„Alles wird sich ändern“
Netural begleitet Unternehmen im gesamten DACH-Raum bei der digitalen Transformation. Nun kommt es durch die rasche Entwicklung Künstlicher Intelligenz zu einer neuen Dynamik. Was Gründer und CEO Albert Ortig Unternehmen jetzt rät – und welche Auswirkungen auf die Gesellschaft er prognostiziert.
In den Büros von Netural laufen an diesem Tag die Vorbereitungen für eine HR-Co-Working-Night. Hochtische und ein Catering werden aufgebaut, auf einer kleinen Bühne stehen bequeme Stoffsessel für eine Podiumsdiskussion bereit. Thema der Veranstaltung ist – wie könnte es anders sein – Künstliche Intelligenz. Titel: „Mensch und KI“. Wie werden wir zukünftig arbeiten? Im Eingangsbereich stehen zwei Glasbehälter mit den Aufschriften „Mensch treibt KI“ und „KI treibt Mensch“. Die Gäste aus der HR-Community können kleine, weiße Bälle einwerfen und abstimmen.
„KI wird alles verändern – und zwar so radikal, dass es bisher nichts Vergleichbares gab,“ meint Albert Ortig, Gründer und CEO von Netural, und überlegt kurz. „Außer vielleicht den Start des Internets – und selbst der war weniger bedeutsam.“ Wir sitzen mittlerweile in einem verglasten Besprechungsraum im Netural-Büro in der Linzer Tabakfabrik. Der Gebäudekomplex gehört zu einem der Zentren der Digitalisierung in Oberösterreich, zahlreiche Startups und Unternehmen beschäftigten sich hier mit digitalen Services und Produkten. An Künstlicher Intelligenz kommt – spätestens seit einigen Monaten – keines von ihnen vorbei. Auch nicht Netural: Das 1998 gegründete Unternehmen unterstützt seine Kunden bei der digitalen Transformation und dem Entwickeln digitaler Geschäftsmodelle, etwa 80 Mitarbeiter:innen arbeiten in den Büros, bereits vier erfolgreiche Ausgründungen brachte man hervor.
Seit 25 Jahren ist Ortig nun im Geschäft, eine ähnliche Entwicklung habe er noch nie beobachtet. „Wir sehen in allen Segmenten – sei es Maschinenbau, Schwerindustrie, im Finanzsektor oder der Luxusgüterindustrie –, dass KI relevant wird und wir zahlreiche Nachfragen bekommen.“ Die Kunden des Digitalisierungsunternehmens seien meist „sehr vorwärtsgetrieben und in ihren Bereichen mit einem Führungsanspruch“ versehene mittlere und große Betriebe. Trotz unterschiedlichster Branchen gibt es in der notwendigen Herangehensweise meist Gemeinsamkeiten. Was rät Ortig? „Man muss in den Unternehmen beginnen, das Thema ständig anzusprechen.“ Heißt: Was kann KI? Welche Ängste gibt es im Unternehmen? Wo können neue Services daraus generiert werden, welche Anwendungen entstehen, die man auf Kunden umlegen kann? Netural begleitet Unternehmen bei diesem Prozess, hilft bei der Erstellung von Formaten, die sich mit dem Thema beschäftigen. „Wir sind Treiber dafür, KI-Technologien nicht verdeckt einzusetzen, sondern offen damit umzugehen und darüber zu reden.“ In Workshops werden Kunden auf den aktuellen Stand der Technologie gebracht. „Für Unternehmen geht es weniger darum, neue Algorithmen zu entwickeln, sondern zu überlegen, welche sie für ihre Probleme einsetzen können.“
Zweiter wichtiger Punkt ist für Ortig eine genaue Analyse: Wo gibt es im Unternehmen wiederkehrende und standardisierte Prozesse? „Alle Aktivitäten dieser Art, die vorhersehbar sind, werden uns in Zukunft virtuelle Assistenten abnehmen.“ Es gelte, Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen und das eigene Team weiterzuentwickeln, damit es in kreativen, komplexen und nichtautomatisierbaren Bereichen wirksam werden kann. KI habe das Potential, die Kundenzentriertheit deutlich nach oben zu treiben. „Man muss sich damit auseinandersetzen, wie KI den eigenen Kunden einen Mehrwert bringt.“
Chancengleichheit durch KI?
