Händeringend werden im Pflegebereich aktuell Fachkräfte gesucht. Die Politik arbeitet an verschiedenen Konzepten, um die Situation in den Griff zu bekommen. Im persönlichen Gespräch schildert ein diplomierter Krankenpfleger aus der Kinderonkologie, warum weiteres Personal so wichtig ist.
Bevor Mathias Paulischin zu seiner Zwölf-Stunden-Schicht im Kepler Klinikum aufbricht, kontrolliert der 37-Jährige noch einmal seine Hosentaschen. „Puh, genügend Klebetattoos eingesteckt. Dann kann ich beruhigt losgehen“, denkt sich der Linzer. Er arbeitet als diplomierter Krankenpfleger auf der Kinderonkologie, wo Kinder und Jugendliche von null bis 18 Jahren behandelt werden. Und dort sind die kleinen Körperbemalungen „besonders wichtig“, wie Paulischin im Gespräch mit uns bestätigt. Auch seinen rechten Unterarm zieren ein Regenbogen sowie ein Glitzereinhorn. „Natürlich sind die nicht echt“, grinst der Linzer.
Positive Energie freisetzen
Aber den Kindern zaubern sie stets ein Lachen ins Gesicht. Pfleger Mathias hat auch immer ein Tattoo für seine kleinen Patient:innen parat. „Leider sind die Kinder oft in so einer schrecklichen Situation. Aber mit solchen Dingen kann man für die Kids in kleinen Momenten ganz viel positive Energie freisetzen“, weiß Paulischin. Er selbst hat etwas gebraucht, um dann doch mit 27 Jahren seinen Traumberuf als Krankenpfleger zu finden. „Ich wusste nach der Schule nicht genau, welchen Berufsweg ich einschlagen soll. Ich habe dann einige Jahre als Kellner gejobbt und bin über den Zivildienst zur Pflege gekommen. Dort habe ich gemerkt, dass es für mich nichts Schöneres gibt, als Menschen zu helfen.“ Nach dreijähriger Ausbildung und Praktika auf verschiedenen Abteilungen landete der Linzer dann auf der Kinderonkologie. Schwer erkrankte Kinder leiden zu sehen und oftmals auch nicht helfen zu können – alleine die Vorstellung ist für uns alle schon der absolute Horror. „Es ist natürlich eine Belastung und vor allem für die Eltern und Geschwister der Betroffenen schrecklich. Aber die Frage ‚Warum muss ein Kind leiden?‘ darf man sich nicht stellen. Es gibt nun mal leider diese fürchterlichen Krankheiten. Zum Glück gibt es sehr gute Medikamente und wir bringen sehr viele Patient:innen wieder gesund hinaus“, schildert Paulischin.
Die Kinderonkologie am Kepler Klinikum besteht derzeit aus zehn Zimmern und einer Sterileinheit. Alle Patient:innen können eine Begleitperson mitnehmen. In der großen Stationsküche wird dann oft gemeinsam gekocht. „Viele Eltern der Kinder kennen einander schon. Die Menschen stellen es sich bei uns oft so düster vor. Aber es ist sehr familiär und wir haben Spaß auf der Station. Die aktuelle gesundheitliche Situation ist für unsere Patient:innen schlecht, aber wir halten mit viel Energie und Leben dagegen. Wir behandeln seltene Erkrankungen oft monatelang. Da muss man den Kindern und Jugendlichen das Gefühl vermitteln, dass wir wieder gerade biegen, was da passiert ist“, stellt Paulischin klar. Viele müssen auch nicht ständig im Spital bleiben, sondern können nach der Intensivtherapie wieder nach Hause zu ihrer Familie.
Emotionalster Moment
Doch leider geht es nicht immer gut aus. Zwei bis drei Kinder pro Jahr schaffen es nicht, den Krebs zu besiegen. Paulischin erinnert sich an ein Mädchen, das die Eltern mit nur 18 Monaten aufgrund eines Hirntumors gehen lassen mussten. „Und dann gibt es Menschen, die machen sich Sorgen, weil sie gerade 40 Jahre alt geworden sind. Das ist einfach idiotisch“, schüttelt Paulischin den Kopf.
In seiner knapp zehnjährigen Berufslaufbahn ist ihm ein Moment besonders nah gegangen. „Das berührt mich immer wieder aufs Neue, wenn ich davon erzähle“, beginnt der Pfleger die Geschichte von der damals sechsjährigen Marie (Name von der Redaktion geändert). Das Mädchen litt an einer unheilbaren Erkrankung, durfte schon zu Hause bei ihren Eltern behandelt werden. Im Zuge des externen Pflegedienstes sollte Paulischin zur Blutabnahme vorbeikommen. Vor Ort war die Kleine dann aber schon ganz blass und die Sauerstoffsättigung viel zu niedrig. „Ich habe gemerkt, dass das Mädchen im Sterben liegt. Es war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr wirklich bei Bewusstsein und durfte schließlich zu Hause im Beisein seiner Eltern von uns gehen“, erinnert sich Paulischin.
Erste Nahtod-Erfahrung
Wie der Linzer erfuhr, hatte Marie schon einige Zeit davor eine Nahtod-Erfahrung gemacht. Dabei sagte sie laut ihrer Mutter, sie sei gerade auf Hawaii auf Urlaub gewesen und habe dort so schöne Pflanzen gesehen. Stunden vor ihrem Tod, so erzählte die Mutter dem Pfleger, habe das Mädchen zur Mama gesagt, sie solle die Oma und alle anderen Angehörigen holen, weil sie gehe jetzt bald wieder nach Hawaii … „Die Mutter der kleinen Marie hat mir eine Karte geschrieben und betont, wie wichtig meine Unterstützung für sie und die gesamte Familie war. Sie meinte, ich sei wie eine Hebamme, nur im umgekehrten Sinn, gewesen“, schildert Paulischin die emotionalen Worte und sagt: „In diesem Moment wusste ich, ich habe etwas Gutes getan. Und genau das macht mich glücklich und stolz.“
Selbst nach zehn Jahren kann sich der diplomierte Krankenpfleger, der zusammen mit 28 Pflegekräften und einem interdisziplinären Team auf der Kinderonkologie arbeitet, nicht vorstellen, dass sich junge Menschen nicht für den Pflegeberuf begeistern können. „Der Job hat so viele verschiedene Facetten. Wenn ich einen Job haben will, bei dem ich am Abend weiß, für jemand anderen etwas Sinnvolles getan zu haben, dann bin ich in der Pflege genau richtig.“ Gerade, um wieder mehr Zeit mit den Patient:innen verbringen zu können, hofft Paulischin künftig auf mehr Personal. Dann bliebe auch noch genügend Zeit, um weitere Einhorntattoos zu verteilen …_
Wer für andere etwas Sinnvolles tun will, ist in der Pflege genau richtig.
Mathias Paulischin
Diplom-Krankenpfleger, Kinderonkologie im KUK