3,6 Prozent – mit dieser Arbeitslosenquote verfügt Oberösterreich per Definition aktuell über Vollbeschäftigung. Sie können sich also zurücklehnen, oder?
Gerhard StraßerWir haben auf jeden Fall die Situation, dass wir in Oberösterreich die beste Arbeitslosenquote aller Bundesländer haben und das ist schon etwas Besonderes. Das liegt zum einen daran, dass wir die stabile Industrie haben, und zum anderen, dass wir eine ganz breite Wirtschaftsaufstellung haben – dieser Branchenmix hilft uns natürlich auch dabei, durch Krisenzeiten möglichst unbeschadet durchzumarschieren. Dass wir 24.000 Arbeitslose 34.000 offene Stellen anbieten können, ist auf den ersten Blick nur erfreulich …
Und auf den zweiten Blick?
Gerhard StraßerAuf den zweiten Blick wird natürlich klar, dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte voll am Laufen ist. Die Betriebe konkurrieren untereinander sehr intensiv, wir haben aber auch den Wettbewerb unter den Branchen. Das heißt, Niedriglohnbranchen und Branchen mit schlechten Arbeitsbedingungen haben da einen Nachteil. Hinzu kommt der Wettbewerb unter den Regionen. Da ist jeder Betrieb gefordert, dass er irgendwie das Personal bekommt, das er sucht, und überlegt sich besonders gute Arbeitszeiten, gute Lohn- und Wohnmöglichkeiten und dergleichen. Der Wettbewerb geht ja über die Bundesländer- und auch über die Staatsgrenzen hinweg. Wenn ich jetzt nach Tschechien, Ungarn und Slowenien schaue: Die haben niedrigere Arbeitslosenquoten als wir in gesamt Österreich. Das heißt, dort gibt es nicht mehr viel zu fischen. Der Wettbewerb unter den Regionen spielt eine ganz große Rolle und setzt sich über die sogenannte Rot-Weiß-Rot-Karte, die gerade thematisiert wird, weiter fort, weil es dadurch leichter möglich sein soll, Arbeitskräfte auch von außerhalb der EU nach Österreich zu holen. Aber da sind wir nicht die Einzigen, die fischen.
Was genau erwarten sich denn die Arbeitssuchenden von einem Job, damit sie möglichst auch längerfristig glücklich damit sind?
Gerhard StraßerDa hat sich in der letzten Zeit sehr viel verändert! War früher das Gehalt das Um und Auf, sind nun ganz andere Faktoren wichtig – etwa flexible Arbeitszeiten, 30-Stunden-Woche, Homeoffice-Angebote. Das heißt, der Betrieb muss sich überlegen, was er bieten kann. Und die Arbeitssuchenden haben, wenn sie gut qualifiziert sind, die Möglichkeit, auszuwählen. Und bei dieser Auswahl kommt es auf das Gesamtpaket an. Dabei ist auch das Arbeitsklima eine ganz wichtige Komponente.
Die Auswahl an Arbeitsplätzen ist dann groß, wenn die Wirtschaft floriert. Doch welche Auswirkungen können der Krieg in der Ukraine und die dadurch ausgelösten Engpässe bei Energie und Rohmaterialien auf den heimischen Arbeitsmarkt haben?
Gerhard StraßerDass die Energie teuer ist – und zwar nicht nur Gas, sondern auch Strom und dergleichen –, das sehen wir jetzt schon. Nun kommt es darauf an, wie lange das so ist. Wenn sich der Preis nach kurzer Zeit wieder normalisiert, dann wird auch wieder normaler produziert werden können. Bleibt der Preis hoch oder wird womöglich noch höher, dann ist es für bestimmte Branchen ein Riesenproblem, kostendeckend zu produzieren. Also das heißt, die Unsicherheit in all diesen Bereichen ist da und vor allem ist diese Unsicherheit sehr unberechenbar. Wir wissen ja nicht, wie lange das dauert. Es kann aber auch hoffentlich bald irgendwo wieder Normalität eintreten.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut prognostiziert für 2023 ein Wirtschaftswachstum von nur zwei Prozent …
Gerhard StraßerGeht das Wirtschaftswachstum weiter zurück, dann wird es irgendwann mal wieder leichter, Personal zu finden, dann steigt aber auch die Arbeitslosigkeit. Wobei die zwei Prozent Wachstum noch nicht die Auswirkung hätten, dass die Arbeitslosigkeit gravierend steigt, sondern dann werden wir eine eher gleichbleibende Situation vorfinden. Aber wenn sich das Wachstum dem Wert Null nähert, dann haben wir ein ernsthaftes Problem am Arbeitsmarkt. Dann wird die Arbeitslosigkeit wieder steigen und dann kommt es darauf an, was die Gründe dafür sind, dass die Wirtschaft nicht weiterwächst. Denn das Modell der Kurzarbeit ist ja ein sehr attraktives Instrument gewesen.
