Das ist ja unerhört!
Dass Beschwerden eine Chance für Unternehmen sein können, ist nichts neues. Auch nicht, dass es fatal sein kann, nicht oder unzureichend darauf zu reagieren. Warum sind dann aber immer noch viele Firmen lebhaft dabei, sich selbst zu schaden? Und wie macht man es richtig? Für Unternehmen gibt es viele Wege – analog, digital, direkt, indirekt – dem Kunden das Beschweren so einfach wie nie zu machen. Und das sollten sie auch.
Dem Kunden eines Mobilfunkanbieters wird zu viel verrechnet. Als er sich telefonisch beschwert, bedauert man den Vorfall und verspricht eine Gutschrift. Die nächste Rechnung kommt, die Gutschrift nicht. Derselbe Betrag ist wieder zu bezahlen. Bei einem neuerlichen Anruf erklärt der Kunde einem anderen Mitarbeiter sein Problem (für 1,20 Euro pro Minute). Die Antwort: „Sie hätten das Angebot zu diesen Konditionen gar nicht erhalten dürfen – ein Fehler des Verkaufsmitarbeiters.“
Fehler passieren, aber entscheidend ist, wie Kunden und Unternehmen damit umgehen. Das eben beschriebene Szenario ist für viele Konsumenten nicht nur ein Grund, den Anbieter zu wechseln, sondern auch dafür, gleich noch seinem näheren Umfeld – also etwa zehn bis fünfzehn Personen – mitzuteilen, was einem passiert ist, mit der klaren Botschaft: „Kaufe dort ja niemals etwas!“
Aber es hätte auch anders kommen können: Der Kunde beschwert sich, weil er zu viel bezahlen musste. Nur Minuten nach dem Beschwerdeanruf beim Anbieter bekommt er eine E-mail: Der Betrag wird ihm gutgeschrieben und das Angebot besteht weiterhin zu den Konditionen, die ihm versprochen worden sind. Außerdem ist angeführt, wer sich um sein Anliegen kümmert und wie die Ansprechperson zu erreichen ist. „Wenn man schlechtes Beschwerdemanagement betreibt, ist die Folge, dass der Konsument bei diesem Unternehmen nicht mehr kaufen wird. Er baut eine Reaktanz auf, das heißt, er arbeitet dann aktiv gegen das Unternehmen“, erklärt Harald Kindermann, Professor an der FH Steyr. Die Folge sei, dass der Kunde nicht nur nicht mehr kaufen, sondern auch seinen Freunden und Bekannten vom Problem erzählen werde. Dann werde auch seine Umgebung nicht mehr motiviert sein, bei diesem Unternehmen zu kaufen. Reagiert das Unternehmen aber auf die Beschwerde, entstehe auch eine ganz besondere Beziehung zum Unternehmen, meint Kindermann. „Wenn ich adäquat reagiere, habe ich die Chance, den Kunden wirklich zu binden. Das ist das Paradoxe: Der Kunde kauft etwas, beschwert sich, ist eigentlich unzufrieden, aber das Geschäft reagiert dann in seinem Sinne, indem es der Beschwerde nachgeht. Der Kunde wird eine höhere Bindung zum Unternehmen haben, als er sie ohne Beschwerde je gehabt hätte“, erklärt er. Die Realität sieht aber oft ganz anders aus. Kindermann glaubt nicht, dass das Bewusstsein für Beschwerdemanagement bereits ausreichend in den Unternehmen angekommen sei. „Das ist eine vertane Chance“, so Kindermann, „dabei ist es keine hohe Kunst, den Kunden zufrieden zu stellen. Wenn sich ein Konsument beschwert, muss er das Gefühl haben, dass er auch ernstgenommen wird. Er braucht die Information, dass die Beschwerde angekommen ist und bearbeitet wird. Dass es eine gewisse Zeit dauern wird, akzeptiert ein Kunde. Nur braucht er eben Feedback.“
Positiv sieht Kindermann die Entwicklung im klassischen Online-Handel. Österreichische Unternehmen könnten sich seiner Meinung nach viel von großen Marktteilnehmern wie der Unito-Gruppe abschauen. Sie seien in dem, was im Beschwerdemanagement möglich ist, schon sehr weit.
Beschwerden erwünscht!
