Die Anatomie eines Machers
Vom Werkstoffwissenschaftler zum Theologen und Ordensmitglied, hin zu seiner langjährigen Tätigkeit bei TÜV SÜD: Geschäftsführer für Österreich und Central Europe, Gerald Bachler, hat einen außergewöhnlichen Lebensweg hinter sich. Für uns reflektiert er anhand verschiedener Körperteile, was ihn bewegt. Sein Fazit: Am Ende kommt es als Führungskraft immer auf das Fingerspitzengefühl an, um alles harmonisch zusammenzuführen – wie ein Dirigent.
DER BLUTKREISLAUF
Welche Fähigkeiten als Führungskraft liegen Ihnen so richtig im Blut und welche mussten Sie sich erst aneignen?
Gerald Bachler: Wenn wir in einem Meeting versuchen, Antworten zu finden, sind diese meist schon im Raum vorhanden. Meine Stärke ist es, in solchen Momenten zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen und eine Atmosphäre zu schaffen, die es uns erlaubt, die richtigen Antworten zu finden. Ich bin diplomatisch. Das hilft, um gemeinsam mit dem Team Konsens zu schaffen.
Wenn ich mir Dinge zu Herzen nehme oder so richtig für etwas brenne, kann es sein, dass ich manchmal etwas impulsiv reagiere. Daran möchte ich arbeiten.
DAS OHR
Wenn Sie an den Umgang mit kultureller Vielfalt und globaler Zusammenarbeit im Unternehmen denken: Für welche Anliegen braucht es immer ein offenes Ohr?
Gerald Bachler: Eben für diese Diversität braucht es ein offenes Ohr und ein offenes Mindset. TÜV Süd ist ein Unternehmen mit globaler Struktur und globalen Kunden. Da muss man sich gegenüber anderen Herangehensweisen oder Sprachen öffnen. Auch für Vorschläge meiner Mitarbeitenden versuche ich immer ein offenes Ohr zu haben. Denn wie sagt man so schön: Ohren haben wir zwei, Mund nur einen – das zeigt, dass zuhören oft wichtiger als reden ist.
DAS GEHIRN
Welche Erkenntnisse aus Ihren beiden Studienrichtungen – Werkstoffwissenschaft und Theologie – prägen Sie bis heute am meisten?
Gerald Bachler: Auf den ersten Blick mögen diese beiden Studien im Widerspruch stehen oder etwas Gegensätzliches darstellen. In meiner Wahrnehmung sind sie allerdings stark miteinander verwoben. Werkstoffwissenschaft ist nichts anderes als eine Naturwissenschaft. Und die Theologie beschäftigt sich viel mit diesem Thema, man nennt es nur nicht „Natur“, sondern „Schöpfung“. Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, geht es in der Theologie um die Bewahrung der Schöpfung. Diese Gedankengänge zu verbinden – das Spirituelle, Übernatürliche mit dem technischen Bewusstsein –, ist für mich spannend. Es bringt mich immer wieder zurück zu meiner Mitte und zeigt mir den roten Faden meines Lebens auf.
DER KOPF
Welche Gedanken bewegen Sie, wenn Sie an den Anspruch denken, technologische Entwicklung mit gesellschaftlicher Verantwortung zu verbinden?
Gerald Bachler: Mir kommt sofort in den Sinn, dass die Situation im Moment sehr herausfordernd ist, weltpolitisch und wirtschaftlich. Ich spüre bei vielen Menschen Unsicherheit darüber, wie sich Dinge entwickeln werden. Auch wir im Unternehmen haben gerade im Zuge der Digitalisierung viele Projekte am Laufen, die mit Veränderungen einhergehen. Deswegen ist es mir besonders wichtig, dass dabei niemand auf der Strecke bleibt und wir alle auf dieser Reise mitnehmen. Wir als Führungskräfte sind gefordert, transparent zu kommunizieren und dadurch ein Commitment zu schaffen.
Welche Werte sind tief in Ihrem Kopf verankert und wie spiegeln sich diese im Unternehmensalltag wider?
