Wach auf, Österreich! 3
Reglementierung an den falschen Stellen
Wo an manchen Stellen überreglementiert wird, gibt es an anderen Stellen zu wenig Beschränkungen. Die Rede ist vom Bildungssystem. Der Fachkräftemangel ist längst am Arbeitsmarkt angekommen “ und er ist gekommen, um zu bleiben. Die demographische Entwicklung zeigt, dass wir eine alternde Bevölkerung sind. Natürlich hat das Bildungssystem keinen Einfluss auf die demographische Entwicklung und es wird auch das Problem des Fachkräftemangels nicht alleine lösen können. Aber das Bildungssystem verfügt noch über einiges an Potential, um Teil der Lösung zu sein. „Bis auf wenige Ausnahmen kann man in ßsterreich immer noch alles studieren, was man möchte. In Summe gibt es für zu wenige Studienrichtungen Aufnahmeprüfungen oder andere Lenkungsmaßnahmen. Stattdessen gibt es immer noch Knock-out-Prüfungen. Deshalb haben wir auch so hohe Drop-out-Quoten und lange Studienzeiten“, sieht Haindl-Grutsch erheblichen Verbesserungsbedarf. Einerseits bleiben diese Menschen dem Arbeitsmarkt über Jahre hinweg fern und andererseits wird dadurch in manchen Bereichen ein ßberangebot an Arbeitskräften produziert. Daher fordert Haindl-Grutsch: „Hier müssen mehr Regeln gesetzt werden, um das Bildungssystem effizienter zu machen!“ Als Zukunftsforscher auf dem Fachgebiet „Zukunft der Arbeit“ hat auch Franz Kühmayer diese Entwicklungen im Blick: „Im Bereich der Bildung sind die skandinavischen Länder die internationale Benchmark. Besonders das finnische Bildungssystem wird immer wieder als Vorbild herangezogen. Während in ßsterreich immer noch der Spruch „Herkunft ist Zukunft“ gilt, ist die soziale Durchlässigkeit in Finnland wesentlich höher. Soll heißen: Das Bildungssystem reproduziert dort die soziale Herkunft nicht so stark.“ Bei Vergleichen mit anderen Regionen sei allerdings Vorsicht geboten, denn die Kopie eines guten Konzepts ist kein Erfolgsgarant. „Der Zusammenhang mit der lokalen Kultur ist ein entscheidender Faktor, der in die Gleichung miteinbezogen werden muss. Man muss sich immer fragen: Welche Denkhaltung liegt einem guten System zugrunde? Und wie würden wir diese Denkhaltung durch unsere Brille interpretieren? Nur so kann man analysieren, welche Aspekte sich davon überhaupt sinnvoll auf unseren Lebensraum übertragen lassen.“
„Wir brauchen internationale Vernetzung. Wer glaubt, dass man die Zukunft von ßsterreich in ßsterreich entscheiden kann, denkt nicht weit genug.“
Franz Kühmayer
Trendforscher am Zukunftsinstitut, Schwerpunkt „Zukunft der Arbeit“
Jemand, der hautnah von den Besonderheiten des finnischen Bildungssystems berichten kann, ist Michael Schernthaner. Nachdem er von seinem Studium in ßsterreich nicht sonderlich begeistert war, hat er zusätzlich ein Studium in Finnland absolviert: „Für mich war das eine unglaubliche Erweiterung des Horizonts. In ßsterreich wird noch immer sehr mechanisch gelernt und schablonenhaft ausgebildet. Die Finnen haben eine ganz andere Herangehensweise. Der Fokus liegt viel mehr darauf, unterschiedliche Lösungswege für Aufgabenstellungen zu finden und Aufgabenstellungen nicht nach Schema F zu lösen. Insgesamt fördert das finnische Bildungssystem soziale Kompetenzen und individuelle Fähigkeiten viel stärker.“ Doch was kann sich ßsterreich davon konkret abschauen? „Wir sollten von diesem generalisierten Gesamtunterricht weggehen und einen Schritt in Richtung eines individualisierten Unterrichts machen. Man sollte schon viel früher die Möglichkeit von freien Wahlfächern bieten, die Kinder darauf vorbereiten, agil zu arbeiten und verstärkt Social Skills vermitteln. Fachliche Defizite kann man nämlich als Unternehmen in drei bis fünf Jahren ausgleichen “ für persönliche Defizite reicht nicht einmal ein ganzes Leben aus“, so Schernthaner.
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