Am Ende der Welt? Im Zentrum der Innovationen!
Wer schon mal mit einem Airbus A380 oder einer Boeing 747 geflogen respektive mit einem Audi, BMW oder Mercedes gefahren ist, hatte bereits Kontakt mit dem größten Aluminiumhersteller Österreichs: Der Amag Austria Metall. Am Standort im oberösterreichischen Ranshofen spricht CEO Helmut Wieser über innovative Ideen, schöpferische Zerstörung
und sein großes Vorbild, die Formel 1.
Die Amag ist laut eigenen Aussagen weltweit eine von nur fünf Firmen, die ihre Konkurrenzfähigkeit mit Großkunden wie Airbus, Boeing, Bombardier Aerospace, Audi, BMW, Daimler/Mercedes, Fiat/Chrysler, Ford und General Motors nicht nur in der Luftfahrt, sondern auch in der Automobilbranche unter Beweis stellen. Die Zahlen lesen sich beeindruckend: Über 420.000 Tonnen Walz- und Gussprodukte sowie Primäraluminium hat die Amag 2017 abgesetzt. Das entspricht vom Gewicht her etwas mehr als 750 Airbus A380. Und die Zeichen stehen trotz schwierigem Marktumfeld und Preisschwankungen von Aluminium auf Wachstum.
Exklusiv für Airbus und Boeing
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu halten und auszubauen, bedarf es kontinuierlicher Weiterentwicklung. „Das Wachstum in der Aluminiumindustrie liegt weltweit bei vier Prozent, da werden laufend neue Produkte gefordert. Als ich vor etlichen Jahren in der Aluminiumindustrie anfing, wurden weltweit 30 Millionen Tonnen erzeugt, heute sind es fast 70 Millionen und es wird keine zehn Jahre mehr dauern, dann werden es 100 Millionen sein“, so der CEO, Helmut Wieser. Sämtliche Produkte müssten ständig leichter und dünner werden. „Darum erwarten die Kunden von uns, dass wir mit innovativen Lösungen kommen.“ Aus der Flugzeugindustrie etwa würden sehr viele Anfragen für Spezialteile kommen, teilweise ist die Amag für Airbus oder Boeing Exklusivlieferant. „Wir liefern für ‚Glare‘ (glasfaserverstärktes Aluminium) für den Airbus A380 die Aluminiumbleche. Das gibt es exklusiv nur von uns.“ Derartige Innovationen werden auch in Zukunft gebraucht, der Flugzeugindustrie wird ein prosperierendes Wachstum vorhergesagt. 4,1 Milliarden Passagiere sind im Jahr 2017 geflogen, bis 2035 wird sich diese Zahl auf über sieben Milliarden Passagiere fast verdoppelt haben. Denselben Innovationsgeist brauche man auch in der Automobilindustrie, nicht selten werden hierfür Ideen aus der Luftfahrtindustrie übernommen. So entwickelte man etwa gemeinsam mit der Voestalpine den sogenannten Seitenaufprallträger für den BMW i8. „Viele Unfälle passieren, wenn einer einem quer mit dem Auto reinfährt. Dafür haben wir eine Versteifung in der Tür, den ‚side impact door beam‘, entwickelt. Verwendet wird eine Legierung, die eigentlich aus der Luftfahrt stammt.“ Hohe Anforderungen kommen auch aus der Verpackungsindustrie. „Die Verpackung von Medikamenten wie Antibiotika ist komplett aus Aluminium, weil sie lichtgeschützt und lange haltbar sein soll. Da kommen sowohl auf das Material selbst als auch auf die Entwickler hohe Anforderungen zu.“
Wer geht schon nach Ranshofen?