Gerald Bachler: Ehrlichkeit und Transparenz mit allen Sinnen sind tief in mir verankert. Ich möchte authentisch sein, denn dies ist die Basis, um gemeinsame Entscheidungen treffen zu können. Loyalität ist ein weiterer essenzieller Wert für mich. Im Arbeitsalltag zeigt sich das dadurch, dass meine Mitarbeitenden mit jeder Frage zu mir kommen können und immer eine Antwort bekommen und auf Verständnis stoßen werden. Wir haben zum Beispiel vor Kurzem die Strategie für die kommenden fünf Jahre ausgearbeitet. Jetzt gilt es, zu kommunizieren und zu motivieren, alle auf diesem Weg mitzunehmen.
DER BAUCH
Bereitet Ihnen der zunehmende Einsatz von KI einen flauen Magen?
Gerald Bachler: Nein. Ich verwende die KI beruflich und privat wirklich gerne. Für mich ist die Frage nicht mehr, ob wir KI einsetzen sollen oder nicht, sondern: Wie können wir sie am besten nutzen? Ich sehe im Moment viele Chancen und Möglichkeiten, die wir bei uns intern ausschöpfen möchten. Deshalb beschäftigen wir uns intensiv damit. Aber wir stehen erst am Beginn des Weges. Natürlich gibt es auch Gefahren, wenn man zum Beispiel an die Möglichkeiten des Missbrauchs oder die kriminelle Energie denkt, die dadurch entfacht werden könnte. Führungskräfte sollten sich allerdings unbedingt mit diesem Thema beschäftigen, um die Zukunft gestalten zu können.
Treffen Sie Entscheidungen eher mit dem Bauch oder mit dem Kopf?
Gerald Bachler: Ähnlich wie bei Herz und Hirn ist beides notwendig. Zu Beginn sammle ich rational Informationen und auf Basis dessen entscheidet dann meistens der Bauch. Entsprechend der Redewendung: Habe ich bei der Sache ein gutes Bauchgefühl?
DAS HERZ
Herz oder Hirn – was zeichnet gute Führung heutzutage aus?
Gerald Bachler: Beides ist notwendig. Nur auf sein Herz zu hören, wäre nicht angebracht. Nicht umsonst funktioniert ein Mensch, ein Organismus, nur dann, wenn alles gut zusammenspielt. Rationale Entscheidungen treffe ich oft mit dem Hirn, wobei der Herzanteil bei mir doch überwiegt. Das ist sicher bei jedem unterschiedlich, je nach Charakter und Persönlichkeit. Ich kann aber jeder Führungskraft empfehlen, die Herzensstärke zu trainieren. In der Theologie spricht man oft vom hörenden Herzen. Das heißt, dass man mit dem Herzen zuhört und mit dem Herzen spricht. Das ist in der Mitarbeiterführung von großem Vorteil.
Wofür schlägt Ihr Herz beruflich momentan am meisten?
Gerald Bachler: Ich habe gerade eine neue Region bei uns übernommen. Mein zusätzlicher Fokus ist nun Zentraleuropa. Da gilt es, die Mitarbeitenden mitzunehmen, damit wir diese Region gemeinsam gut gestalten können. Deswegen bin ich zurzeit viel vor Ort unterwegs. Wir haben in den letzten Monaten im Konzern wichtige Weichen für die Zukunft gestellt, und ich möchte die Menschen motivieren und abholen.
DIE FÜSSE
Wohin möchten Sie mit dem Unternehmen in den kommenden Jahren gehen?
Gerald Bachler: Ich möchte mit Österreich und mit Zentraleuropa weiterwachsen. Ich bin ein großer Fan von organischem Wachstum, das ist die Erfolgsgeschichte von TÜV SÜD in Österreich. Wir sind durch viel Fleiß und Leidenschaft für unsere Aufgaben in 30 Jahren von zehn auf 250 Mitarbeitende gewachsen.
Wachstum spielt weiter eine große Rolle. Wir sind offen für neue Dienstleistungen, vor allem, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft. Und wir investieren viel in die Mitarbeitenden. Um unsere Ziele erreichen zu können, brauchen wir junge Talente und ein Miteinander der Generationen. Denn ich bin überzeugt, dass Gewinn der automatische Outcome von guter Führung und guter Zusammenarbeit ist._
Redaktion
- Melanie Kashofer
Fotos
Milagros Martinez-Flener, IlluGettyimages