Einige Kilometer Luftlinie entfernt von der Tabakfabrik, auf der anderen Seite der Donau, liegt am Fuße des Linzer Pöstlingbergs das 1897 gegründete Bischöfliche Gymnasium Petrinum. Vor einigen Wochen startete dort ein KI-Projekt, das von Netural betreut wird. „Das ganze Haus ist sehr engagiert, wir unterstützen die Schule dabei, sich proaktiv mit dem Thema zu beschäftigen“, sagt Ortig. Dabei gehe es für Netural nicht um einen geschäftlichen Auftrag, sondern um gesellschaftliche Verantwortung für die nächste Generation, die man wahrnehmen wolle. „Wir konfrontieren das Kollegium mit dem Thema, damit es sich damit auseinandersetzt, wie sich KI auf den Unterricht auswirkt.“ Die Schüler:innen wurden in Gruppen aufgeteilt und beschäftigen sich damit, was die neuen Entwicklungen für die Gesellschaft und die Schule bedeuten. „Bei einer Veranstaltung im Sommer sind alle Lehrer:innen, Schüler:innen und Vertreter:innen anderer Schulen eingeladen, einen Blick auf den Status quo zu werfen.“
Der Bildungsbereich ist ein gutes Beispiel dafür, welche gewaltigen Auswirkungen Künstliche Intelligenz in Zukunft auf unsere Gesellschaft haben dürfte. Für Ortig geht die aktuelle Diskussion in die falsche Richtung. „Es geht nicht darum, ob Schüler:innen ChatGPT Arbeiten schreiben lassen, das passiert ohnehin selbstverständlich.“ Statt als Gefahr müsse man KI als gewaltige Chance begreifen. „KI könnte das 2-Sigma-Problem lösen“: Der US-amerikanische Psychologe und Erziehungswissenschaftler Benjamin Bloom beschrieb die Auswirkungen vom Verhältnis von Lehrenden zu Schüler:innen. Je mehr Ressourcen, desto bessere Noten – bei einem Verhältnis von 1:1 erzielen fast alle Schüler:innen beeindruckende Ergebnisse. Das Problem: Eine so intensive Betreuung ist nicht umsetzbar. Besonders für Kinder aus einkommensschwächeren Gesellschaftsschichten gibt es meist viel zu wenige Ressourcen. „Durch KI könnte sich das ändern. Sie könnte in Zukunft als persönlicher Tutor für jede:n einzelne:n Schüler:in fungieren, der nicht nur das Ergebnis und die Fragestellungen erklärt, sondern auch sofort versteht, wo die Probleme liegen“, erklärt Ortig. Die Folge: ein großer Schritt in Richtung Chancengleichheit. Auch Lehrenden könnte KI bei der effizienten Vorbereitung von Unterrichtsmaterial helfen.
Radikales Umdenken notwendig
Zurück in die Tabakfabrik. KI wird gewaltige Auswirkungen auf unsere Arbeitswelt haben, so viel ist sicher. „Kein Berufsbild wird verschont bleiben“, prognostiziert Ortig. Es gelte, die richtigen Rahmenbedingungen für positive Auswirkungen zu schaffen. „Es gab noch nie eine so niedrige Arbeitslosenquote wie jetzt in Österreich und Deutschland, KI könnte den Fachkräftemangel und den angespannten Arbeitsmarkt entschärfen.“ Langfristig brauche es bei einem immer stärkeren Automatisierungsgrad und dem Wegfallen vieler Berufsfelder aber ein Eingreifen des Staates, wie etwa durch das bedingungslose Grundeinkommen. „Die Politik wird radikal umdenken müssen.“
Durch KI wird der Leistungsraum in unserer Gesellschaft dramatisch nach oben gehen. „Wir können viel mehr und das in viel kürzerer Zeit“, prognostiziert Ortig, „die Entwicklung macht natürlich Angst und öffnet gleichzeitig völlig neue Türen.“ Angekommen sei das Ausmaß der Veränderung in der Gesellschaft noch nicht. Das vermutet auch Sam Altman, CEO von OpenAI, das ChatGPT hervorbrachte. „KI ist die meistgehypte Technologie weltweit und gleichzeitig immer noch die am meisten unterschätzte“, schrieb er auf Twitter. Am Ende des HR-Abends zum Thema KI haben die deutliche Mehrheit der 50 geladenen Gäste ihren Ball in den Behälter mit der Aufschrift „Mensch treibt KI“ geworfen. Auch der Ball von Ortig landete in diesem Glas._
Unternehmen müssen intern ständig und offen über KI sprechen.
Albert Ortig
Gründer, Netural
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