Smart, mobil und digital
So sind sie, die Patient:innen 2.0. Sie wollen bei der Gesundheitsversorgung größtmöglichen Komfort und Service, Videosprechstunden und jederzeit abrufbare Gesundheitsdaten inklusive. Und auch bei den künftigen OP-Methoden wird es einige Veränderungen geben, wie uns Chirurg Tobias Gotterbarm vom Kepler Klinikum verrät.
Es zwickt in der Bauchgegend, der Hals schmerzt oder man spürt beim Abtasten des Körpers etwas Ungewöhnliches – noch bevor ein:e Mediziner:in aufgesucht wird, stellen viele Menschen bereits erste Vermutungen an, worum es sich denn handeln könnte. Rasch wird das Handy gezückt und gleich mal bei „Dr. Google“ nachgefragt. Aus diesem Grund erfreuen sich Symptom-Checker-Apps wie Ada-Health oder Babylon Health immer größerer Beliebtheit. Die Folge: Die Patient:innen haben bereits vor dem eigentlichen Arztbesuch einen Anhaltspunkt für mögliche Erkrankungen. Tobias Gotterbarm, Vorstand des Kepler-Universitätsklinikums für Orthopädie und Traumatologie, kennt dieses Phänomen nur zu gut. Ihm bereitet diese Vorgehensweise jedoch etwas Kopfzerbrechen. „Viele Patient:innen informieren sich bereits vorab im Internet über ihr Krankheitsbild und die möglichen Therapieoptionen. Natürlich ist es von Vorteil, wenn Patient:innen über mögliche Therapiealternativen und über das Krankheitsbild vorinformiert in die Sprechstunde kommen. Jedoch stehen diese Informationen oft ungefiltert und ungeprüft im Netz, was zu Verwirrung, Sorge und starken Ängsten führen kann“, so der Facharzt.
Die Patient:innen von morgen, auch bekannt als Patient:innen 2.0, sind smart und mobil. Die Boomer-Generation (Jahrgang 1945–1965) vertraut in der Regel auf DEN EINEN Arzt oder DIE EINE Ärztin. Eine Ortsgebundenheit sowie oft auch längere Wartezeiten in einem überfüllten Aufenthaltsraum werden in Kauf genommen. Ganz anders ist die Situation bei der Generation Z (1997–2009): Sie will eine Gesundheitsversorgung, die sich nahtlos in den Alltag, egal ob beruflich oder privat, integrieren lässt. Für den Patienten 2.0 ist eine Versorgung geprägt durch Komfort und Service von großer Bedeutung. Auf einen Termin zu warten oder längere Anfahrtszeiten in Kauf zu nehmen, ist da schon fast ein No-Go.
Videosprechstunde auch vor der OP
Auch Videosprechstunden mit dem Arzt oder der Ärztin erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Ist das künftig auch im Vorfeld einer Operation möglich? Chirurg Gotterbarm sagt dazu: „Digitale Sprechstunden und Sprechstunden per Telemedizin sind bereits in vielen Bereichen möglich und werden auch schon praktiziert – dies hat sich in Pandemiezeiten als hilfreiches Tool erwiesen. Aufklärungsgespräche über mögliche Komplikationen und Risiken sowie Operationsinhalte und -verfahren könnten über Filmdokumente persönlich den Patient:innen übermittelt werden. Dies ersetzt selbstverständlich nicht die komplette ärztliche Aufklärung, kann jedoch bereits viele Fragen im Vorfeld beantworten.“
Vor Corona teils undenkbar, werden nun auch Rezepte für Medikamente des täglichen Bedarfs, wie das benötigte Insulin bei Diabeteserkrankten, oft nach Anfrage per Mail an die Apotheken weitergeleitet. Allein schon dieses Beispiel verdeutlicht, dass die digitale Kompetenz von Ärzt:innen zukünftig immer stärker in den Vordergrund rücken wird. Das Verhältnis zwischen Ärzt:innen und Patient:innen wandelt sich ebenfalls. Dieser Wandel wird durch das veränderte Eigenverständnis des Menschen und seine Nutzung von digitalen Angeboten getrieben. Immer mehr Menschen nutzen Fitnesstracker, überwachen so ihre Vitalwerte beinahe stündlich. Sind die Leistungsdaten nach einer ausgiebigen Radtour im Vergleich zum letzten Mal stark abgefallen oder der Herzkreislauf ist aus dem Takt geraten, bekommen die Nutzer:innen sofort eine Nachricht als Warnung. Mithilfe der elektronischen Gesundheitsakte (Elga) können zudem die eigenen Gesundheitsdaten unabhängig von Ort und Zeit abgerufen werden.
