Charisma: Erst zuhören, dann senden!
Andere mitreißen und begeistern zu können ist eine Gabe, über die insbesondere Führungskräfte verfügen sollten. Doch nicht jeder scheint dafür geboren zu sein. Die Aussage „Ich kann das nicht, dafür habe ich kein Talent“ lässt Georg Wawschinek allerdings nicht gelten – auch wenn es um Charisma geht. Am Mittwoch, 4. November, erklärt der ehemalige Ö3-Moderator auf der Personal Austria in der Messe Wien, was den Zauber charismatischer Menschen ausmacht. Der Keynote-Speaker vorab im Interview.
Herr Wawschinek, Sie sind Experte für Charisma. Wie definieren Sie diesen schillernden Begriff?
In der Historie gibt es zwei interessante Beispiele: Zum einen den Gott Hephaistos, der in der griechischen Mythologie für die Detailschmiedekunst zuständig war. Der hat seiner werten Göttergattin Aphrodite einen Gürtel geschmiedet, der hat Charis geheißen. Damit hat er Aphrodite endgültig unwiderstehlich gemacht, was zu einer schwierigen Ehe geführt hat (lacht). Da steckt die eine Definition drin, wie wir auch heute für Charisma benutzen, nämlich die unwiderstehliche Anziehungskraft von Menschen. Also jemand, der auf andere so wirkt, dass sie ihm gerne folgen.
Die andere Definition, die meistens verwendet wird, kommt aus der christlichen Mythologie: Da war Charisma die Göttergabe der Eingebung. Und da steckt für mich auch etwas Wichtiges drin – nämlich, dass charismatische Menschen nicht nur gut beim Senden, sondern auch sehr gut beim Empfangen sind. Darum geht es auch in meinem Vortrag auf der Personal Austria: Was muss man können, um gut zu senden? Dafür muss man eben auch zwischendurch gut empfangen und wahrnehmen können. Landläufig gesehen meinen wir mit Charisma, dass jemand eine begeisternde Wirkung hat.
In Ihrer ersten Definition hat die Schönheit der Aphrodite entscheidenden Anteil an ihrer unwiderstehlichen Anziehungskraft. Können auch weniger attraktive Menschen charismatisch wirken?
Also mit Schönheit unbedingt hat’s nicht zu tun, sondern mit dieser strahlenden Wirkung. Aber ich glaube schon – da ecke ich manchmal mit an – dass es ein Gesamtpaket ist. Wenn jemand gut kommuniziert, ist das wichtig. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es bestimmte Äußerlichkeiten gibt, die uns möglicherweise im Weg stehen, wenn wir charismatisch wirken wollen. Ich glaube schon, dass ein gewisses gepflegtes Äußeres dazu gehört. Oder zumindest eine bewusste Erscheinung.
Sie haben gerade das Stichwort Kommunikation genannt. Sind kommunikative beziehungsweise rhetorische Fähigkeiten ein Muss?
Sie müssen dazukommen. Charisma ist letztlich ein Gesamtpaket. Und das ist das, worum es im Vortrag geht, dass man eine Idee bekommt, wie man dieses große Wort in seine Einzelteile zerlegen kann. Das ist wie bei einem Zauberer, da sagt man „Ouuhhh – das ist Magie“. Dabei wissen wir ja ganz genau, dass der Ball nicht wirklich verschwindet oder die Assistentin nicht wirklich zersägt wird, sondern eine bestimmte Technik dahinter steckt. Wenn man den Vorgang Schritt für Schritt nachvollzieht, kann man den Zaubertrick erlernen. Beim Charisma ist es auch so: Wenn man es in seine einzelnen Bestandteile zerlegt, dann kommen wir drauf, dass es erlernbar ist. Kommunikation ist ein wichtiger Teil davon – alle charismatischen Menschen sind sehr wohl im Stande, ihre Botschaften auf den Punkt zu bringen und nicht zu langweilen. Das ist eine dieser Eigenschaften, auf die es ankommt. Nimmt man sie heraus, wird es schwieriger, charismatische Wirkung zu erzeugen. Beziehungsweise muss man, wenn man eine Schwäche hat – was auch okay ist – an einer anderen Stelle seine Fähigkeiten ein bisschen nach oben fahren.
