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Leben bleibt, als dies als Bezieherin
der Mindestsicherung der Fall wäre.
Der Leiter der Abteilung Sozial- und
Rechtspolitik der WKOÖ, Erhard Prug-
ger, spricht in diesem Zusammenhang
wiederum vom „Arbeitsplatzkiller So-
zialstaat“, da zum Teil verhindert wer-
de, dass Leute Jobs annehmen und
der Sozialmissbrauch gefördert werde.
Wird Leistung tatsächlich nicht mehr
ausreichend belohnt? „Ich bestreite,
dass wir eine leistungsgerechte Ge-
sellschaft sind“, so Anschober, „Ich
bin der Meinung, dass Leute, die hart
arbeiten, oft nicht ausreichend dafür
entlohnt werden. Das hat mit der Ver-
teilung der Steuerlast, der viel zu star-
ken Besteuerung der Arbeit und dem
Mindestlohn zu tun, der meines Erach-
tens in Österreich viel zu gering ist.“
Den Unterschied zwischen der Min-
destsicherung und jenen, die in nicht
sehr gut entlohnten Jobs tätig sind, zu
schaffen, könne man auf zwei Arten.
Dabei gehe es immer um die Fakto-
ren Arbeitsanreiz und Menschenwürde.
„Entweder man reduziert die Mindestsi-
cherung, die aber eigentlich als letzte
Absicherung und Chance gedacht ist,
bis die Menschen nicht mehr davon
leben können. Das halte ich für ein –
nach OECD-Standards – reiches Land
wie Österreich für menschenunwür-
dig. Die zweite Option ist: Ich schaffe
eine menschenwürdige Mindestsiche- PERSÖNLICHES
rung und erhöhe gleichzeitig dazu den
Mindestlohn. Das wäre mein Zugang:
Mindestlohn schrittweise erhöhen“, so Sie haben die pädagogische Akademie in Salzburg abgeschlossen
der Integrations-Landesrat. Die Tat- und waren lange als Volksschullehrer tätig. Hilft das im Umgang mit
sache einer nicht leistungsgerechten schwierigen Politikerkollegen?
Gesellschaft beruhe auf einem Ver- So anmaßend bin ich nicht (lacht). Ich war ja Volksschullehrer und
teilungsproblem, nicht auf einem So- Journalist, eine spannende Mischung. Am Vormittag in der Volksschule
zialstaat, der Arbeitsplätze vernichten hatte ich mit Kindern zu tun, die sehr geradlinig und lebensfroh sind. Am
würde: „Wenn sieben Menschen so viel Nachmittag habe ich dann gesehen, was eigentlich noch an Veränderung
verdienen wie die Hälfte der Weltbevöl- in der Gesellschaft notwendig wäre.
kerung, dann glaube ich nicht, dass die
sieben so viel leisten wie die Hälfte der Was sind die persönlichen Lehren, die Sie aus Ihrer Burn-Out-Zeit
Bevölkerung. Das Kämpfen für mehr gezogen haben? Dass du nicht mit dem Kopf durch die Wand kannst.
Fairness und Gerechtigkeit hat nichts
Klassenkämpferisches, sondern etwas Was würden Sie einem Jungpolitiker am Anfang seiner Karriere
Notwendiges.“ Notwendige, langfristi- raten? Es zu tun, Politik zu wagen.
ge Visionen hat Anschober auch nach
vierzehn Jahren in der Landespolitik Was bewegt Sie im Moment am meisten?
noch genügend, die Maxime sei, einen Das Gefühl, dass wir an einer historischen Weggabelung sind.
kleinen Schritt nach dem anderen zu
tun: „Ich träume von einer zukunftsfä- Was ist das Verrückteste, das Sie bisher in Ihrem Leben gemacht
higen, solidarischen Gesellschaft. Es haben? Kein Kommentar (lacht).
sind winzige und sehr kleine Schritte,
um die es hier geht. Wenn ich nach ein Welche drei Dinge würden Sie als Bundeskanzler sofort ändern?
paar Jahrzehnten Politik sagen kann, Mit dem Regierungspartner eine andere politische Kultur vermitteln.
ich habe mich ein paar Meter in Rich- Gemeinsam mit den Schulsprechern das Bildungssystem verbessern.
tung meines Traumes bewegt, dann Nach Brüssel fahren und schauen, welche solidarische Rolle Österreich
stehe ich als 80-Jähriger vor dem in Europa einnehmen kann.
Spiegel und denke mir, das hat jetzt
wenigstens Sinn gemacht.“_
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