Wie man zukünftig seine Ernte einfahren wird
Ein Ladewagen, der Lenkung und Geschwindigkeit des Traktors so steuert, dass das geschnittene Futtergras optimal aufgesammelt wird. Eine Sämaschine, die abhängig von der Bodenbeschaffenheit die entsprechende Menge an Saatgut ausbringt. Die Rede ist von Landwirtschaft 4.0. Wie man sich darauf bei der Firma Pöttinger in Grieskirchen als einer der zehn größten Landmaschinenherstellern weltweit vorbereitet und warum das Thema gleichzeitig schon wieder alt ist, erzählen die Geschäftsführer Markus Baldinger und Gregor Dietachmayr bei einem Besuch am Firmensitz in Grieskirchen.
Die morgendlichen Sonnenstrahlen haben das Futtergras im Osten des Feldes bereits angetrocknet. Es geht daher eine Information an das Scheibenmähwerk, dass in diesem Teil des Feldes jetzt zu mähen begonnen werden kann, und an die Zettkreisel, dass in zwei Stunden das Gras gewendet werden kann. Gleichzeitig wird die Rundballenpresse beim Nachbarn für den späten Nachmittag geordert. Der selbstfahrende Traktor fährt mit der Landmaschine zur richtigen Zeit an den richtigen Ort, der Landwirt beobachtet die gesamte Erntekette von seinem Hof-PC aus. Was für viele jetzt vielleicht noch ein wenig nach Science-Fiction klingen mag, könnte laut Markus Baldinger, Geschäftsführer für Forschung, Entwicklung und Digitalisierung bei Pöttinger, in Zukunft bald Gegenwart werden: „Die Thematik ist technisch lösbar und in erster Linie nur mehr eine Frage der Datenübertragung.“ Damit Traktor und Landmaschinen autonom fahren und kontinuierlich mit der Hofstelle kommunizieren können, braucht man eine vollkommene Netzabdeckung mit einer 5G-Technologie. Derzeit sind wir in Österreich bei 4G. Baldinger schätzt, dass in einem Zeithorizont von circa zwei Jahren die ersten 5G-Technologien in Europa verfügbar sein werden. Daneben müsse man in dieser Zeit auch noch die juristische Seite lösen: Aktuell darf der selbstfahrende Traktor nicht über öffentliche Straßen zum Feld fahren, auch Unfälle mit selbstfahrenden Traktoren am Feld sind rechtlich nicht geklärt. Kritikern, die das alles für unrealistisch halten, kontert Baldinger: „Es hat auch Leute gegeben, die das erste Auto für eine Modeerscheinung hielten und ihm keine lange Lebensdauer gegeben haben.“
In der Landwirtschaft sei es ähnlich wie in anderen Branchen, die neuen Technologien beginnen bei der Großtechnik und werden dann sukzessive für die Kleintechnik entwickelt. Damit wird die Hochtechnologie über kurz oder lang auch in der kleinstrukturierten Landwirtschaft in Österreich zum Einsatz kommen. In Österreich haben die Landwirtschaften im Schnitt circa 20 Hektar Grund. In ganz Europa werden 170 Millionen Hektar Grund von zehn Millionen Landwirten bearbeitet, das heißt durchschnittlich 17 Hektar. Der Vergleich mit dem Weltmarkt macht die Kleinstrukturen deutlich: In Nordamerika hat ein Landwirt im Schnitt 170 Hektar Grund, in Australien gar 800 Hektar. Weltweit wird die gesamte landwirtschaftliche Fläche weniger werden. Die Landwirtschaft stehe damit vor der großen Herausforderung, zunehmend produktiver zu werden, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. „Als weitere Schwierigkeit kommt dazu, dass immer weniger Leute in der Landwirtschaft arbeiten und diese wegen Hof-Zusammenlegungen größere Flächen bewirtschaften müssen“, erklärt Gregor Dietachmayr, zuständig für die Bereiche Vertrieb und Marketing sowie Sprecher der Geschäftsführung von Pöttinger, warum die Digitalisierung so wichtig für die Landwirtschaft ist.