Doch es gibt mittlerweile auch jene, die Beschwerden nicht nur bearbeiten, sondern ganz bewusst fördern. Auf diesen Ansatz setzt etwa das Magistrat Linz. Über die Internet-Plattform und App „Schau auf Linz“ kann sich jeder Bürger jederzeit und überall beschweren – etwa über Müllablagerungen oder kaputte Straßenlaternen – und auch Ideen für Verbesserungen einbringen.
Man habe erwartet, dass sich die Beschwerden vom herkömmlichen Bereich auf die Plattform verlagern würden – im Gegenteil. Aus 3.000 Beschwerden pro Jahr wurden insgesamt fast 7.000, die beim Magistrat eingegangen sind, erzählt Wolfgang Neuhauser, Leiter des Magistrats Linz. Die Plattform startete 2013. „Wir haben uns Gedanken gemacht, wie man so ein Projekt am Leben hält. Aber es hat sich herausgestellt, dass das gar nicht notwendig ist, es läuft von selbst“, so Neu- hauser. „Ziel war es, über einen niederschwelligen Zugangsweg für die Bürger transparent zu machen, was in der Stadt passiert.“ Die steigenden Nutzungszahlen verdeutlichen den Erfolg der Plattform. 2013 wurde sie mit dem eAward – einem Preis für die österreichweit besten IT-Projekte – ausgezeichnet.
Eine Plattform, die ebenfalls das Beschweren forciert – aber nicht nur über das eigene Unternehmen, sondern auch jedes beliebige andere – ist „Wutundgut“. Man sieht sich selbst als „moderne Schlichtungsstelle 2.0.“ Es gehe darum, Konsumenten und Firmen zusammen zu bringen. „Das Besondere ist, dass wir Kritik und Lob vereinen“, erzählt Geschäftsführerin Ulrike Helm. „WutundGut“ sei aber keine „Nörgler-Bühne“ oder „Auskotz- Plattform“. Auf der Plattform werde zu 45 Prozent gelobt. Was aber versprechen sich die Betreiber davon? „Jeder vierte Konsument (24 Prozent) ist der Meinung, dass die Kundenbetreuung in Österreich in den vergangenen Jahren schlechter geworden ist“, zitiert Helm eine A1-Servicestudie aus dem Jahr 2013, „dabei könnten Firmen im Service-Bereich punkten sowie Sympathie, Loyalität und Präferenz aufbauen. Wir finden: Beschwerdemanagement gehört aus dem Schattendasein! ,WutundGut’ ist unser konstruktiver Beitrag.“
Unternehmen können sich auf der Plattform kostenlos registrieren. Um Geld zu verdienen, setzen die Betreiber auf kostenpflichtige Unternehmens-Mitgliedschaften mit gewissen Features ab 20 Euro pro Monat. Wutundgut.at startete Anfang 2014. Seither hat es gut 350 Postings verzeichnet. Pro Tag lobt oder kritisiert also etwa ein Konsument. Er kann dabei auch eine Stellungnahme oder Wiedergutmachung vom Unternehmen fordern. Diesem obliegt es dann zu reagieren. Wird der Kunde zufriedengestellt, gilt der Fall als gelöst.
Zwischen Bindung und Bestechung
Bei der Lösung des Beschwerdefalles kommt es neben den Ansprüchen des Kunden auch auf die rechtliche Lage an. „Die Unternehmen sind vorsichtig geworden – es kommen schnell die Themen Bestechung und Compliance aufs Tablett“, meint Christian Klar, Geschäftsführer des Gutschein-Anbieters INVENT. Wie weit darf Kundenbindung gehen bis man unter den Verdacht der Bestechung gerät? Eine Frage, auf die Unternehmen oft keine Antwort wissen. „Im öffentlichen Bereich müssen klare Regeln, wie es mit Geschenkannahmen aussieht, vorgegeben werden, die mittlerweile auch schon vorgegeben sind. Bei privat geführten Unternehmen sehe ich es von der rechtlichen Seite her nicht ganz so dramatisch. Ich bin der Meinung, jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, ab wann es in einen moralisch bedenklichen Bereich kommt und man Geschenke oder Einladungen ausspricht, die eigentlich nicht mehr zum Geschäft passen“, meint Kindermann. „Speziell in Deutschland und Österreich sind Unternehmen aufgrund von Skandalen, die es gegeben hat, mittlerweile sehr empfindlich. Man ist sich des Problems bewusst, sitzt aber in ei- nem Boot und rudert in zwei Richtungen, weil man seine Kunden ja auch bei Laune halten und an das Unternehmen binden will“, schildert Klar seine Sicht. ??Vor einiger Zeit hat er selbst erlebt, wie bedacht viele Unternehmer darauf sind, nicht unter den Vorwurf der Bestechung zu geraten. Ein Geschäftspartner retournierte einen Gutschein im Wert von 30 Euro, weil ein Kunde ihn nicht annehmen wollte – er habe nicht den Compliance-Richtlinien entsprochen.
