Handwerk 4.0 – Was ist das?
Im Bereich Digitalisierung wird den Gewerbe- und Handwerksbetrieben im Vergleich zur Industrie häufig ein gewisses Nachhinken nachgesagt. Völliger Blödsinn, so die Sprecher der mit Abstand größten Sparte in der Wirtschaftskammer Oberösterreich (WKOß).
Industrie 4.0. Das Schlagwort ist seit einigen Jahren allgegenwärtig. Handwerk 4.0 wird dagegen nicht wirklich verwendet. Warum eigentlich? „Die Industrie bewirbt die Digitalisierung im Vergleich zum Gewerbe und Handwerk in der ßffentlichkeit viel mehr und hat damit den Begriff allgegenwärtig gemacht“, so die Erklärung von Michael Pecherstorfer, Obmann der Sparte Gewerbe und Handwerk in der WKOß. „Die Gewerbe- und Handwerksbetriebe hinken der Industrie bei der Umsetzung der Digitalisierung aber nicht nach“, widerspricht
Pecherstorfer dem häufig gehörten Vorurteil. Die Unternehmen wüssten, dass sie von der Digitalisierung profitieren würden und dementsprechend viel werde in dem Bereich gemacht. Der große Unterschied zur Industrie sei deren branchenspezifisch völlig unterschiedliche Aufstellung. „Unter den rund 50.000 Gewerbe- und Handwerksbetrieben in Oberösterreich befinden sich Tischler, Friseure, Konditoreien, Metallverarbeitungsbetriebe oder Sprachdienstleister, um nur einige Beispiele zu nennen, und diese haben alle völlig unterschiedliche Voraussetzungen für die Digitalisierung“, sagt Heinrich Mayr, Spartengeschäftsführer Gewerbe und Handwerk in der WKOß.
Drei Beispiele für erfolgreiche Digitalisierung in oö. Gewerbe- und Handwerksbetriebe, bei denen man die Breite an aktuellen Digitalisierungsprojekten sieht:
01 Oß Blitzschutz
Die Linzer Firma mit rund 30 Mitarbeitern digitalisierte zwischen 2012 und 2015 den gesamten Arbeitsprozess für einen sechsstelligen Betrag. „Wir haben nun für alle Prozesse, von der Bestellung über den Warenfluss auf der Baustelle bis hin zur Zeitaufzeichnung, den Bürotätigkeiten und der Dokumentenablage, ein durchgängiges digitales System“, erzählt Geschäftsführer Stefan Thumser. Auslöser dafür war der Bedarf an zusätzlichen Mitarbeitern und der Umstand, dass man diese aber nicht aufnehmen hat können, weil der Administrationsaufwand höher geworden wäre als die zusätzliche Wertschöpfung. Man begann daher, den gesamten Arbeitsprozess mit einem externen Berater zu durchleuchten und neu aufzustellen: „Wir haben dabei etwa bemerkt, dass wir Daten an verschiedenen Stellen erfasst und damit mehrfachen Aufwand hatten “ nachdem das schon immer so gemacht wurde, hat das aber bisher niemand hinterfragt.“
Die größte Herausforderung bei der Digitalisierung war laut Thumser der Faktor Mensch. Man müsse jeden einzelnen Mitarbeiter bei diesem Prozess so mitnehmen, dass er die Veränderungen als positiv erlebt. Und Thumser gibt auch ganz ehrlich zu: „Obwohl wir viel Zeit und Geld in Form von einer externen Begleitung dafür investiert haben, war es im Endeffekt trotzdem zu wenig.“ Besonders Leute aus Bereichen, in denen die Vereinfachung der Arbeitsprozesse am heftigsten gefordert wurde, hätten sich bei der Umstellung am schwersten getan. Die Transparenz im Unternehmen ist gestiegen und das habe bei einigen Mitarbeitern ein gewisses Unbehagen ausgelöst. Umgekehrt hätten die Montagemitarbeiter die Digitalisierung entgegen der Erwartungen des Geschäftsführers am besten und schnellsten angenommen. Thumser erklärt sich das damit, dass sich deren Papierarbeit reduziert hat, sie sich damit mehr auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können und damit die Wertschätzung der Arbeit besser ankommt.
Die Probleme sind aber mittlerweile vergessen: Der Produktivitätsgewinn war enorm, nach rund drei Jahren waren die Investitionskosten wieder eingespielt. Man hat mit fünf bis sechs Jahren gerechnet. Die Einschulung neuer Mitarbeiter würde mit dem neuen System wesentlich schneller gehen, es könne nun ortsunabhängig gearbeitet werden “ dies ermögliche die Integration externer Partner oder auch die Weiterbeschäftigung einer Mitarbeiterin, die nach Italien gezogen ist: „Die Kollegin arbeitet weiterhin so, als würde sie im Büro sitzen“, freut sich Thumser, eine hochqualifizierte Mitarbeiterin nicht verloren zu haben.
Die Industrie bewirbt die Digitalisierung im Vergleich zum Gewerbe und Handwerk in der ßffentlichkeit mehr, aber sie ist bei der Umsetzung überhaupt nicht voraus.
Michael Pecherstorfer
Spartenobmann Gewerbe & Handwerk, WKOß
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