DU BIST, …
Gesundheit – was haben wir selbst in der Hand? Anderen die Schuld zu geben, ist garantiert immer der einfachste Weg. Den Genen zum Beispiel. Der fehlenden Zeit. Dem Arzt oder der Ärztin. Dem stressigen Alltag. Es bringt nur wenig. Drei Expert:innen erklären, wofür wir selbst Verantwortung übernehmen können. Und zwar mit erstaunlicher Wirksamkeit.
#1
… WAS DU ISST.
Jeder hat seine Gene und seine Konstitution mitbekommen. Dafür kann man nichts. Den Rest soll bitte das Gesundheitssystem regeln. Genau diesen Mythos möchte Alexandra Knauer richtigstellen. Die Wienerin ist Ärztin für Allgemeinmedizin, ihre Behandlungsschwerpunkte sind die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), Darmgesundheit und Ernährung. „Ich möchte zeigen, dass wir vieles – natürlich nicht alles – beeinflussen können und damit selbst Verantwortung übernehmen können.“
Darm gut, alles gut?
Eine entscheidende Rolle spiele dabei der Darm. „Schon vor Jahrtausenden hat der Mensch erkannt, dass die Energieaufnahme in Form von Nahrung optimal gelingen muss, damit der Körper seine Funktion aufrechterhalten kann“, erklärt Knauer und widmet sich deshalb vorzugsweise der Behandlung von Verdauungsbeschwerden. Einerseits, weil damit die Wurzel vieler Krankheiten gefunden werden könne und sich 80 Prozent der Immunzellen im Darm befinden würden. Andererseits, weil die Darmgesundheit letztendlich die Patient:innen selbst in der Hand haben. „Meine Patient:innen heilen sich demnach selbst. Ich biete ihnen nur die notwendigen Werkzeuge und Informationen.“
Diese Werkzeuge und Informationen hat sie in ihrem Buch „Meine Darmgesundheitskur“ zusammengefasst. „Wenn man diese Kur macht, merkt man plötzlich, wie gut es einem eigentlich gehen kann, wenn der Darm gut funktioniert. Alles fühlt sich so leicht an, man braucht wenig Schlaf, hat die besten Ideen, ist extrem leistungsfähig – es ist ein traumhaftes Gefühl!“, schwärmt die Ärztin. Im Podcastinterview sprechen wir mit Alexandra Knauer über den Darm und darüber, warum seine Gesundheit so wichtig ist und wie wir genau diese positiv beeinflussen können. Hier ein paar Werkzeuge, um täglich der eigenen Verdauung Gutes zu tun.
# 1 Der beste Messbecher: deine Hände
Wenn der Darm sprechen könnte, dann würde er uns jeden Tag daran erinnern, dass er eigentlich weniger braucht. „Natürlich gibt es auch Menschen, die zu wenig essen, aber die meisten neigen dazu, zu viel zu essen“, sagt Knauer. Ein guter Richtwert seien die eigenen Hände – was in deine zu einer Schüssel geformten Hände passt, ist im Normalfall die Menge, die du auf einmal gut verdauen kannst. „Wenn du bei einer Mahlzeit zu viel auf einmal isst, reichen die Magensäfte nicht aus und der Magen kann mit seinen Bewegungen den Speisebrei nicht ausreichend mit den Verdauungssäften durchmischen, um die Nahrung zu zersetzen.“ Und dann folgt das, was wohl viele kennen: Blähungen, Unwohlsein, Schmerzen, Durchfälle oder Verstopfung.
#2 Pause!
Der Obstkorb und die Kaffeemaschine – allgegenwärtige Begleiter durch den Büroalltag. „Das ist zwar bestimmt eine gute Absicht vom Arbeitgeber, für die Darmgesundheit aber absolut nicht förderlich“, klärt Knauer auf. Der Verdauungstrakt brauche zwischen den drei Hauptmahlzeiten vor allem eines: nämlich nichts. Nichts außer Wasser oder zuckerfreie Tees. Alles andere würde den Verdauungstrakt erneut anregen, doch der braucht die Pause, um in Ruhe arbeiten zu können. Daher: „Man sollte im Idealfall ein Frühstück, Mittag- und Abendessen zu sich nehmen, dazwischen nichts essen, aber natürlich trinken – denn während des Essens bitte nichts oder nur ganz wenig trinken.“
#3 Qualität!
