Haben wir ein „Nachwuchsproblem“?
Bis 2027 stehen etwa 41.700 KMU mit über 400.000 Arbeitsplätzen zur Übergabe an. In vielen Fällen ist eine Betriebsübergabe oder -übernahme noch nicht geregelt. Mit ein Grund dafür ist, dass nachkommende Generationen die Familienbetriebe nicht mehr automatisch fortführen. Stehen wir vor einem schwierigen Generationswechsel in der Unternehmenslandschaft? Darüber spricht Wolfgang Mazal, Professor für Arbeits- und Sozialrecht, im Interview.
Zu welchen Herausforderungen kommt es bei der Vereinbarkeit und der fairen Verteilung von Familienarbeit?
Wolfgang MazalIn kleineren Familienunternehmen kann es insbesondere im Kontext der Übergabe zum Problem werden, wenn die Vorgängergeneration sehr viel persönliches Engagement und daher Arbeitskapazitäten eingebracht hat: Wenn die übernehmende Generation sich selbst nicht in vergleichbarem zeitlichen Ausmaß einbringen möchte, und wenn gleichzeitig keine externen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, die die Vorgängergeneration ersetzen können, kann es für die Weiterführung eines Unternehmens schwierig werden.
Ist der Arbeitskräftemangel in Familienunternehmen ein besonderes Problem?
Wolfgang MazalIn der überbordenden Arbeitsleistung von Unternehmer:innen in kleineren Familienunternehmen haben die Angehörigen der Nachfolgegeneration das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Erwerb oft hautnah und negativ erlebt. Allerdings gilt für alle Unternehmen: Wenn die Erwerbsarbeit das Familiäre weiterhin stark einschränkt, werden die bestehenden demographischen Schieflagen verstärkt und es wird eng mit künftigen Arbeitskräften.
Warum ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Unternehmen so wichtig?
Wolfgang MazalDie Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein Schlüsselfaktor für die Gewinnung und den Erhalt von Mitarbeitenden in Unternehmen. Gerade in KMU, wo die Möglichkeiten eines weitreichenden Rekrutierungsprozesses geringer sind als in Großunternehmen, sollte gelebte Familienfreundlichkeit als zentrales betriebswirtschaftliches Instrument gesehen werden.
Kommen damit hohe Kosten auf Betriebe zu?
Wolfgang MazalBetriebe denken oft an die Kosten eines Betriebskindergartens – die Mehrzahl der Eltern wünscht sich einen Kindergarten im Wohnumfeld. Da ergeben sich Synergien zwischen den Anliegen der Unternehmen und den Finanzierungsproblemen der Gemeinden. Dass Vereinbarkeit mit hohen Kosten verbunden ist, trifft aber nicht zu. Wer Mitarbeitenden in Fragen der Familienpflichten entgegenkommt, gewinnt zufriedene und effiziente Mitarbeitende. In dieser Gruppe sind Fluktuation und Krankenstand gering. Dass familienfreundliche Betriebe um 36 Prozent mehr Bewerbungen um offene Stellen haben, sollte zu denken geben!
Brauchen wir die Vereinbarkeit von Familie und Erwerb nicht auch deshalb, um das Sozialsystem abzusichern?
Wolfgang MazalDie Vereinbarkeit ist nicht nur ein Schlüssel zur Reproduktion, sondern auch – neben qualifizierter Zuwanderung – wichtig für die Finanzierung des Sozialsystems. Das Pensionssystem und das Pflegesystem brauchen kontinuierlich nachhaltige Aktivgenerationen. Vor allem aber ist die individualbiographische Bedeutung wichtig: In unserer Gesellschaft ist die Zahl der gewünschten Kinder deutlich höher als die Zahl der tatsächlich geborenen. Dies sollte in einer Demokratie zum Nachdenken anregen. Ist es nicht Aufgabe aller, den Menschen die Realisierung ihrer Lebensmodelle zu ermöglichen?
Wie lautet Ihre Handlungsempfehlung?
Wolfgang MazalAus meiner Sicht ist es wichtig, das Thema der Vereinbarkeit nicht bloß auf die Regierung zu schieben: Vielmehr handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der vor allem Unternehmen eine wichtige Rolle zukommt. Es gibt kein Patentrezept zur Lösung der Frage, wohl aber einen Königsweg: Sich diesem Thema bewusst kontinuierlich zu stellen und alle Potentiale auszuloten – im „Audit Vereinbarkeit Beruf und Familie“ etwa ist das sichergestellt. Die Erfahrungen damit zeigen deutlich, dass sich Familienfreundlichkeit auch betriebswirtschaftlich mehr als rechnet!_
Familienfreundliche Betriebe erhalten um 36 Prozent mehr Bewerbungen.
Wolfgang Mazal
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats, Academia Superior
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