Warten. Gehen. Laufen!
Wer in Oberösterreich in Sachen Künstliche Intelligenz A sagt, der sagt auch O. O wie Ortig. Also genau genommen Albert Ortig. Der Gründer und CEO der Digitalunternehmen Netural und des Startups NXAI ist an der KI-Spitzenforschungsfront ganz vorne mit dabei. Und: Er ist einer dieser inspirierenden Menschen, denen wir gerne in den Kopf schauen würden. So weit, dass man Gedanken lesen kann, ist die Technik noch nicht, auch wenn – laut Ortig – die Künstliche Intelligenz noch Unvorstellbares möglich machen wird. Aber bis dahin muss das gute alte persönliche Gespräch herhalten. Denn wir wollen herausfinden: Worüber denkt Albert Ortig gerade nach?
Können Sie sich noch erinnern, wann Sie das erste Mal von KI gehört haben und wie Ihre Einstellung dazu damals war?
Albert Ortig: Das liegt schon viele Jahre zurück und war damals bereits spannend, aber nicht breitenwirksam greifbar. Das wurde es erst, als OpenAI 2022 ChatGPT veröffentlichte. Auch für mich hat sich da ein Schalter umgelegt. Themen wie Machine Learning und neuronale Netze werden schon seit Jahrzehnten beforscht, also nichts wirklich Neues. Große Sprachmodelle hingegen waren bisher kaum präsent, auch nicht bei uns bei Netural. Aber seit 2022 haben wir stark auf dieses Thema gesetzt, weil wir erkannt haben: Da kommt was Großes auf uns zu.
Worauf sind Sie aktuell besonders stolz?
Albert Ortig: Stolz ist für mich ein schwieriges Wort. Ich bin sparsam damit, weil ich gern nach vorne schaue und der Zustand des „stolz sein“ sich rasch verändern kann. Stolz bin ich aber auf jeden Fall auf meine Familie. Beruflich bin ich mit der Entwicklung, die das Netural-Team sowie die Teams unserer Spin-offs in den letzten vielen Jahren kontinuierlich gemacht haben sehr zufrieden. Es war und ist ein ständiges Nachvorneschauen, wissend, dass der Status Quo in der Zukunft nicht ausreicht. Und natürlich freut es mich, dass aus den einen oder anderen Ideen großartige Lösungen oder auch neue Unternehmen entstehen.
Was bereitet Ihnen aktuell Kopfzerbrechen?
Albert Ortig: Kopfzerbrechen vielleicht nicht, aber dafür eine innere Unruhe, die sich aktuell bei einigen Themen zeigt. Zum einen aufgrund der herausfordernden wirtschaftlichen Situation in Europa, zum anderen aufgrund der kombinierten Probleme mit unserem Klima, Kriegen und der enormen technologischen Beschleunigung. Diese Faktoren stellen eine große Herausforderung für viele Menschen dar und es braucht ein Miteinander, um diese Situation zu meistern.
Bei Netural fragen wir uns, wie sich unsere Arbeitsfelder und Kompetenzen in den kommenden Jahren entwickeln werden.
Wie schaffen wir es, uns so schnell weiterzuentwickeln, dass wir mit dem technologischen Fortschritt Schritt halten können? In vielen Industriebetrieben passiert jedoch dahingehend noch sehr wenig. Das Bewusstsein für KI-Technologien ist zwar vorhanden, aber es wird kaum antizipiert, wie diese die Arbeitsprozesse verändern werden. Hier muss man genauer hinschauen, und ich habe das Gefühl, dass dies unterschätzt wird. Bei Netural versuchen wir, immer auf dem neuesten Stand zu sein und unsere Organisation flexibel zu halten. Wenn unsere Kunden das nicht tun, ist es nicht nur für uns ein Problem.
Was, denken Sie, ist in diesem Zusammenhang die größte Hürde für Unternehmen?
Albert Ortig: Die technologischen Fortschritte bieten jedem Einzelnen enorme Möglichkeiten. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem jeder diese Möglichkeiten optimal nutzen kann – sowohl für sich selbst als auch für das Unternehmen. Die größte Hürde für Unternehmen ist das Nichtstun und das mangelnde Ausprobieren. Sobald man einmal anfängt, funktioniert es für alle erstaunlich gut.
