Wenn Frust den Erfinder weckt
In einem kleinen Büro in der Linzer Humboldstraße arbeiten kreative Köpfe an der Smartphone-App
evntogram. Die Anwendung könnte die Event-und Musikbranche gehörig durcheinander wirbeln.
Christian Derwein resigniert. Seit Stunden durchstreift er mit seinen Freunden die Straßen Londons. Das Ziel: Ein Nachtclub mit angenehmer Atmosphäre, in dem elektronische Musik aufgelegt wird. Die Bars in der Umgebung sind überfüllt oder treffen den Geschmack der Reisenden nicht. Schließlich holen sie ihre Smartphones heraus, suchen im Internet nach einer passenden Location. Ohne Erfolg. „Das bringt doch nix mehr“, murmelt Derwein, der Abend wird vorzeitig abgebrochen, es geht zurück ins Hotel. Ein Desaster. Eigentlich wollte der junge Mann nach dem Konzert von Jack Johnson bis in die frühen Morgenstunden in der Metropole feiern – bevor er daheim in Linz wieder an seiner Diplomarbeit zum Thema „Markteintrittsstrategien Net-Economy am Beispiel von Start-Ups in Österreich“ weiterarbeiten muss. Dass er bald selbst ein Start-Up-Unternehmen gründen wird, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
„Wir sind wie die Wahnsinnigen von Club zu Club gerannt“, wird sich Derwein später an den Kurzurlaub erinnern. Trotzdem – es sind gute Erinnerungen. Denn auf der Heimreise im Flugzeug hat der Student eine Idee. „Damit so etwas nicht mehr passiert brauchen wir eine Handy-Application, die Konzerte und Events in der Nähe vorschlägt! Die weiß, welche Musik und welche Künstler wir mögen, und welche Bars unsere Facebook-Freunde schon besucht haben!“ Daheim setzt sich Derwein sofort an den Computer, recherchiert. Er findet zwei Dinge heraus. Erstens: So eine App gibt es noch nicht. Zweitens: Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Immer mehr Songs und Alben werden illegal heruntergeladen. Die Künstler müssen deswegen ihr Geld mit Konzerten verdienen. Die Eventbranche boomt. Er beschließt: So eine App mache ich. Sobald meine Diplomarbeit fertig ist.
App erkennt Musikgeschmack
Zwei Jahre später. Christian Derwein sitzt an seinem Schreibtisch in der Linzer Humboldstraße. Die Diplomarbeit ist längst fertig, die Application soll es bald sein. Er arbeitet an dem Logo für evntogram, immer wieder ändert er die Farbschattierungen. Dazwischen vibriert das Handy. Der junge Unternehmer runzelt die Stirn – und drückt den Anrufer weg. Zwei Mal. Endlich ist er mit seiner Arbeit zufrieden und lehnt sich zurück. „Ich hol mir schnell einen Kaffee und dann besprechen wir alles“.
Evntogram verarbeitet Informationen von sozialen Webseiten wie Facebook und Musikplattformen wie Last.fm und Spotify. Dadurch erkennt die Software den Musikgeschmack und die Vorlieben der Benutzer. Denen werden dann passende Konzerte und Events in ihrer Nähe vorgeschlagen – mit der Möglichkeit, Karten dafür zu kaufen. „Verpass nie wieder etwas“, heißt es in einem kurzen Film, die auf der evntogram-Homepage zu finden ist.
Doch die Application soll noch mehr zu bieten: „Wir sprechen auch Bands an, die einen Zugang zu ihren Fans suchen“, sagt Derwein. Ein Beispiel: Die Gruppe Laserkraft aus Mannheim hat einen Auftritt in Hamburg. Über die App können die Künstler künftig herausfinden, wer ihre größten Fans in der Hansestadt sind und direkten Kontakt mit ihnen aufnehmen. Etwa um ihnen zum Dank für ihre Treue Freikarten zu schenken. Oder um sich von Groupies die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen zu lassen. Die Anhänger steigern ihren „Fan-Rank“ dadurch, dass sie an vielen Konzerten teilnehmen oder ihre Freunde dazu einladen. Gleichgesinnte könnten sich online kennenlernen und über ihre Lieblingsband austauschen, und dann auf den Konzerten Kontakt aufnehmen.