Muss man Bioprodukte kaufen, um sich gesund zu ernähren? „Bioprodukte folgen strengen Auflagen, um die menschliche Gesundheit bestmöglich zu schützen. Deshalb empfehle ich, nach Möglichkeit zu Bioqualität zu greifen, wobei Regionalität und Saisonalität einem Bioprodukt, das den halben Planeten umreist hat, vorzuziehen sind – denn je kürzer die Lieferwege und je frischer die Nahrungsmittel sind, desto mehr Vitamine enthalten sie“, erklärt die Ärztin. Was den Preis angeht, gibt sie zu bedenken, dass es in unserem Konsumverhalten ein paradoxes Muster gibt: „Menschen haben bei Investitionen in materielle Belange weniger Hemmungen, hohe Geldbeträge auszugeben, als bei den täglichen Lebensmitteln, die den eigenen Körper nähren und formen. Beim Autokauf sprechen wir von Eurobeträgen im vier- bis fünfstelligen Bereich. Bei Nahrungsmitteln hingegen wird bereits im Centbereich abgewogen, welche Ware im Einkaufskorb und letztendlich in unseren Körperzellen landet.“
#4 Der Geist isst mit
Und was, wenn man sich super gesund ernährt, die besten Lebensmittel frisch gekocht zu sich nimmt, aber trotzdem unter Verdauungsbeschwerden leidet? Dann hat man wohl die Beilage vergessen, die viele tagtäglich „verspeisen“. Während des Essens am Handy scrollen, noch schnell ein paar E-Mails beantworten oder ein unangenehmes Geschäftsgespräch zwischen jedem Bissen führen. „Stress hat einen erheblichen Einfluss auf die Nerven und in weiterer Folge auf das Stoffwechselsystem und den Hormonhaushalt“, erklärt Knauer. Langfristig wirken sich daher Stress und Hyperaktivität negativ auf die Darmfunktion und in weiterer Folge auf die Darmflora aus. So kann eine anhaltende Stressbelastung sogar die Aufnahmefähigkeit von Nährstoffen beeinträchtigen.
Plötzlich merkt man, wie gut es einem gehen kann, wenn der Darm gesund ist.
Alexandra Knauer
Ärztin für Allgemeinmedizin, Buchautorin
Das Interview zum Anhören ab 10. Jänner 2024
#112 Alexandra Knauer
Warum ein gesunder Darm so wichtig ist.
#2
… WAS DU MACHST.
„Da rennst du bei mir offene Türen ein, das ist genau mein Zugang“, sagt Physiotherapeut Paul Zeiner quasi zur Begrüßung. Menschen ein Handwerkszeug zu geben, damit sie sich selbst gut um sich kümmern können, das sei sein Anspruch. Wir wollen von ihm wissen, wie wir einen sitzenden Beruf mit Bewegung kompensieren können, welche Rolle Bewegung für unsere Gesundheit spielt und wie man herausfindet, welche Art von Bewegung für einen selbst am besten geeignet ist.
Wenn du Patient:innen behandelst – wie oft denkst du dir: Das hätte man eigentlich vermeiden können?
Paul ZeinerWenn ich Patient:innen mit Verletzungen behandle, denke ich mir das nicht, aber immer dann, wenn die Beschwerden mit einem bewegungsarmen Lebensstil assoziiert sind, dann bin ich tatsächlich versucht, das zu denken. Allerdings sehe ich die Verantwortung dann nur zum Teil bei der Einzelperson, sondern schon auch darin, welchen Bewegungsspielraum wir als Gesellschaft geben. Das beginnt in der Schule: Wie kann Bewegung dort gelebt werden? Bis hin zu den Arbeits- und Lebenswelten. Es wäre schön, wenn Bewegungspausen während der Arbeitszeit oder eben auch einfach mal ein Meeting beim Spazieren möglich wären.