Die meisten Menschen haben aber genau davor Angst: Vor vielen Menschen zu sprechen, sich einem großen Publikum zu stellen. Kann man das auch lernen?
Ja, kann man definitiv. In den 15 Jahren, in denen ich inzwischen als Coach unterwegs bin und Menschen helfe, die auf die Bühne gehen oder Interviews geben, habe ich die Erfahrung gemacht, dass da oft Glaubenssätze mitspielen wie „Ich bin dafür nicht gut genug“ oder „Die interessiert das gar nicht“ oder, was sehr oft mitspielt: „Ich darf jetzt keinen Fehler machen, ich muss perfekt sein“. Das sind typische Hemmnisse, die im Kopf herumspuken und dazu führen, dass man nervös wird, weil man die Erwartungen an sich wahnsinnig hochschraubt.
Der wahrscheinlich wichtigste Punkt – und das ist auch ein ganz wichtiger Bestandteil von Charisma – ist, sich zur eigenen Person zu bekennen, sich Feedback zu suchen, um sich besser einschätzen zu können und sich dann zu sagen: „Das ist jetzt die Person, die ich auf die Bühne stelle und die ist gut genug.“ Das führt dann zur viel gepriesenen Authentizität, die aber hart erarbeitet ist. Ich glaube, da muss man schon wahnsinnig an sich arbeiten, kann aber irgendwann dann auch von sich sagen: „Das passt jetzt.“.
Wichtig ist also, mit sich selbst im Reinen zu sein. Man sollte aber auch von seiner Sache überzeugt sein, also ein gewisses Sendungsbewusstsein entwickeln, oder?
Absolut. Manchmal fragen mich Menschen auch: Was tut man, wenn man etwas nicht sagen möchte? Wie kann man‘s umgehen? Dann empfehle ich schlicht, gar nicht erst anzutreten. Man soll doch bitte was zu sagen haben und dafür auch brennen, das ist ein ganz wichtiger Punkt bei einem Vortrag. Wir dürfen ja nie vergessen: Wenn wir auf eine Bühne steigen, eine Präsentation vor Leuten halten oder ein Interview geben, beanspruchen wir die Zeit dieser Menschen, einen Teil ihrer Lebenszeit. Und da halte ich es für eine heilige Pflicht, diese ernst zu nehmen und nicht zu verschwenden. Es ist okay, wenn man etwas zu geben hat, was die Zuhörer weiter bringt. Ansonsten ist es vielleicht besser, einfach seine Klappe zu halten.
Aber dieser Anspruch setzt mich unter Druck. Dann komme ich doch wieder schnell zu der Überzeugung, es reicht nicht, was ich bin, was ich will und was ich zu sagen habe.
Das ist natürlich schon nicht so einfach. Man muss da ehrlich zu sich sein und sich kritisch hinterfragen, ist das tragfähig, was ich da repräsentiere? Ich habe ja die Biographien von vielen charismatischen Menschen studiert. Die sind durchaus durch schwierige Zeiten gegangen, in denen sie sich sehr kritisch diese Frage gestellt haben, und ich kenne kaum jemanden, der einfach so auf die Bühne gestolpert ist und von heute auf morgen ein großer Redner war. Das ist in der Tat auch ein bissl Arbeit.
Können das auch zurückhaltende, eher stille Menschen schaffen oder arbeiten die besser an anderen Dingen?