Für diese Herausforderungen braucht man firmenintern die richtigen Schritte und Prozesse, um diese Innovationen auch umsetzen zu können. Bei der Amag verknüpft man etwa Open Innovation mit Employer Branding. „Wir arbeiten viel mit Universitäten zusammen und haben einen wissenschaftlichen Beirat mit Professoren aus Zürich, Leoben, Wien, Graz und Düsseldorf.“ Zusätzlich habe man eine Stiftungsprofessur in Leoben installiert, die über Diplom- und Doktorarbeiten an Innovationen forscht. Damit könne man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Es stellt sich automatisch die Frage: Wie kommen wir zu Innovationen und wer geht schon gern nach Ranshofen? Viele Studierende arbeiten bei uns bereits in Projekten mit, die gute Grundlagen für Abschlussarbeiten sind. Die sind dann schon so integriert, dass sie gar nicht mehr wegwollen. Aktuell haben wir 120 Mitarbeiter im F&E-Bereich, darunter zahlreiche Doktoranden und Diplomingenieure. Natürlich spüren auch wir den Fachkräftemangel, und um diesen abzufedern und sich um neue Technologien zu bemühen, braucht man ein gutes Netzwerk. So haben wir auf der Innovationsseite immer die Nase vorn.“ Viele Innovationen kommen dabei auch durch Vorschläge von Mitarbeitern. Diese werden nicht nur jährlich ausgezeichnet, sondern auch finanziell belohnt. Dabei werden zehn Prozent vom Nutzen der Idee ausgezahlt. Zusätzlich sind die Mitarbeiter über eine Stiftung, die 11,5 Prozent der Anteile an der Amag hält, auch Eigentümer und erhalten Dividendenzahlungen. „Nur mit Innovation, Employer Branding und Wachstum kriegt man auch die Leute und kann sie halten. Wenn man immer nur spart, kommt keiner zu einem und man verliert auch noch die besten Leute.“ Den Standort Ranshofen habe man trotz der Internationalisierung nie aufgegeben. „Niemand hat vor ein paar Jahren gewusst, wo Ranshofen ist. Da hat jeder gesagt, das ist ja am Ende der Welt – das hat sich geändert. Wir sind im Zentrum der Innovationen, haben in der Nähe von uns Audi in Ingolstadt und Györ, BMW in München und auch Daimler ist nicht weit weg.“
Was über Sieg oder Niederlage entscheidet
Schwierigkeiten, das „Out-of-the-box-thinking“ in die täglichen Arbeitsprozesse zu integrieren, habe man nicht, weil man die Mitarbeiter in die Innovationen einbindet. Omnipräsente Begriffe wie Digitalisierung und Automatisierung sind für die Belegschaft somit kein Schreckgespenst. Wieser beschreibt es so: „Wir brauchen unsere Mitarbeiter. Wenn wir die Produktion verdoppeln, heißt das auch, dass wir die Produktivität brauchen. Dafür haben wir seit 2012 rund 450 Leute aufgenommen.“ Ein jährliches Wachstum von etwa zehn Prozent und die erstmalige Umsatzmilliarde in der Firmengeschichte bestätigen diesen Trend. Auf den Lorbeeren ausruhen ist jedoch eine Metapher, die im Wortschatz von CEO Wieser nicht vorkommt. Sein Lieblingsbegriff, so scheint es, ist KVP – der kontinuierliche Verbesserungsprozess- , sein großes Vorbild für interne Prozesse die Schnelligkeit und Präzision der höchsten Motorsportklasse, der Formel 1. „Die Formel 1 zeigt uns immer wieder, was im Bereich Trends und Innovation noch alles gehen kann. Die große Vision wäre es, einmal so schnell zu produzieren, wie die Formel 1-Teams Reifen wechseln. Denn das entscheidet am Ende des Tages über Sieg oder Niederlage. Was der Boxenstopp in der Formel 1 ist, ist die Feindynamik und –abstimmung an den Maschinen bei uns.“ Besonders wichtig erscheint vor diesem Hintergrund das Thema Simulation, der digitale Zwilling in der Produktion. „In unserem neuen Werk haben wir alles digital simuliert, um die Prozesse zu optimieren und so die Produktion und die Entwicklung neuer Produkte verkürzen zu können.“ Insgesamt stecke in den Anlagen sehr viel Innovation, obwohl man fertige Komponenten und Teile zukaufe. „Gerade in der Gießerei muss man sehr innovativ sein, da bestellt man die Teile und Anlagen nicht über ein Prospekt wie ein Sofa. Die Anlagen sind speziell für uns und von uns mitdesignt.