Solange das nicht möglich ist – wie kann man einen sitzenden Arbeitsalltag in der Freizeit am besten kompensieren?
Paul ZeinerWichtig ist, dann abends nicht wieder auf der Couch zu landen, sondern strukturiertes Training zu machen. Die österreichischen Bewegungsempfehlungen sind dafür eine gute Orientierung: Man sollte sich jede Woche sowohl hinsichtlich Ausdauer als auch Muskelkraft fordern. Mindestens 150 Minuten pro Woche bei mittlerer Belastung oder 75 Minuten bei höherer Belastung. Und zumindest zweimal pro Woche muskelkräftigende Übungen für große Muskelgruppen. Diese Kombination wirkt sich auf allen Ebenen besonders gut aus. Die Empfehlungen basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bewegung muss aber nicht immer nur Sport sein, wer seinen Garten, sein Haus oder seine Wohnung pflegt, wer ein Kleinkind immer wieder trägt, der bewegt sich natürlich auch.
Inwiefern kann ein strukturiertes Training vor gesundheitlichen Problemen schützen?
Paul ZeinerBewegung spielt eine zentrale Rolle bei der Prävention. Wenn man den Menschen als Summe von Systemen sieht – Muskeln, Nervensystem, Herz-Kreislaufsystem, Hormonsystem, Immunsystem und so weiter –, dann gibt es kaum ein System, das nicht durch Bewegung positiv beeinflusst wird. Strukturiertes Training bedeutet, dass ich weder in einer zu hohen noch in einer zu niedrigen Belastung trainiere. Ich stelle die Muskeln vor die Herausforderung, mache den Körper bewusst müde und gönne ihm dann eine Pause, damit er auch stärker werden kann.
Wie finde ich heraus, welche Belastung für mich weder zu hoch noch zu niedrig ist?
Paul ZeinerDafür ist eine Fachperson natürlich sehr hilfreich. Wobei man sagen muss – wer schon als Kind genügend Bewegungserfahrung gesammelt hat, kann meist relativ gut einschätzen, was einem selbst gut tut. Und dann kann man sich langsam steigern in der Belastung. Problematisch ist es dann, wenn man von einem Tag auf den anderen ins Extreme kippt, dann kommt es schnell zu einer Überlastung.
Angenommen, jemand stellt seine Lebensweise um – von zuvor kaum Bewegung im Alltag hin zu täglicher Bewegung, die er langsam steigert. Wann spürt er die ersten Veränderungen und welche?
Paul ZeinerWas man relativ schnell merkt, ist eine Änderung der Stimmung zum Positiven. Was man auch schnell merkt: eine Steigerung der Kraft und verbesserte Koordination. Das Hirn lernt nämlich ziemlich schnell. Übrigens auch im hohen Alter. Es ist definitiv nie zu spät, mit Bewegung zu beginnen! Wer sich regelmäßig bewegt und seine Muskeln fordert, der hat auch große Vorteile, wenn er eine Verletzung therapieren möchte.
Und wenn jetzt immer noch das Sofa mehr Anziehungskraft hat als die Motivation, eine Runde in den Wald spazieren zu gehen: Gib uns bitte zum Schluss noch einen Motivationsgrund für Bewegung.
Paul ZeinerWir denken viel über unterschiedliche Investments nach und vergessen dabei leider oft auf die beste Investition, die wir überhaupt tätigen können. Nämliche jene in unsere eigene Gesundheit. Das muss auch gar nicht teuer sein, es geht vielmehr um die Zeit, die wir investieren. Der Output ist unbezahlbar: eine wesentlich bessere Lebensqualität, auch im Alter. Welches Ziel kann schöner sein, als ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben mit hoher Lebensqualität bis ins hohe Alter zu führen?