Autonome Landmaschinen
Die Landmaschinentechnik sei branchenweiter Vorreiter im Bereich der Digitalisierung. Man beschäftige sich seit Beginn der 2000er Jahre mit dem Thema und spricht dabei von „Landwirtschaft 4.0“, „Digital Farming“ oder auch „Smart Agriculture“. Mittlerweile wird in Europa bereits über „Landtechnik 5.0“ gesprochen. Diese beinhaltet Themen wie Robotik, Autonome Fahrzeuge sowie Künstliche Intelligenz. Doch welche Rolle spielt dabei die Firma Pöttinger? „Die technologische Führerschaft in der Landtechnik hat Europa inne und da sind wir in manchen Bereichen ganz vorne mit dabei“, sagt Dietachmayr. So war man der Hersteller der ersten beiden Maschinen, die mit einem Traktor kommunizieren konnten. Mittlerweile wurde das Thema an „vorderster Front“ in der Geschäftsführung bei Baldinger angesiedelt und man vernetze sich mit allen weltweiten Initiativen und Institutionen: „Damit wir die Trends vorgeben sowie mitgestalten und uns dahingehend aufstellen können.“ Auf die Frage, wie weit man im Bereich „Landtechnik 5.0“, also bezüglich selbstfahrender Maschinen, bereits ist, gibt sich Baldinger zugeknöpft: „Wir haben die Fühler ausgestreckt und mit mehreren Forschungseinrichtungen und Technologiepartnern ein Konzept erstellt. Das liegt nun in der Schublade und es ist noch nicht entschieden, wie es hier weiter geht.“ Mehr will er nicht verraten.
Neben dem Bereich der Optimierung und der Neuentwicklung von Produkten bieten sich durch die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle an. Als ein mögliches Beispiel dafür nennt Baldinger das Verleihen von Landmaschinen und die Bezahlung nach bearbeiteter Fläche. Zur Ideenentwicklung werden im Forschungs- und Entwicklungsbereich viele Open Innovation-Themen besetzt. Vor vier Jahren wurde ein Open Innovation Contest ausgeschrieben, heuer veranstaltete Pöttinger gemeinsam mit dem Automobil-Cluster einen Hackathon in Linz. Dabei lieferten fünf Start-ups, die zuvor aus über 100 Einreichungen ausgewählt wurden, neue Ideen im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Drei Projekte zu den Themen Predictive Maintenance, Bildverarbeitung sowie Sensorik in der Erntekette von zwei österreichischen und einem schwedischen Start-up werden nun auf die Durchführbarkeit getestet.
Pöttinger gehört laut eigenen Angaben zu den weltweit zehn größten Landmaschinenherstellern und ist Weltmarktführer bei Ladewagen und speziellen Mähwerken. In der gesamten Landtechnik ist das US-amerikanische Unternehmen Deere & Company mit 30 Milliarden US-Dollar Umsatz Weltmarktführer. An der Spitze gebe es einige ganz große Player, danach würden einige familiengeführte mittelständische Unternehmen im deutschen sowie österreichischem Raum folgen – in letzterem ist Pöttinger der einzige Große. Dazu Dietachmayr: „Wir haben in unserer Größenordnung einen sehr gesattelten Umsatz und werden in diesem Bereich auch bleiben.“ Man werde nicht von der Spezialisierung in den Bereichen Grünland sowie Bodenbearbeitung und Sätechnik abweichen.