Den Planung für evntogram hat Derwein bald abgeschlossen. Schwierigkeiten bleiben ihm in der Anfangsphase aber nicht erspart. „Es war nicht leicht, die passenden Mitarbeiter zu finden“, erzählt er. Doch dann erinnert sich der 35-Jährige an Sandor Herramhof. Den IT-Experten lernte er auf einem Event für Start-Ups kennen. Als er ihm sein Konzept vorlegt, ist dieser begeistert: „Herst oida, das ist so geil, da bin ich dabei“. Eine große Erleichterung für Derwein. Gemeinsam mit Herramhof gründet er evntogram, selbst in der Rolle des CEO, der Mitgründer wird CTO.
Doch den beiden fehlt noch jemand, der die App programmieren kann. Sie versuchen, einen Entwickler zu überzeugen, als Freelancer an der Anwendung zu arbeiten. Verdammt schwierig. „Jeder von denen hat so viel Kohle bekommen“, erklärt Derwein. Denn der App-Markt boomt, IT-Firmen auf der ganzen Welt suchen nach Spezialisten, entlohnen sie fürstlich für ihre Dienste. Trotzdem gelingt es den beiden Gründern, die Hagenberger Studenten Rafael Grill und Julia Waltl anzuwerben.
Star-DJ als Marketingchef
Und noch ein Ass kann Derwein aus dem Ärmel zaubern: Hannes Reinthaler als Marketingchef. In der Musikszene ist der junge Mann besser als Dj iPunk bekannt, seit zehn Jahren legt er elektronische Musik auf. Mittlerweile produziert er sie sogar selbst – zum Beispiel einen Remix für die Zweitband von Linkin-Park- Frontman Chester Bennington. Musikfestivals wie Frequency, Beatpatrol oder Pressure werden von Reinthaler mitveranstaltet. Die Vorteile für das Start-Up liegen auf der Hand. Dadurch kann er auf Festivals direkt hinter der Bühne mit den Acts in Kontakt treten und sie von evntogram überzeugen. Die Künstler würden begeistert auf die App reagieren. Für den iPunk kein Wunder. „Schließlich haben alle was davon: Die Bands, die Veranstalter, die Fans – und letztendlich natürlich auch wir“, sagt Reinthaler. Mit der Hip-Hop und Elektropunk-Gruppe Deichkind ist etwa schon eine Zusammenarbeit ausgemacht.
Mittlerweile arbeiten insgesamt sieben Mitarbeiter an evntogram, vier sind an diesem Mittwoch Vormittag im Büro. Der kleine Raum ist spartanisch eingeräumt. Skizzen und Screenshots von Testversionen heften an einer Pinnwand. Daneben hängt ein eingerahmtes Plakat an der Wand. „Live your dream and share your passion“ und ähnliche Sprüche sind darauf zu lesen. „Das ist die inoffizielle Bibel für Start-Ups“, erzählt Derwein. „Immer wenn mich alles anfuckt, dann les ich mir die Sprüche durch und es geht mir sofort besser“. Sogar daheim am Klo hat sich der Unternehmer ein Exemplar aufgehängt.
Die Arbeitsfläche wird den Entwicklern von Akostart oö zur Verfügung gestellt. Die Organisation ist das erste akademische StartUp-Netzwerk Österreichs und fördert Projekte wie evntogram und unterstützt mutige Jungunternehmer. Mit sechs anderen Startup-Unternehmen teilen sich die Entwickler von evntogram das Großraumbüro in der Humboldstraße. Es ist in mehrere Bereiche geteilt, einen regen Austausch gibt es unter den kreativen Köpfen trotzdem. „Wenn jemand etwas neues herausgefunden hat, dann ruft er alle zusammen und erzählt was darüber“, sagt Derwein. In einem Aufenthaltsraum wird zur Entspannung gemeinsam X-Box gespielt, gequatscht und Kaffee getrunken.
Derzeit läuft die Beta-Phase, Anfang 2013 soll evntogram in Österreich auf den Markt kommen. Klappt alles, wird die Application danach Deutschland, Großbritannien, Spanien und Frankreich erobern – so das ambitionierte Ziel von Derwein. Das Gebot der Start-up-Bibel hätte das Team dann auf jeden Fall befolgt: „Live your dream and share your passion“.
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