Fortschrittmacher
Was der EU-Abgeordnete und promovierte Wirtschaftswissenschafter Paul Rübig im wahrsten Sinne des Wortes von der Pike auf gelernt hat, ist: Fortschritt möglich machen. Und nachdem ihn Christoph Leitl vor rund 23 Jahren in die Politik holte, macht er das heute im ganz grossen Stil – für über 500 Millionen EU-Bürger. Aber alles der Reihe nach.
Die Weite des Ausblicks ist dem kreativen Geist förderlich, sagt man. Es ist schon bezeichnend, dass wir Paul Rübig am blue danube airport Linz zum Gespräch treffen. Spiegelt er doch in vorzüglicher Weise die großflächige, politische Verantwortung und gleichzeitig die Offenheit in alle Richtungen des EU- Mandatars wider. Uns bleibt zwischen seinen Terminen nur ein schlankes Zeitfenster – Treffen um 13 Uhr, Abflug nächster Termin pünktlich um 14.30 Uhr. Wir erwarten einen vom Stress geknechteten Menschen, doch es kommt ganz anders. Sympathisch gelassen sitzen wir einem Oberösterreicher gegenüber, der sich zu allererst um unser leibliches Wohl sorgt. Er vermittelt ein Gefühl von Sicherheit, Respekt und Tatkraft. Wenn man weiß, dass der passionierte Segelflieger noch vor wenigen Tagen den europäischen Finanzrahmen bis 2020 maßgeblich mitverhandelt hat, und dabei ging es um die effiziente Verteilung von Beträgen in Milliardenhöhe, verwundern einen diese Attribute nicht.
Der geborene Welser sitzt im EU-Parlament ganz oben, dort wo endverhandelt wird. Dort wo sich unter anderem der „Haushaltskontrollausschuss“ befindet, in dem er auch Mitglied ist. Deshalb fragen wir gleich nach seinem Erfolgsrezept, jeden Tag aufs Neue die Kraft und Ausdauer für eine Verantwortung dieser Größenordnung abrufen zu können. Die Tage und Wochen in Brüssel sind lang, kräfteraubend und präzise eingeteilt – nicht nur vor Wahlen. Das vermeintliche Geheimnis ist so simpel wie überraschend: Man gehe vor Mitternacht ins Bett, schlafe mindestens sechs Stunden und bleibe so leistungs- und entschei- dungsfähig. Das setzt allerdings einen gestrafften Arbeitsalltag voraus.
Ist Politiker ein Beruf?
Nein, eine Berufung. Und wie wird man Politiker? Unerwartet. Anfang der 1990er Jahre holte Christoph Leitl den damals 38-jährigen trotz nüchterner Vorzeichen in den oberösterreichischen Landtag. Die plötzliche Umstellung vom Geschäftsführer des elterlichen Schmiedebetriebs zum Landtagsabsgeordneten war nicht nur groß, es war auch alles neu: Die Parteiarbeit per se, das Engagement in den Bünden, dazu kamen viele Sprechtage, ebenso viele Bürger- wie Journalistenkontakte. Kurz danach wurde Rübig auch noch Vorsitzender des EU-Integrationsausschusses. In dieser Fortschrittmacher- Funktion war er einer der „Türöffner“ für Österreich in die europäische Union. Ab sofort war klar: für den Familienbetrieb bleibt nun keine Zeit mehr, sein Bruder musste die Geschäftsführung der Rü- big-Firmengruppe übernehmen.
Warum EU-Abgeordneter?