Produktion in fernen Ländern
Abweichen musste man aber vom Umsatzziel von 450 Millionen Euro bis 2020. In den Geschäftsjahren 2015/16 sowie 2016/17 blieb das erhoffte Wachstum wegen der weltweit geringen Preise in der Landwirtschaft und des niedrigen Milchpreises aus: „Wenn die Landwirte kein Geld bekommen, dann können sie dieses auch nicht für ein neues Gerät ausgeben.“ Im Juli zu Ende gegangenen Geschäftsjahr 2017/18 wurden die vergangenen Jahre mit einem Rekordplus von 15 Prozent auf 354 Millionen Euro „wett gemacht“. „Wir sind wieder auf unserem Kurs Richtung 450 Millionen Euro“, sagt Baldinger, „aber es wird kein leichtes Jahr mehr geben, sondern jedes hat spezielle Herausforderungen.“ Im laufenden Geschäftsjahr könne sich die extreme Trockenheit im Sommer auswirken. Pöttinger begegne den unsicheren Marktbedingungen mit einer ständigen Erweiterung der Produktpalette und einem weltweiten Verkauf. Mit 16 Vertriebsstandorten und drei Produktionen sei man gut aufgestellt. Wachstumsmärkte würden tendenziell außerhalb von Kerneuropa liegen. Für die ferne Zukunft sei es auch nicht ausgeschlossen, dass man einmal in fernen Ländern, wie China oder den USA, produziere, denn die Maschinen würden zunehmend schwerer und damit der Transport aufwändiger werden. Dazu Dietachmayr: „Das sind alles Zukunftsthemen, mit denen wir uns auseinandersetzen.“
Genauso müsse man sich mit den neuen Berufsbildern für die Mitarbeiter auseinandersetzen. Dazu Baldinger: „Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Produkte, sondern beeinflusst viele Prozesse im Unternehmen und hat einen massiven Einfluss auf das Profil unserer Mitarbeiter.“ Früher bediente ein Servicemitarbeiter einen 17er Schlüssel und ein Schweißgerät, mittlerweile ist er mit Laptop und Prognosegerät unterwegs: „Wir brauchen jetzt ganz andere Qualifikationen.“ Dafür sei man „unglaublich gefordert“ und „auch noch mitten drinnen und nicht am Ende“, aber bisher gelinge es ganz gut, die notwendigen Mitarbeiter zu finden. Man habe „keinen großen Fachkräftemangel“ und bekomme genug Lehrlinge. Dabei helfe die Zusammenarbeit mit diversen Ausbildungsstätten wie Höhere Schulen und Universitäten sowie ein guter Unternehmensruf. Für Letzteren würde man dementsprechend Einsatz zeigen: „Wir tun im Sinne von Employer Branding sehr viel und werden zukünftig auch noch aktiver werden.“ Ein Vorteil in der Landtechnik sei, dass man als Arbeitgeber für Leute interessant ist, die in einem landwirtschaftlichen Umfeld groß geworden sind und es seien auch Nebenerwerbslandwirte bei Pöttinger beschäftigt. Die beiden Tätigkeiten würden sich gut vereinbaren lassen, da die Spitzen bei Pöttinger im Herbst und Winter liegen und dann im Sommer Zeit für die Landwirtschaft bleibt. Und sie könnten sich – wenn es nach den Plänen von Landwirtschaft 4.0 und 5.0 geht – mit selbstfahrenden Traktoren und autonomen Maschinen zukünftig noch viel besser vereinbaren lassen._
Die technologische Führerschaft in der Landtechnik hat Europa inne und da sind wir in manchen Bereichen ganz vorne mit dabei.
Markus Baldinger
Geschäftsführer, Pöttinger Landtechnik
Es wird kein leichtes Jahr mehr geben, sondern jedes hat spezielle Herausforderungen.
Gregor Dietachmayr
Geschäftsführer, Pöttinger Landtechnik
Pöttinger Landtechnik
Sitz _Grieskirchen
Geschäftstätigkeit _Landmaschinenhersteller mit den Bereichen Grünland (59 % des Umsatzes) sowie Bodenbearbeitung und Sätechnik (27 %)
Mitarbeiter _1.775, davon 950 in Österreich
Standorte _3 Produktionsstandorte (OÖ/Grieskirchen: Grünland, Bernburg/Deutschland: Sätechnik, Vodna?y/Tschechien: Bodenbearbeitung) und weltweit 16 Vertriebsstandorte. In St. Georgen bei Grieskirchen ist ein neues Werk für Rundballenpressen und Ladewagen in Planung, die erste Ausbaustufe sollte ursprünglich 2021 mit rund 120 Mitarbeiter in Betrieb gehen. Konflikte mit Anrainern verzögern den Baustart, aber man ist zuversichtlich, dass das Projekt noch realisiert wird: „Es dauert halt ein wenig länger.“
Umsatz _354 Mio. Euro 2017/18, per Ende Juli (+ 15 %)
Exportquote _90 % (75 % Europa, 8 % Übersee, 7 % GUS-Staaten)
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