„Regionalisierungsträumereien sind der falsche Weg“
Jeder zweite Arbeitsplatz in Oberösterreich ist vom Export abhängig. ßber ein Viertel aller österreichischen Ausfuhren stammen aus Oberösterreich, dem führenden Exportbundesland. Doch wie hat sich die Coronakrise auf die Exportwirtschaft ausgewirkt? Und wie gelingt ein erfolgreiches Comeback? Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich, über einen erfolgreichen Restart, Zuversicht und Vertrauen und darüber, warum der Bauernmarkt am Südbahnhof nicht die Weltbevölkerung ernähren kann.
Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie die dramatischen Bilder aus Wuhan in den Medien gesehen haben?
Haindl-GrutschIch fürchte, wir haben das Virus am Anfang alle unterschätzt. In der westlichen Welt wurde darauf zu nachlässig reagiert, weil man es für ein regionales Problem hielt. Das hat zum Shutdown geführt, obwohl Pandemiepläne in den Schubladen der Staaten vorhanden waren. Ich hatte ein Papier aus Deutschland aus dem Jahr 2012 in Händen, worauf die exakte Vorgehensweise bei einer Pandemie zu lesen war. Das Wissen hätte man gehabt, aber ich fürchte, die Folgen und das Ausmaß von Corona waren nicht bewusst.
Also hätte man einen totalen Lockdown verhindern können?
Haindl-GrutschDer komplette Shutdown aller Industriestaaten dieser Welt war das Worst-Case-Szenario für die Weltwirtschaft. Es wäre wohl besser gewesen, früher und dafür differenzierter mit regionaler Eindämmung sowie Schutz-, Distanz- und Hygienemaßnahmen zu reagieren. Und nicht die Weltwirtschaft zuzusperren. Aber im Nachhinein redet es sich immer leicht, vor drei Monaten war der Wissensstand ein anderer.
ßsterreich verzeichnet seit 1995 eine positive Exportentwicklung. Wie wird sich das Exportvolumen in den nächsten Jahren entwickeln?
Haindl-GrutschDas ist davon abhängig, wie weltweit der Restart gelingt. Wir hängen von den Weltmärkten ab. Wenn also zeitnah global wieder eine Rückkehr zu normalen Handelsbeziehungen möglich ist, dann wird sich auch der Export sehr rasch erholen, im positivsten Fall werden wir in zwei, drei Jahren wieder auf einem Niveau wie vor der Krise sein. Aber da liegen noch viele Hürden dazwischen.
„Ohne globale Wertschöpfungsketten geht es nicht.“
Joachim Haindl-Grutsch
Geschäftsführer, Industriellenvereinigung
Welche Hürden meinen Sie und wie kann man diese am besten überwinden?
Haindl-GrutschAm Ende des Tages ist Wirtschaft Konsum. Für Konsum und einen globalen Rebound braucht man Zuversicht und Vertrauen. Die Politik hat nun die Aufgabe, für Bürger und Unternehmen ein „Zuversichtspaket“ zu schnüren, damit wieder investiert und konsumiert werden kann: Steuerliche Anreize, wie eine Steuerreform oder eine Senkung der Lohnnebenkosten lassen mehr Geld in der Geldbörse. Diverse Technologie- und Investitionsförderungen für Unternehmen kurbeln die Wirtschaft an. Durch Deregulierung und Bürokratieabbau können Projekte schneller umgesetzt werden und alles, was jetzt die Wirtschaft wieder knebeln würde und bei den Konsumenten zu Misstrauen führt, soll verhindert werden: Steuererhöhungen, Sparpakete oder etwa Investitionsbehinderungen von Unternehmen. Jetzt neue Steuern wie etwa Vermögenssteuern einzuführen, wäre fatal. Unsere wichtigsten Exportländer sind Deutschland, die USA, Italien und China. Wenn der internationale Personen- und Gütertransport wieder funktioniert und die Zuversicht der Menschen wieder da ist, dann läuft es wieder.
Bereits vor der Coronakrise verlangsamte sich das Wachsen der Exportwirtschaft in Oberösterreich. Als Gründe dafür wurden der Brexit, Handelskonflikte, Schutzzölle, die Nachwirkungen der Russlandsanktionen, CO2-Besteuerung und die Krise der Automobilbranche genannt. Wie schätzen Sie die Entwicklung von Handelsbeschränkungen durch die Krise ein?
Haindl-GrutschWir sehen anhand der Coronakrise, wie sehr unsere Wirtschaft global vernetzt ist und wie stark unser Wohlstand davon abhängt, dass die Weltregionen zusammenarbeiten. Schon vor der Coronakrise war klar, dass es Schieflagen und Ungleichgewichte im internationalen Handel gibt. Zölle sind von verschiedenen Regionen in unterschiedlicher Höhe auferlegt worden. Das hat viel mit der Historie von Regionen und Ländern zu tun. Heute begegnen wir uns auf Augenhöhe und deswegen muss man solche Schieflagen beseitigen. Es kann nicht sein, dass China wesentlich bessere Bedingungen hat als Europa oder die USA, die noch einmal schlechtere Bedingungen haben. Diese globalen Ungleichgewichte sind der Grund für Handelsstreitigkeiten. Deswegen wird diese Diskussion auch fortgesetzt werden müssen, weil die Alternativen Abschottung und neue Handelsbarrieren wären. Keiner würde das in der Post-Corona-Phase wollen.
Der Ruf nach mehr regionalen Produktionsstätten wird immer lauter. Wird die Krise langfristig zu einer Deglobalisierung führen? Was würde das für die Exportwirtschaft bedeuten?
Haindl-GrutschZugespitzt geantwortet: Vom Bauernmarkt am Südbahnhof kann man die Weltbevölkerung nicht ernähren. Die Globalisierung ist für unser gewohntes Leben unbedingt notwendig, Regionalisierungsträumereien sind der falsche Weg. Natürlich darf es dabei für einzelne Wirtschaftsregionen zu keinen einseitigen Abhängigkeiten wie beispielsweise bei der Medikamentenproduktion kommen. Aber es geht nicht ohne globale Wertschöpfungsketten, denn wenn wir etwa ein Auto zu hundert Prozent in ßsterreich bauen würden, wäre das natürlich für viele unbezahlbar. Regionale Vorteile der Globalisierung sind das Erfolgsgeheimnis unseres Wohlstandes, viele arme Länder sind durch die globale Vernetzung der Armut entkommen. Unser System beruht auf einer sozialen Marktwirtschaft, nur durch Exporterfolge können wir uns unser ausgeprägtes Sozial- und Gesundheitssystem leisten. Man sieht in dieser Krise außerdem deutlich, dass Staaten und Regionen, die in guten Zeiten Schulden abbauen und über gesunde Haushalte verfügen, in schlechten Zeiten durch ihre Reserven einen Vorteil haben.
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