Die besten Geschichten schreibt eben das Leben. Auch die buntesten. Rübig war als Geschäftsführer für seine Firma international viel unterwegs und gründete Niederlassungen in Deutschland, Frankreich und England. Dabei stieß er immer wieder auf Exportschlaglöcher, die für Österreichs Exportbetriebe essentiell waren: Volatile Währungen, horrende Wechselspesen, sündteure Versicherungen, langwierige und kostspielige Zollabfertigungen. Rübigs Gedankenwelt zeichnete eine Hypothese: Was wäre ein Wirtschaftsraum ohne diese Barrieren? Ein gemeinsamer Bin- nenmarkt. „Ich zeichnete eine Hypo- these vor meinem geistigen Auge: Was wäre, wenn es einen Wirtschaftsraum ohne diese Barrieren gäbe? Sozusagen ein gemeinsamer, grenzenloser Binnenmarkt?“ Welche Chancen würden sich dadurch für die Beschäftigung in OÖ eröffnen? Ein Gedanke, der zu die- ser Zeit noch fremdelte. Die Vorzeichen deuteten aber auf Gemeinschaft hin, und um mitgestalten zu können, redet man am besten ganz oben mit. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt rief Christoph Leitl an, der Unternehmer Rübig entschied sich für eine politische Karriere und „die Revolutionären“ waren gerade damit beschäftigt, Auslaufsysteme wie EFTA und EWR aufzubrechen. Das „große Ganze“, in dem die berühmten vier Binnenmarkt-Freiheiten gelten, kam scheinbar ins Rollen.
Jenseits der Grenze. Ein Quotenhit
Heute liegt Oberösterreichs Exportquote bei 50 Prozent. Die Hälfte aller heimischen Jobs hängen also unmittelbar davon ab, ob Produkte und Dienstleistungen außerhalb Österreichs gut verkauft werden können. Der Binnenmarkt „EU“ mit seinen aktuell 28 Mitgliedsländern und über 500 Mio. Konsumenten, übri- gens kaufkräftigster Kontinent weltweit, ist also eine unglaubliche Chance. Auch für neue Arbeitsfelder wie beispielsweise im Bereich der Umwelt. Eine Chance, verkrustete Arbeitsbedingungen aufzubrechen. Denn der Arbeitsmarkt, respektive der Facharbeitermarkt muss flexibler werden. Hier sind auch die Sozialpartner in die Pflicht genommen, ihre Paradigmen zu überarbeiten. „Ich bin davon überzeugt, dass eine gemeinsame Wirtschaftsunion den Arbeitsmarkt sowie den Euro genetisch verjüngen würden. Eigentlich sind wir schon am Weg dorthin“, erzählt der Befürworter.
Die EU braucht Kontinuität
Paul Rübig ist das, was man einen klassischen Vertreter kleinerer und mittlerer Betriebe nennt. Er „verkuppelt“ Leitbetriebe mit KMU und stimuliert so die nationalen Wertschöpfungsketten. Und nicht nur das. Auch auf internationalem Terrain gibt der ÖVP-Politiker den „Kleinen“ Rückenwind, vor allem was Finanzierungen, Forschungs- und Entwicklungs- sowie Innovationsprogramme betrifft. Sind vielleicht Charakterzüge wie Richtungstreue, Einsatz und Kontinuität jene Gründe, warum der mittlerweile 60-jährige bereits vier Mal als Europaabgeordneter bestätigt wurde und damit der längst dienende österreichische Politiker in Brüssel ist? Paul Rübig hat, sei es in Brüssel oder in Straßburg, noch viel vor. Zum Beispiel einen einheitlichen, roamingfreien (EU) Raum durchsetzen oder – und das ist eines der wichtigsten Ziele in der EU – eine Energiepolitik verantworten, die für Industriebetriebe nicht zum Anti-Wirtschaftsprogramm mutiert. Ziele, die Rübig eine erneute Bestätigung im EU- Parlament einbringen? Jetzt werden ein paar Fotos für die Story geschossen. Noch ein gemeinsamer Espresso? Nein, wir nähern uns 14.30 Uhr. Herr Rübig muss pünktlich zum Flieger, Folgetermine warten. Und er will ja vor Mitternacht im Bett sein._
„Ich bin davon überzeugt, dass eine gemeinsame Wirtschaftsunion dem Arbeitsmarkt sowie dem Euro neue Impulse geben würde.“
Paul RübigEU-Abgeordneter
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