Was fehlt uns denn?
Oft fehlt uns mehr, als wir denken. Nur wissen wir es nicht. Oder wollen es jedenfalls nicht wissen – denn meist zeigt uns der Körper schon längst, dass etwas nicht in Ordnung ist. Aber wer hat bei all dem Stress schon Zeit, auch noch darauf zu hören? Warum wir die ersten Warnsignale nicht ignorieren sollten und was Präventivmedizin bewirken kann: Medizinerin Sabine Wied-Baumgartner über ihre Leidenschaft, chronischen Erkrankungen auf den Grund zu gehen.
Es ist schon spät. Die letzten beiden Patientinnen sind gerade zur Tür hinaus, jetzt wird es ruhig in der Wahlarztpraxis am Taubenmarkt in Linz. Sabine Wied-Baumgartner lehnt sich zurück und atmet erst einmal tief durch. Es waren wieder viele Menschen, die sie beim Gesundwerden und Gesundbleiben unterstützte. Und jeden versucht sie individuell zu behandeln – dazu kombiniert die Ärztin die klassische Schulmedizin mit Mesotherapie, Infusionstherapie, Akupunktur und vielen anderen Behandlungsformen. Eines macht sie aber bei allen Patient:innen gleich: Sie therapiert nicht die Symptome, sondern setzt an der Ursache an.
Besser zu früh als zu spät
„Leider kommen die Menschen oft sehr spät zu mir, wenn die Alarmglocken schon laut schrillen“, erzählt Wied-Baumgartner. Dabei hätte unser Körper eigentlich ein ziemlich gutes Frühwarnsystem; nur leider nehmen wir dieses kaum wahr. „Der Bauch ist gebläht, der Magen schmerzt, der Blick in den Spiegel zeigt Veränderungen, man ist ständig müde, schläft nicht gut, leidet unter Verspannungen oder nimmt plötzlich an Gewicht zu, ohne seine Ernährungsgewohnheiten geändert zu haben.“ Das alles können Zeichen sein, dass irgendetwas im Körper nicht 100-prozentig in Balance ist. Und genau das sei der richtige Zeitpunkt, um zu schauen, was dahinter steckt. „Das ist dann meine Aufgabe als Ärztin. Dazu lasse ich zunächst meist ein großes Blutbild machen, manchmal kommt man auch mit einer Stuhluntersuchung der Ursache auf den Grund. Und dann überlegen wir uns eine Strategie, wie man wieder zu seiner vollen Leistungsstärke und Lebensqualität kommt“, erklärt die Ärztin für orthomolekulare Medizin.
Ein geschärftes Frühwarnsystem und das rasche Reagieren seien nicht nur für die Patient:innen selbst von größtem Vorteil, um schwerwiegenderen Krankheiten vorzubeugen, sondern auch für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft. „Nichts ist teurer als ein Krankenhausbett“, so Wied-Baumgartner. Abgesehen davon: Wer will schon ins Krankenhaus? Doch dann ist da noch die Sache mit der Eigenverantwortung. „Manche Menschen würden gern die komplette Verantwortung für ihre Gesundheit beim Arzt oder bei der Ärztin abgeben und hoffen dann einfach auf eine Tablette, die das schon wieder richten wird“, erzählt Wied-Baumgartner. Doch das sei kein Lösungsweg, ist sie überzeugt. Wer gesund sein möchte, hat vieles dazu auch selbst in der Hand. „Jüngere Generationen haben das meist schon gut verstanden. Die haben bereits ein ganz anderes Bewusstsein dafür.“
Das große Ganze
Einfach so mal auf Verdacht ein paar Nahrungsergänzungsmittel einwerfen und hoffen, dass man damit schon richtig liege, mache hingegen keinen Sinn, warnt die Ärztin. „Manchmal kommen die Leute tatsächlich mit einem Sackerl voll mit unzähligen Kapseln, die sie täglich einnehmen.“ Doch unreflektiert ohne Laborbefund Supplements einzunehmen, sei wenig zielführend. „Ich bin eine Verfechterin für komplementäre Zufuhr, weil die Ernährung allein nicht mehr ausreicht, um uns ausreichend mit Nährstoffen zu versorgen“, so Wied-Baumgartner. So würden die meisten Menschen, die viel Stress im Alltag haben, zusätzlich Magnesium brauchen, auch mit Zink und Vitamin D seien viele unterversorgt. Und eben dieser Mangel könne auf Dauer zur Belastung werden: „Immer wieder habe ich Patient:innen, die schon Antidepressiva verschrieben bekommen haben, und kein Mensch hat sich etwa deren Eisenstatus angesehen.“ Denn auch Eisenmangel könne zu Konzentrationsschwäche und depressiven Verstimmungen führen. „Nicht alles ist eine Depression, man kann auch down sein, weil einem Mineralstoffe fehlen.“
Mit unserer Gesundheit ist es vielleicht ähnlich wie mit Unternehmen. Damit es rund läuft, müssen alle zusammenarbeiten, genügend Ressourcen zur Verfügung stehen und Mängel möglichst rasch behoben werden. Am Anfang ist es vielleicht nur ein Zwicken im Bauch, irgendwann wird es – unerkannt – zu einem Problem. „Und das erkennt man nur, wenn man sich das große Ganze anschaut. Den ganzen Menschen, nicht nur das Symptom.“_
Und dann überlegen wir uns eine Strategie, wie man wieder zu voller Leistungsstärke kommt.
Sabine Wied-Baumgartner
Ärztin für orthomolekulare Medizin
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