Wie kann sich der Staat das dann noch leisten?
Gerhard StraßerNaja, ich habe da schon die These, dass es in sehr vielen Staaten sehr ähnlich abläuft. Es verschuldet sich also nicht ein einzelnes Land, sondern das passiert im Gleichklang. Also da hätte ich nicht die Sorge. Was mir momentan schon etwas Sorge bereitet, ist die Entwicklung der Inflation. Nämlich in zweierlei Hinsicht. Das eine ist, dass Menschen nicht mehr in dieser Form einkaufen können und dadurch weniger Produkte gebraucht werden. Und wir haben immer auch Menschen im Fokus, die mit Arbeitslosengeld leben müssen. Das ist bei diesen Inflationssteigerungen schon wirklich sehr schwierig und bedenklich. Auf der anderen Seite hat die Inflation auch zur Folge, dass sich das Zinsniveau anders entwickeln wird. Ein erhöhtes Zinsniveau wäre für alle Staaten ein Riesenthema, weil Schulden ja in größerer Dimension vorhanden sind.
Im Moment haben wir jedenfalls noch die Situation, dass nicht alle offenen Arbeitsstellen besetzt werden können. Der Arbeitgebermarkt hat sich hin zum Arbeitnehmermarkt entwickelt. Finden Sie diese Entwicklung gut?
Gerhard StraßerDas ist jetzt eine sehr schwierige Frage. Ich finde, am besten ist eine ausgewogene Situation. Aber wenn wir immer noch eine Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent haben, dann gibt es noch Arbeitslose, die einen Job suchen. Nämlich 24.000 in Oberösterreich.
Aber suchen von diesen 24.000 auch wirklich alle einen Job?
Gerhard StraßerDer Großteil auf jeden Fall. Es gibt sicher eine kleine Gruppe darunter, die etwa aus gesundheitlichen Gründen am Arbeitsmarkt keinen Platz finden wird. Wobei „klein“ relativ ist, die absolute Zahl ist natürlich groß, in Prozent aber klein. Früher, vor der Pensionsreform, haben diese Personen eine Invaliditätspension bekommen, durch die Reform sind diese Menschen nun in der Arbeitslosigkeit gelandet. Also ich behaupte, dass von diesen 24.000 in etwa 3.500 Menschen aus gesundheitlichen Gründen ein Problem haben, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Sagen wir, es bleiben 20.000 und die sind am Arbeitsmarkt durchaus auf der Suche und integrierbar. Für diese brauchen wir einen Job. Nun gibt es zwar genügend Jobs, aber eben nicht genau die richtigen. Und bei den Arbeitgeber:innen ist die Situation schon noch so, dass man sagt: Naja, zu alt, vielleicht nicht gesund genug. Und da versuche ich den Arbeitgeber:innen zu vermitteln: Bitte fischt im ganzen Teich aller arbeitssuchenden Menschen, die vorhanden sind.
Das heißt, man soll sich als Arbeitgeber:in ruhig mal trauen, jemanden zu nehmen, von dem man eigentlich nicht so richtig überzeugt ist?
Gerhard StraßerGenau, jemandem eine Chance geben und dadurch selber eine Chance bekommen. Wir geben den Betrieben die Möglichkeit, sich diese Menschen anzuschauen. Und zwar nennt sich dieses Instrument Arbeitserprobung. Und das ist etwas ganz Einfaches: Wir bitten das Unternehmen, diese Person für drei Tage zur Probe zu nehmen. Das AMS trägt die Kosten sowie die Versicherung und nach diesen drei Tagen, manchmal ist es auch ein bisschen länger, entscheiden sich die Arbeitgeber:innen, ob sie die Person im Dienstverhältnis übernehmen. 85 Prozent dieser Erprobungen gehen positiv aus. Das heißt, diese Menschen haben einen normalen, auf Dauer ausgerichteten Job. Und das ist genial, oder?_