Der bloße Gedanke an den bevorstehenden und unvermeidlichen demographischen Wandel treibt so manchem Personalverantwortlichen die Schweissperlen auf die Stirn. Bei BMW Steyr will man die Veränderungen hingegen zum eigenen Vorteil nutzen. Eine neue Montagelinie für Motoren soll nicht nur die Effizienz erhöhen, sondern auch junge Mitarbeiter gesund altern und ältere gezielt ihre Stärken einbringen lassen. Das lässt sich der Konzern einiges kosten.
Die Abgasturbolader, die im Steyrer BMW-Werk verbaut werden, wiegen acht Kilogramm. Klingt eigentlich nicht viel, allerdings verbauen die Mitarbeiter pro Schicht bis zu 500 Stück davon – das bedeutet eine Hebeleistung von vier Tonnen. Oder besser: bedeutete. Denn seit der Installation der neuen Produktionslinie werden die Anbauteile bequem mit der Hilfe eines Greif- und Handlinggerätes montiert, das Heben schwerer Lasten gehört der Vergangenheit an. Die Motoren selbst sind dabei an einer elektrischen Hängebahn befestigt und von allen Seiten aus zugänglich. Die Anlage erkennt automatisch, wann alle Komponenten der Station verbaut sind, erst dann bewegt sich der Motor weiter. Die Mitarbeiter bekommen die erforderlichen Arbeitsteile direkt an den Arbeitsplatz, so werden unnötige Laufwege verhindert.
Industriearbeit der Zukunft
„Wir zeigen mit unserer neuen Montagelinie schon heute, wie Industriearbeit 2020 aussieht“, sagt Gerhard Wölfel, Leiter des BMW-Werks in Steyr, während wir durch die Hallen spazieren. Nur wenige Gehminuten von der Montagestelle entfernt werden die fertigen Motoren getestet. „Früher haben wir dabei Gehörschutz getragen, heute funktioniert das alles in Schallschutzkabinen“, erzählt ein Mitarbeiter. Denn ein zentraler Punkt der neuen Montagelinie ist die Ausrichtung auf die demographische Entwicklung und damit auch auf noch bessere Arbeitsbedingungen. „Unser Ziel ist es, dass Jüngere gesund altern und Ältere gezielt ihre Stärken einbringen können“, erzählt Wölfel. Durch Entlastung oder Angebote wie höhenverstellbare Hängebahnen können die Mitarbeiter etwa abwechselnd sitzend oder stehend arbeiten und den Arbeitsplatz an ihre eigene Körpergröße anpassen. „Wir stehen für Wertschöpfung, aber auch für Wertschätzung“, sagt Wölfel. Die neue Montagelinie lässt sich der Konzern einiges kosten – insgesamt investierte man 180 Millionen Euro in die Fertigungs- und Produktionsinfrastruktur in München, dem englischen Hams Hall und Steyr. Installiert wurde das neue System gleichzeitig an allen Standorten, die Teams unterstützten sich dabei gegenseitig und tauschten Lernerfahrung aus. „Durch ein einheitliches Konzept in der Produktion ist es uns möglich, verschiedene Modelle unserer neuen Baukastenmotoren- Generation über eine Montagelinie zu fahren“, erzählt Ilka Horstmeier, die den Bereich Planung und Produktion Antriebssysteme im BMW-Konzern leitet. Dadurch kann der Konzern viel flexibler auf Marktschwankungen reagieren und bei veränderter Nachfrage beispielsweise kurzfristig Kapazitäten zwischen den Standorten verschieben. Steyr verliert zwar seinen Status als einziges Dieselmotoren-Werk des Konzerns, „ist aber weiterhin das weltweite Kompetenzzentrum für Diesel-Motoren und wird es auch bleiben.“ Im vergangenen Jahr wurden über 50 Prozent aller BMW-Fahrzeuge von Motoren aus Steyr angetrieben, mehr als 975.000 Motoren beziehungsweise mehr als elf Millionen Motorenkomponenten im Werk Steyr gefertigt. Auf der neuen Produktionslinie wird die neue Baukas- tenmotoren-Generation, also Drei- und Vier-Zylinder-Dieselmotoren und Drei- Zylinder-Benzinmotoren produziert.
Durchschnittsalter 42 Jahre
Als 1982 die Produktion aufgenommen wurde, lag der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter bei 30 Jahren. Heute liegt er bei 42 Jahren, war allerdings auch schon bei 44. In den vergangenen fünf Jahren wurden 800 Mitarbeiter eingestellt, darunter auch viele erfahrene. „Die Prognose ist, dass der Altersdurchschnitt in etwa dort bleiben wird, wo er heute ist“, sagt Wölfel. In Zukunft soll der Erfahrungsschatz der Mitarbeiter noch weiter ausgebaut werden. Deswegen werden in der neuen Linie auch systematisch generationsübergreifende Teams gebildet, so soll das Erfahrungs- und Handlungswissen optimal genutzt werden. Derzeit arbeiten etwa 100 Mitarbeiter an der neuen Linie, Mitte 2015 ist der nächste Ausbauschritt geplant. Bis 2017/2018 soll der Ausbau der Montagebänder für die neue Motorengeneration abgeschlossen sein. „Das Wissen unserer Mitarbeiter ist unersetzbar, es beim Wechsel in den Ruhestand für das Werk zu erhalten, ist uns enorm wichtig“, sagt Wölfel.
BMW in Zahlen
1.963.000
Autos und 115.215 Motorräder verkaufte der BMW-Konzern 2013
76,06
Milliarden Euro Umsatz (und 7,91 Milliarden Euro Gewinn) wurden im vergangenen Jahr erwirtschaftet
110.351
Mitarbeiter beschäftigte das Unternehmen Ende 2013
Über 4.000
Menschen sind aktuell im BMW-Werk Steyr beschäftigt
Über 50
Prozent aller BMW-Motoren werden in Steyr produziert
5,5
Milliarden Euro investierte BMW bisher in den Standort, das sind im Schnitt 13 millionen Euro pro Monat oder 600.000 Euro pro Tag
42
Jahre beträgt das Durchschnittsalter der BMW-Mitarbeiter am Standort Steyr