Ich finde, dass Talent manchmal überbewertet wird. Da heißt es oft: „Ja, der hat halt Talent, der kann das und tut sich leicht damit.“ Ich habe aber schon oft die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die hart an sich arbeiten, diejenigen mit Talent überholen. Also wirklich besser werden und einen exzellenten Zustand erreichen, während sich die anderen auf ihren Lorbeeren ausruhen und nicht weiter entwickeln. Trotzdem halte ich es für ganz wichtig zu schauen, wo sind meine Schwächen, wo sind meine Stärken? Was kann ich durch Training, durch Übung an Schwäche ausgleichen? Was ist meine Stärke, mit der ich auftrumpfen kann? Ich kenne da wirklich einige ganz tolle Redner mit enormer Bühnenpräsenz und Wirkung.
Für einen Chef reicht es aber nicht aus, ein großer Redner zu sein. Ihr Vortrag dreht sich ja um das Thema Führen mit Charisma. Welche Fähigkeiten spielen noch eine Rolle?
Im Endeffekt bewegt sich eine Führungsperson ja nur auf einer etwas kleineren Bühne, weil sie ununterbrochen von ihren Mitarbeitern umgeben ist, weil sie ununterbrochen Außenwirkung erzeugt gegenüber Kunden, gegenüber Partnern, gegenüber Investoren, gegenüber Journalisten und der Presse. Das ist ja eine ununterbrochene kleine Bühnensituation sozusagen und interessanterweise sind es genau dieselben Eigenschaften, die dann eine charismatische Wirkung erzeugen. Das funktioniert im Kleinen wie im Großen.
Das Beruhigende daran ist, man muss nicht ununterbrochen charismatisch sein. Also charismatische Menschen sitzen jetzt nicht zuhause alleine charismatisch strahlend auf der Couch, sondern man kann das auch im richtigen Augenblick aktivieren. Eine wichtige Eigenschaft für Führungskräfte ist das Zuhören können, also Empathie und Einfühlungsvermögen zu besitzen. Und da sind wir auch schon wieder bei dem Thema Senden und Empfangen: Ein Chef, der gut empfangen kann, der wahrnimmt, wenn etwas los ist im Unternehmen, der fühlt, was in einem Gespräch abläuft, der ein Gespür dafür hat, was gerade benötigt wird, ist überhaupt erst in der Lage, etwas richtiges auszusenden. Das ist die Grundbedingung dafür. Diese Dauersender sind meistens nicht die größten Charismatiker.
Sie sagten es schon: Charismatische Menschen brennen für etwas. Dann kann es aber auch passieren, dass sie ausbrennen. Davon ist ja heute viel die Rede. Wie können sich Führungskräfte davor schützen?
Ein echtes Feuer lässt niemanden ausbrennen. Ich glaube, dafür ist es sehr wichtig, Klarheit über das Warum zu haben, insbesondere für Führungskräfte. Dann ist das ein Feuer, das nie erlischt und auch nicht müde macht, sondern, im Gegenteil, motiviert.
Wie ist es bei Ihnen selbst? Sie sind Journalist, Radiosprecher, Redner – also ein Mensch mit starkem Sendungsbewusstsein. Entspricht das Ihrer Persönlichkeit oder mussten Sie dafür stark an sich arbeiten?
Da war schon eine gewisse Reifungszeit dabei. Also ich habe lange gesammelt, sehr lange geschaut, was ich kann, und musste mir über mein Warum auch erst klar werden. Ich möchte Menschen zum Strahlen bringen und ich glaube, dass die Welt mehr Spaß macht, wenn wir uns für Dinge begeistern. Ich glaube auch, dass die Welt spannender ist, wenn wir uns besser zuhören und daraus etwas gewinnen, was wir dann wieder aussenden können. „Andere haben das Talent, aber ich werde das nie lernen“ – diese Ausrede lasse ich nicht gelten. Das ist Faulheit und ich glaube zutiefst an die menschliche Entwicklung. Das ist es, was uns ausmacht, und das ist mein Warum und mein Feuer.
Können Sie Ihre Begeisterung weiter aufrechterhalten, auch wenn Sie diese Flamme inzwischen schon an zehntausend Menschen weitergereicht haben?
Also sollte die mal enden, dann brauche ich ein anderes Thema.
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