
Vom Denken wie Wikinger und von KI auf Steroiden
Als „Leistungskultur verwurzelt in Werten“ beschreibt Wirtschaftsphilosoph Anders Indset das Geheimrezept der goldenen Generation norwegischer Spitzensportler, die in den 2020er-Jahren bisher nicht nur durch ihre Erfolge glänzen, sondern vor allem auch durch ihre Demut und Integrität. Auf der Zutatenliste: Entschlossenheit, Ruhm und Fair Play im Einklang miteinander. Eine Kultur, von der Wirtschaft, Politik und Unternehmertum etwas lernen können.
Wer sich der Leistungsfähigkeit der Norweger bisher nicht bewusst war, stand gewiss noch nie im Tor, wenn Ausnahmefußballer Erling Haaland mit 36 Kilometern pro Stunde – und das bei einer Größe von 1,94 Metern – aufs Tor stürmt. Als „Naturgewalt“ und „nicht menschlich“ beschreiben jene die Situation, die sie bereits durchlebt haben. Nach seinem Durchbruch bei Red Bull Salzburg entwickelt sich der norwegische Topstar innerhalb von nur wenigen Jahren zu einem der wertvollsten Spieler der Welt. Eine fast märchenhafte Story, sagen die einen. Nicht nur reiner Zufall, sagen die anderen. Zu diesen „anderen“ zählt Bestseller-Autor und Keynote-Speaker Anders Indset. Wir haben den Deeptech-Investor – dessen Name allein schon ein „anderes Mindset“ vermuten lässt – auf der Veranstaltung „Land der Möglichkeiten“ im Linzer Musiktheater getroffen und zum Interview gebeten.
Der Titel eines deiner Bestseller lautet: „Der Wikinger-Kodex – Warum Norweger so erfolgreich sind“. Was können wir uns in Österreich davon abschauen?
Anders Indset: Zunächst müssen wir uns fragen, was Erfolg genau ist. Stell dir einen Marathon vor, bei dem du eine Ziellinie und eine Zeit hast, die du dafür brauchst. Die Magie steckt weder im Endziel noch in der benötigten Zeit – sie liegt in jedem einzelnen Schritt. Wer sich denkt: „Geiler Schritt, geiler Schritt, geiler Schritt …“, der lernt, spürt, erlebt und nimmt vor allem seinen eigenen Fortschritt wahr. Eine wichtige Erkenntnis, denn diese Wertschätzung bedeutet für mich im Kern, erfolgreich zu sein. Man erlebt dadurch häufiger Erfolge als Scheitern – und wenn das überwiegt, ist der Anreiz zum Ausprobieren und Weitermachen stärker als die Angst vor dem Misslingen. Das führt zu hohem Output und zu hoher Qualität.
Du hast in verschiedenen Ländern gelebt und gearbeitet. Inwiefern haben diese Erfahrungen deine Sicht auf globale wirtschaftliche und soziale Herausforderungen geprägt?
Anders Indset: Ich zähle zu den Glückspilzen, die nie dort leben mussten, wo echte Armut und großes Leid herrschen. Die US-Amerikaner stehen für Individualismus, die Norweger für eine werteorientierte Kultur, während ich in Österreich die Nähe und Verbundenheit zur Natur liebe, die Identität stiftet. Trotzdem glaube ich, dass das Nationalstaatskonstrukt wenig Sinn ergibt – vermutlich werden wir viel lokaler werden. Menschen unterschiedlicher Kulturen und Hintergründe werden in ihren Städten eine gemeinsame Identität finden, die lokal, aber mit einer globalen Zugehörigkeit ist.
Passend zur Veranstaltung, auf der es um Möglichkeiten geht: Solche zu schaffen und zu erkennen, ist das eine – sie aktiv zu nutzen, das andere. Wie gelingt uns beides?
