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„WIR STEHEN VOR EINER HISTORISCHEN


      RICHTUNGSENTSCHEIDUNG“





       Diese Tatsache beschäftigt den grünen Landesrat Rudi Anschober im Moment am meisten. Kein
       Politiker habe vor solch einer Weggabelung ein Patentrezept für die Lösung sämtlicher Probleme. An eines
       glaubt er aber sicher: Gemeinsam lässt sich mehr bewerkstelligen als gegeneinander. Was es mit Mut in der
       Politik auf sich hat, warum der Appell für mehr Solidarität nichts Klassenkämpferisches habe und was er
       über den „Arbeitsplatzkiller Sozialstaat“ denkt, hat er uns persönlich verraten.

                                          Politiker  zu  sein  ist  oft  eine  Gratwan-  hat. In Oberösterreich gibt es seit Ende
                                          derung.  Einerseits  will  man  das  Ver-  2015  zudem  eine  schwarz-blaue  Koa-
                                          trauen, das die Wähler in einen setzen,   lition und die FPÖ liegt bei den Sonn-
                                          nicht enttäuschen, andererseits muss   tagsfragen in Führung. Bei der Frage,
                                          man  mit  konträren  ideologischen  Po-  ob  der  Mut  zu  menschlicher  Politik
                                          litikerkollegen zusammenarbeiten und   gefehlt habe, überlegt Anschober lan-
                                          sachliche Kompromisse finden. Dabei   ge und genau, gehe es doch in dieser
                                          wird  man  häufig  an  getätigten  Aussa-  Frage um eine Richtungsentscheidung,
                                          gen  und  Statements  gemessen.  Die   die wir sowohl in den USA als auch in
                                          Aussage von Rudi Anschober bei unse-  Europa  erleben.  „Die  Bundespräsi-
                                          rem letzten Interview vom 17. Septem-  dentenwahl  war  gekennzeichnet  von
                                          ber 2015 ist eine solche: „Wenn wir den   dieser  Richtungsentscheidung:  Wofür
                                          Mut haben, einen aufrechten Gang an   steht  man?  Für  eine  solidarische  Ge-
                                          menschlicher  Politik  zu  gehen,  dann   sellschaft,  für  ein  europäisches  Mit-
                                          wird es auch gelingen, dass die Bäume   einander oder für Spaltung und einen
                                          der  FPÖ  nicht  in  den  blauen  Himmel   Rückfall  in  nationalstaatliche,  klein-
                                          wachsen.“                          staatliche  Strukturen?  Das  Risiko  ist
                                                                             sehr  groß,  dass  es  in  vielen  Ländern
                                          Mut zu menschlicher Politik        Europas  diesen  Rückfall  gibt.  Das  ist
                                                                             eine Grundsatzentscheidung, die auch
                                          Seitdem  ist  eine  Bundespräsidenten-  mit Schwächen der Europäischen Uni-
                                          wahl  mit  dem  Sieger  Alexander  Van   on  zu  tun  hat.  Rechtspopulistische
                                          der Bellen geschlagen, ein Kapitel der   Parteien  wie  die  FPÖ  machen  Stim-
       REDAKTION_SEBASTIAN LUGER          österreichischen Innenpolitik, bei dem   mung aus diesen Schwächen und aus
       KREATIV DIREKTION_ALEXANDRA AUBÖCK
       FOTOGRAFIE_MARIO RIENER            sich  niemand  mit  Ruhm  bekleckert   den Sorgen und Ängsten der Bevölke-


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