageszentrum. Häufig würden auch Menschen das Angebot in Anspruch nehmen, die wegen einer Vorstufe zur Demenz plötzlich nicht mehr alleine gelassen werden können “ überhaupt sei Demenz ein Thema, wofür mit der MAS Alzheimerhilfe zusammengearbeitet werde. Für Bräuer ist es eine Betreuungsform der Zukunft, weil sie flexibel genutzt werden kann und man den älteren Menschen dabei so viel Hilfe wie nötig anbietet und gleichzeitig so viel Selbstständigkeit wie möglich lässt.
„Das Tageszentrum entlastet die pflegenden Angehörigen und bringt gleichzeitig Abwechslung in das Leben älterer Menschen.“
Annelise Bräuer
Leitung, Lebenshaus Oberneukirchen
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