Bei solch rasanten Entwicklungen ist die Frage nach der Zukunft eine schwierige. Aber wenn Sie auf das restliche Jahr blicken, was sind Ihre Ziele für das Jahr?
Albert Ortig: Aus der Perspektive von Netural geht es derzeit vor allem darum, ein Fundament für eine neue KI-ergänzte Zukunft zu schaffen. Das mag seltsam klingen für ein Unternehmen, das es seit 26 Jahren gibt, aber es geht darum, ein solides Fundament für diese neue technologische Generation zu bauen und uns organisatorisch auf diese Themen auszurichten.
Und wenn Sie auf die nächsten fünf bis zehn Jahre blicken?
Albert Ortig: Ich komme gerade aus einem Meeting und habe dort gehört, dass langfristige Planbarkeit in Zukunft nicht mehr im gleichen Maß möglich sein wird. Wir haben Wachstumsziele für die nächsten zehn Jahre und Perspektiven für die nächsten fünf Jahre, aber die aktuellen radikalen Veränderungen erlauben uns nicht mehr, weiter als zwei bis drei Jahre vorauszuplanen. Und selbst da glaube ich, dass es nicht mehr sinnvoll ist, an einem fixen Plan festzuhalten. Vielmehr brauchen wir im Unternehmen eine Struktur, Kultur und ein Selbstverständnis, welche uns ein flexibles und deshalb stabiles Handeln ermöglicht. Das ist immer eine Herausforderung, denn flexibel zu sein bedeutet, dass unsere Kompetenzen sich mit den Anforderungen weiterentwickeln müssen, und diese ändern sich viel schneller als bisher. Das betrifft nicht nur uns, sondern auch unsere Kunden.
Haben Sie Wünsche oder Hoffnungen für die nächsten Jahre?
Albert Ortig: Privat wünsche ich mir eine gesunde und glückliche Familie und Freunde. Aus der Perspektive von Netural gibt es großes Potenzial aufgrund der neuen Dynamik, und hier wollen wir natürlich gesundes Wachstum in einem Umfeld der Ungewissheit. Gesellschaftlich wünsche ich mir, dass wir wieder zu einem respektvollen Diskurs zurückkehren. Das ist momentan eine der größten Herausforderungen, da wir mit der Pandemie, Kriegen sowie der Überforderung durch Technologien und Umweltproblemen konfrontiert sind. Viele Themen prasseln auf uns ein, und jeder sucht nach einem Schuldigen. Das ist der falsche Ansatz. Stattdessen sollten wir die Vergangenheit akzeptieren und jetzt gemeinsam an Lösungen für die Zukunft arbeiten. Dies erfordert einen respektvolleren Umgang miteinander und das trifft jeden Einzelnen, die Politik, die Gesellschaft und auch die Medien.
Was legen Sie Ihren Unternehmerkollegen und -kolleginnen ans Herz?
Albert Ortig: Viele Unternehmer stellen sich derzeit unter anderem zwei Fragen. Die erste ist: „Wie können wir KI in unserer digitalen Transformation mit hohem wirtschaftlichen Nutzen verwenden und einführen?“ Die zweite Frage lautet: „Und wie nehme ich dabei meine Mitarbeiter mit?“ Mein Rat wäre, sich zunächst klarzumachen, wohin man als Unternehmen will. Das Ziel zu schärfen und darauf aufbauend zu prüfen, wo es die größten wirtschaftlichen Hebel mit den größten Herausforderungen gibt. Damit einher geht die Überlegung: Wie schaffe ich es, meine Teams deutlich flexibler aufzustellen, um diese Schritte gewährleisten zu können?
Sich mit den aktuellen technologischen Entwicklungen im Bereich KI zu beschäftigen, ist unerlässlich. Man muss sich bewusst sein, dass diese Themen nicht verschwinden. Es bleibt keine Zeit, darauf zu warten, was der Wettbewerb macht, denn wenn dieser etwas getan hat, ist die Disruption meist schon erfolgt. Als Unternehmer muss man daher aktiv Schritte setzen, offen sein, mit Experten sprechen und verstehen, wo man selber den größten Hebel hat. Und dann nicht warten, nicht gehen, sondern laufen!_
Redaktion
- Zofia Wegrzecka
Fotos
Antje Wolm