Anders Indset: Wir sprechen immer von Mut und Resilienz, aber was bringt uns das, wenn wir unsere Chancen nicht erkennen? Dazu müssen wir die Zukunft antizipieren, also das „Jetzt“ mit Blick auf die Zukunft gestalten. In den Energiesektor investieren derzeit viele, weil sie wissen, dass wir massiv Energie brauchen werden. Je mehr Geld in diesen Sektor fließt, desto schneller beschleunigt sich die Transformation. Dadurch entsteht ein Wettbewerb, in dem sich die effizienteste Form der Energie durchsetzen wird. Eine provokante These wäre jetzt etwa: Fliegen billig zu machen und Airlines zu fördern, damit diese große Gewinne machen, um wiederum in Forschung und Entwicklung zu investieren. Schließlich sind diese Ausgaben sonst die ersten, die in schlechten Zeiten gestrichen werden – das verlangsamt wieder die Innovation und ist im Endeffekt nichts anderes als Sterben auf Raten. Mit solchen Überlegungen müssen wir spielen, um die Zukunft zu antizipieren. Dafür brauchen wir Menschen, die reflektieren können, statt Bildung, bei der sich alles nur um Abschlüsse dreht. Bildung ist der richtige Weg zum Fortschritt, aber dieses Modell ist tot.
Du sagst: „Die Zeit des Jammerns darüber, dass wir am Tisch globaler Entscheidungen in den Bereichen Wirtschaft, Technologie und Geopolitik fehlen, muss enden. Den Platz am Tisch erarbeiten wir uns.“ Klingt leichter gesagt als getan, oder?
Anders Indset: Wir haben in Europa eine reaktive, teils reaktionäre technologische Gesellschaft. Deshalb hinken wir den Trends hinterher und bewegen uns ökonomisch ins Abseits. Nun sind wir aber bei Themen wie der Quantentechnologie und Robotik ganz vorne mit dabei, weshalb wir dringend Kapital zum Skalieren benötigen. Natürlich haben die USA ein Interesse daran, Europa zu spalten, weil wir so leichter zu kontrollieren sind. Aber wir brauchen jetzt ein vereintes Europa, das sich mit seinen Werten und seinem technologischen Know-how seinen Platz am Tisch erkämpft. Wirtschaftliche Stärke und technologischer Fortschritt verschaffen uns das Ticket zum Mitreden – nicht Reaktivität.
Die Verbindung aus Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie – Quanten-KI – beschreibst du als „KI auf Steroiden“. Sollte uns das Mut oder Angst machen?
Anders Indset: Ja!
Also beides?
Anders Indset: Das volle Potential der KI entfaltet sich erst noch und wir haben heute schon Quantenalgorithmen, die besonders effizient sind. Natürlich ist die Verbindung aus beidem dann entsprechend stärker, weil diese die KI optimieren und erweitern. Von stabilen Quantencomputer, die revolutionäre Berechnungen durchführen können, sind wir hingegen noch Jahre entfernt. Damit werden wir sowohl etwa Krankheiten heilen als auch Armut bekämpfen, aber eben auch Waffen bauen können.
Wie relevant bleiben wir dann noch: War die KI unsere letzte große Erfindung?
Anders Indset: Ich nenne es die letzte narzisstische Kränkung der Menschheit. Wir glauben, dass wir eine digitale Superintelligenz extern schaffen können, quasi so, als würden wir als kleines Individuum Gott erschaffen. Das ist so menschlich. KI ist heute schon verdammt kreativ, vieles wird replizierbar, ersetzbar. Das Einzige, was ich als menschlich wahrnehme, ist unsere subjektive Wahrnehmung: spürbar hier und jetzt, das lässt sich nicht einfach wegradieren. Dahingehend sind wir fantastische Wesen, die zu Fehlern und unlogischen Verhaltensmustern im Stande sind. Aber wie wesentlich ist das, wenn wir alles simulieren können?_
# Gedankensprung
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Redaktion
- David Bauer
Fotos
Alex Kraus