“ Alte Pfade verlassen und neue Wege gehen – das Motto der Amag deckt sich mit dem Meister der Innovationen, dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter. Dieser hatte in den 1940er Jahren den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ geprägt – jede ökonomische Entwicklung baue auf dem Prozess der schöpferischen oder kreativen Zerstörung auf, wobei die eingesetzten Produktionsfaktoren neu kombiniert werden und sich erfolgreich durchsetzen. So werden alte Strukturen verdrängt und schlussendlich zerstört. Das sei notwendig, damit eine Neuordnung stattfinden kann. „Das kann man bei uns sehr gut nachvollziehen, die Anlagen und die Technologien haben sich massiv geändert, die eine hat die andere abgelöst. Sehr gut wiederzuerkennen ist die Schumpeter’sche Theorie bei uns auch an der Veränderung des Standortes: Wenn man diesen vor zehn Jahren und heute vergleicht, ist das ein komplett anderes Bild. Hier haben wir tatsächlich viel zerstört und wieder neu aufgebaut. Insofern trifft die Theorie auf die Amag absolut zu, denn der Standort und auch die Ausrichtung haben sich massiv geändert. Mit einer Elektrolyse hat alles begonnen. Mittlerweile haben wir in Ranshofen gar keine Elektrolyse mehr, sondern walzen und gießen auf höchstem Niveau. Primäraluminium wird in unserer Elektrolyse Alouette in Kanada erzeugt.“_
Trends und Innovationen entscheiden am Ende des Tages über Sieg oder Niederlage.
Helmut Wieser
CEO, Amag Austria Metall AG
Gedanken
Wie geht man als erfahrener CEO mit tausenden Mitarbeitern mit den derzeitigen schwierigen Marktbedingungen um, mit denen die Aluminiumindustrie konfrontiert ist?
Wieser_Man muss „on top of everything“ sein. Durch unser Vorstandsteam und unsere Partner in Kanada und Japan haben wir eine gute Informationsfülle. Das ist ein tägliches Jonglieren mit drei bis fünf Bällen. Das haben wir gelernt und damit können wir umgehen.
Was war das Außergewöhnlichste, das Sie bisher in Ihrem Leben gemacht haben?
Wieser_Ich war Alcoa-Chef in Genf und der damalige CEO wollte, dass ich die Geschäfte weltweit übernehme. Ich müsste dafür aber nach New York umziehen. Wir hatten das Gespräch in New York und ich bin gleich dort geblieben und gar nicht mehr heimgefahren (lacht). Das war schon außergewöhnlich, aber, wenn man gute Möglichkeiten kriegt, muss man diese gleich nützen. Da wird man nicht zweimal gefragt.
Kommt man im Berufsleben eher angepasst oder unangepasst weiter?
Wieser_Wenn man angepasst so versteht, dass man alles genau so machen muss, wie man es gesagt bekommt, obwohl man nicht damit einverstanden ist – dann muss man definitiv unangepasst sein. Seine Visionen muss man unbedingt umsetzen und einen eigenen Erfahrungsschatz aufbauen.
Welche nervige Angewohnheit würden Sie sich gerne abgewöhnen?
Wieser_Ich würde gerne mein inneres Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom so gut wie möglich abstellen und mich nicht so schnell ablenken lassen. Also nicht mit fünf Sachen gleichzeitig beschäftigt sein und dreimal aufs Handy schauen, sondern mehr im Hier und Jetzt sein.
Was bringt Sie im beruflichen Alltag am ehesten auf die Palme?
Wieser_Non-Performance.
Was denken Sie sich im beruflichen Alltag oft, was Sie aber niemals laut sagen würden?
Wieser_Die zwei Sekunden dauernden Reifenwechsel in der Formel 1 auf unsere Prozesse zu adaptieren, würde ich wirklich gerne umsetzen. Also diese Competitiveness, dass wir vorne sind und aus dem Rückspiegel die Konkurrenten sehen und wissen, die überholen uns nicht.
Als Olympionike kennen Sie das Motto „Dabei sein ist alles“. Was wäre denn ein Slogan für die Wirtschaft?
Wieser_Wertschöpfung generieren und der Motor der Wirtschaft sein.
Was kann man als Olympia-Teilnehmer für das Geschäft als CEO mitnehmen?
Wieser_Die Vision, etwas erreichen zu wollen und zu können. Die Pace, also das Tempo, dass man sagt, wir ziehen das konstant und schnell durch, um dauerhaft sehr gut im Rennen zu sein.
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