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sich von einem individuellen Denken hin zu einem
            gemeinschaftlichen Denken entwickeln. „Organi-
            sationen sind nach wie vor sehr durchgemanagt.
            Man glaubt, nur wenn man etwas messen kann,
            hat es einen Wert. Dabei gibt es viele Dinge, die
            man zwar gemeinsam bewerten kann, um daraus
            zu lernen, die man aber nicht messen kann.“ Sech-
            ser verweist auf Studien, die nachweisen, dass das
            Messen von Einzelleistungen die Teamarbeit hin-
            dert, denn: „Vergleiche zwischen Menschen ver-
            mitteln ein falsches Verständnis von Leistung.“
            Sie schlägt vor, dass alles, was an Einzelleistungs-
            messung und -anreizen in Unternehmen passiert,
            am besten eingestellt werden sollte. „Es wäre rat-
            sam, mit dem Aufhören anzufangen“, formuliert
            sie treffend. Zu fragen: Erzeugen wir in unserer
            Organisation irgendetwas, das unserer Attraktivi-
            tät schadet, und wenn ja, können wir damit auf-     Wir sollten Unternehmen nicht als
            hören? Dazu gehören laut Sechser auch alte Instru-
            mente wie Zielvereinbarungsgespräche, denn: „Ein      Ansammlung von menschlichen Ressourcen
            gemeinsam vereinbartes Ziel im selbstorganisierten
            Team ist eine viel stärkere Form der Führung, als      sehen, sondern als lokale, selbstorganisierte
            sie jede Führungskraft schaffen könnte.“
                                                           Gemeinschaften.
            Weitergedacht
                                                        Elisabeth Sechser,
            Was hat das nun konkret mit dem Fachkräfte-  Organisationsentwicklung, Sichtart
            mangel zu tun? So einiges! Organisationen, die
            Menschen dazu einladen, sich einzubringen und
            gemeinsam erfolgreich zu sein, stärken ihre eigene
            Attraktivität und die Mitarbeiterbindung. Men-  se Neuausrichtung aussehen kann. „Dafür gibt es
            schen denken und handeln anders, wenn sie Ein-  kein Patentrezept und es sind alle gefordert, hier
            fluss auf die Unternehmensgestaltung haben. Das   gemeinsam nachzudenken“, weiß Sechser.
            allein macht den Mangel zwar nicht wett – er ist
            wie gesagt ein komplexes Symptom –, aber die   Übrigens: 40 Prozent der Jobs, die es 2030 geben
            Teilhabe am Erfolg als unternehmerische Teams ist   wird, sind noch nicht erfunden. Die Zukunft kön-
            ein viel höherer Attraktor als die Illusion von An-  nen wir also nicht planen, aber wir können per-
            reizung.                                    manent in Vorbereitung sein und jetzt Bildungs-
                                                        orte und -angebote für Menschen schaffen, um
            Am heutigen Arbeitnehmermarkt habe man sich   sich bestmöglich einbringen zu können. Und was
            gemeinsam in eine Pattsituation getrieben. Arbeit-  uns zugutekommt: „Der Mensch ist ein intrinsisch
            nehmer:innen fordern immer mehr im Recrui-  motiviertes, hoch lernfähiges und anpassungsfähi-
            tingprozess, Arbeitgeber haben das Gefühl, immer   ges Wesen, denn sonst wären wir schon lange nicht
            mehr bieten zu müssen. Dabei sollte viel mehr   mehr hier.“ Also sehen wir den Mangel als Chance
            über die Arbeit selbst und darüber, wie man sich   für einen Umbruch in unserer Wirtschaft und Ge-
            dort gut einbringen kann, geredet werden, meint   sellschaft._
            Sechser. „Wir sollten Unternehmen nicht als An-
            sammlung von menschlichen Ressourcen sehen,
            sondern sie bestehend aus lokalen, selbstorgani-
            sierten Gemeinschaften betrachten. Und Partizi-
            pation in diesen Gemeinschaften heißt auch, zu    5 Stellschrauben,
            eruieren, welchen Rahmen das Team braucht, um
            gut arbeiten und unternehmerisch erfolgreich sein   an denen beim Fachkräftemangel gedreht werden sollte
            zu können – in guten wie in schlechten Zeiten“,
            so Sechser.                                    #1 Wirtschaft ganzheitlich denken
                                                           #2 partnerschaftliche Gemeinschaft statt
            Und was jetzt?                                 Individualisierung in Organisationen
                                                           #3 Bildungs- und Arbeitsorte schaffen,
            Einige Branchen, sei es der Gesundheits- und So-  die den Menschen entsprechen
            zialbereich, der Bildungsbereich, Kunst und Kul-  #4 den Wert von Unternehmen für die Gesellschaft bewusst sehen
            tur oder die Gastronomie, müssten generell neu
            gedacht werden. Hier kann der Fachkräftemangel   #5 kritisches Hinterfragen der Art, wie wir Organisationen
            eine  Chance  sein,  grundlegende  Strukturen  zu   gestalten: Wo ist die attraktive Alternative?
            verändern und kritisch zu hinterfragen, wie die-


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