Knochen statt Metall
Doch wie werden sich künftig eigentlich die OP-Methoden verändern? Bei Knochenbrüchen wird beispielsweise anstatt eines Metallimplantats schon auf die Knochenschraube „Shark Screw“ der Firma Surgebright aus Lichtenberg gesetzt. Der große Vorteil daran: Aufgrund des Implantates aus menschlichen Knochen entfällt das Risiko einer möglichen zweiten Metallentfernung. Die Schraube wird nämlich Teil des Körpers. Innerhalb von sechs Wochen wachsen Gefäße in das Implantat ein. Osteozyten und Osteoblasten, die sogenannten Knochenzellen, bauen die Schraube so um, dass sie nach ein bis zwei Jahren im Röntgen nicht mehr sichtbar ist. „Inzwischen gibt es eine Vielzahl von derartigen Implantaten, die auch schon routinemäßig eingesetzt werden. Die Langzeitergebnisse müssen jedoch noch abgewartet werden“, so Gotterbarm, der noch weiter ausführt: „Eine weitere Änderung, die kommen wird, ist eine dreidimensionale OP-Planung. Hier kann über vorher durchgeführte bildgebende Verfahren, wie CT, die Operation am Knochen simuliert werden. Auch diese Verfahren sind bereits in erstem klinischen Einsatz und werden in Zukunft sicherlich noch häufiger eingesetzt und die operativen Maßnahmen durch die Digitalisierung maßgebend verändern.“
Dementsprechend aufgerüstet müssen da natürlich unsere Operationssäle sein. Augmented Reality, 3D-Brillen und Roboter – all das ist künftig Standard. „Es gibt heute bereits Hybrid-OP-Säle, die sämtliche Bildgebung digital einspielen. Auch mit der virtuellen 3D-Brille kann heute schon gearbeitet werden. Somit ist es möglich, MRT- und CT-Daten virtuell einzuspielen. Sowohl in der Bauchchirurgie als auch in der orthopädischen Chirurgie wird Robotik schon angewandt. Hierdurch können Operationen deutlich kontrollierter und präziser ablaufen. Neueste Hybrid-OPs, die eine intraoperative Bildgebung und Bildgebungen über 3D-Brillen ermöglichen, sind bereits in ersten hochmodernen OP-Sälen in Planung und bald auch im Einsatz“, weiß Gotterbarm.
Als sogenannter Arzt 2.0 sieht sich der Vorstand der Orthopädie und Traumatologie des Keplerklinikums als „mit meinen Patient:innen vernetzt“. Er betont dabei, sämtliche Tools einschließlich der Gesundheitsdaten im System abrufen zu können. Neue Befunde können ganz einfach eingespielt und von anderen Kolleg:innen abgerufen werden. „Insbesondere Bildgebung, Informationsfluss und Vernetzung sind für den Arzt 2.0 sehr wichtig“, so Gotterbarm. High-Tech wird somit weiterhin groß geschrieben. Und der Patient 2.0 wird dann vielleicht auf „Dr. Google“ verzichten können._
Informationen zum Krankheitsbild stehen oft ungeprüft im Netz.
Tobias Gotterbarm
Vorstand der Orthopädie und Traumatologie, Kepler Universitätsklinikum
Dass „Shark Screw“ Metallschrauben in Zukunft gänzlich ersetzen kann, ist rein theoretisch möglich.
Lukas Pastl
Geschäftsführer, Surgebright
3 Fragen an …
Lukas Pastl, Geschäftsführer, Surgebright
01 Bei welchen Verletzungen wird die Knochenschraube eingesetzt?
Lukas PastlVor allem in der Fuß- und Handchirurgie, bei Brüchen, Fehlstellungen oder Gelenksabnützungen (Arthrosen). Auch bei Bänder- und Sehnenrissen kann sie eingesetzt werden.
02 Wo liegen die großen Vorteile darin?
Lukas PastlDas Risiko einer möglichen zweiten Operation entfällt. Die Schraube wird zu patienteneigenem Knochen, somit bleiben Patient:innen nach der Fusion der Knochenfragmente von Fremdkörpergefühl und Komplikationen verschont. Corona verschärft die Lage im ohnehin überlasteten Gesundheitssystem – Patient:innen warten mit Schmerzen teilweise Monate auf eine Operation. „Shark Screw“-Chirurg:innen tragen dazu bei, dass diese Situation sich nicht weiter zuspitzt.
03 Kann „Shark Screw“ die Metallschraube in Zukunft sogar komplett ersetzen?
Lukas PastlIn vielen Anwendungsbereichen tut sie das bereits heute. Dass „Shark Screw“ Metallschrauben in Zukunft gänzlich ersetzen kann, ist rein theoretisch möglich. Bis dahin muss sich aber noch vieles weiterentwickeln und ändern. Es braucht ein völlig neues Mindset, zudem gibt es gerade bei schweren Trümmerbrüchen keine anderen Lösungen als massive Metallsysteme. Eine Trümmerfraktur am Oberschenkel wird man wahrscheinlich auch in fünf Jahren noch mit einer Metallplatte versorgen müssen.
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