Bewegung spielt eine zentrale Rolle bei der Prävention.
Paul Zeiner
Physiotherapeut
#3
… WAS DU FÜHLST.
Seien wir ehrlich: Die vergangenen Jahre haben ganz schön an unseren Energiereserven gezehrt. Die mentalen Belastungen haben rasant zugenommen und so ist auch die Zahl der psychischen Erkrankungen gestiegen. Diese sind mittlerweile der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen, die dadurch bedingten Arbeitsausfälle dauern dreimal so lange wie bei anderen Krankheiten. Doch es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, psychische Gesundheit ist ein Spektrum. „Betroffen von steigenden Belastungen sind wir alle und je früher wir uns dies bewusst machen, desto besser“, weiß Manuela Schauer, psychologische Beraterin in Ausbildung unter Supervision. Woran wir erkennen können, dass es zu viel wird? „Es passiert schleichend. Anfänglich schläft man vielleicht schlecht, dann bemerkt man, dass man nicht mehr so resilient ist, die Belastungsgrenze schneller erreicht ist oder der Geduldsfaden öfter reißt.“ In jedem Fall gilt: Vorsorge ist besser als Nachsicht.
Dazu, so Schauer, kann jeder selbst etwas beitragen. Das Einüben von positiven Routinen in den Alltag ist erlernbar und läuft in drei Phasen ab: der kognitiven, der assoziativen und der autonomen Phase. Kostet es anfänglich noch Überwindung, haben wir die Routine in Phase drei ganz automatisch in unseren Alltag integriert. „Das heißt: beginnen, durchhalten und zum neuen Alltag machen. Hat man dies geschafft, merkt man einen signifikanten Anstieg der positiven Wahrnehmung, wird mental stärker und um ein Vielfaches stressresistenter.“ Zur Prävention und für mehr mentale Stärke und Zufriedenheit hat Manuela Schauer einige Tipps parat.
- 1 Mach dir bewusst, worauf du Einfluss hast: Wir können nur 30 Prozent aller Dinge, die uns betreffen, beeinflussen, und das sind unsere Gedanken, unser Handeln und wie wir auf Dinge reagieren. Sich dessen bewusst zu werden, ist ein großer Schritt.
- 2 Kenne deine Grenzen und schätze sie: Wir selbst kennen uns und unsere Grenzen am besten. Sie zu respektieren und sich vor Augen zu führen, wie oft man sie eigentlich überschreitet, hilft dabei, sie künftig besser zu wahren.
- 3 Nimm Einfluss auf deine Gedanken: Wir haben 70.000 Gedanken am Tag und 85 Prozent davon sind negativ. Nur wir allein können unsere Gedanken steuern und bewusst entscheiden, worauf wir unsere Energie lenken. Dabei geht es nicht darum, den ganzen Tag positiv zu denken, sondern ehrlich mit sich selbst zu sein.
- 4 Keine Situation dauert ewig: Wenn uns etwas zu viel wird, hilft es oft, sich einzuprägen, dass keine Situation für immer anhält. Morgen ist ein anderer Tag und die meisten Dinge sind nicht so schlimm, wie wir sie uns in unseren Gedanken ausmalen. Auch wenn man anerkennt, dass man eine Sache im Moment nicht ändern kann, ist dies ein Weg zu mehr Wohlbefinden.
- 5 Memo an mich: Bei den vielen Aufgaben, die tagtäglich zu erledigen sind, vergessen wir oft, was wir schon alles geschafft haben. Aufzuschreiben, welche Dinge positiv gelaufen sind, zeigt, dass wir vielleicht schon viel mehr erledigt haben, als uns in diesem Moment bewusst ist._
Es geht nicht darum, den ganzen Tag positiv zu denken, sondern ehrlich mit sich selbst zu sein.
Manuela Schauer
psychologische Beraterin in Ausbildung unter Supervision
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