Was Mitarbeiter machen dürfen, bis die Grenze zwischen wirksamer Kundenbindung und Bestechung überschritten ist, muss jedes Unternehmen selbst entscheiden. Fest steht: Beschwerdemanagement ist kein neues Thema. Trotzdem scheinen sich viele Unternehmen des Wertes der Beschwerde immer noch nicht vollends bewusst zu sein. Dass sich etwa die Beschwerden nach der Einführung der Beschwerde-Plattform durch das Magistrat verdoppelt haben, zeigt, dass sich die Österreicher gerne beschweren. Und das ist auch gut so. Sie verschaffen den Unternehmen damit jede Menge Chancen, eine höhere Loyalität gegenüber dem Unternehmen aufzubauen, als es ohne Beschwerde je möglich gewesen wäre – ob es diese Chance dann auch für sich nutzt, liegt an ihm. Harald Kindermann ist jedenfalls überzeugt: „Österreichische Unternehmen müssen definitiv dazulernen, wenn sie möchten, dass die Kaufkraft letztlich nicht in große internationale Konzerne, die Beschwerdemanagement bereits einen sehr großen Stellenwert einräumen, abfließt.“
Beschwerdemanagement – Worauf es ankommt
Daniela Höllerbauer ist Geschäftsführerin des Marktforschungsinstituts WHITEBOX. Um herauszufinden, was die Kunden eines Unternehmens wirklich denken, setzt WHITEBOX seit Jahren das Messinstrument „Mystery-Testing“ ein. Anonyme Testkunden nehmen dabei Kontakt zum Unternehmen auf und untersuchen die Servicequalität aus der Kundenperspektive. So können Stärken und Schwachstellen identifiziert und Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden.
Do!
Engagement und Verständnis
Trägt ein Kunde eine Beschwerde an das Unternehmen heran, ist es seine Pflicht, mit Engagement und Verständnis an die Sache heranzugehen, dem Beschwerdesteller Lösungen aufzuzeigen, gegebenenfalls Wiedergutmachung anzubieten und sich aufrichtig zu entschuldigen.
Aktiv sein
Bei einer Beschwerde gilt es dem Kunden aktiv gegenüberzutreten. Passivität und Zurückhaltung werden oft als unhöflich wahrgenommen und als Desinteresse gewertet. Es liegt am Unternehmen, dem Kunden zu zeigen, dass man auf seiner Seite steht und die Angelegenheit für ihn zufriedenstellend abschließen möchte. Man sollte aber bedenken, dass Unternehmen viele Beschwerden gar nicht zu Ohren kommen, da diese vorwiegend im Bekanntenkreis ausgetauscht werden. Sich darauf zu verlassen, eine geringe Zahl an Beschwerden zu bekommen, kann sich als trügerisch herausstellen. Umfassendes Beschwerdemanagement sollte daher nicht nur die Reaktion auf Beschwerden, sondern auch proaktive Handlungen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit beinhalten.
Do not!
„Also, da können wir nichts dafür.“ Wie sich in Mystery-Testings immer wieder zeigt, fühlen sich Mitarbeiter mit der bloßen Äußerung einer Beschwerde persönlich angegriffen, sind überfordert, reagieren nervös und geraten in Panik. Unternehmen sollten ihren Kunden dankbar sein, wenn sie offen und ehrlich ihre Meinung über kleinere Mängel äußern. Wer in dieser Situation ruhig bleibt, seinem Kunden für sein Feedback dankt und sich um eine umgehende Lösung des Problems annimmt, beweist Wertschätzung und kann die Beschwerde als Chance zur weiteren Verbesserung seiner Servicequalität nutzen.
„Vielleicht hat es ja niemand bemerkt“.
Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – auch in den besten Firmen. Glücklicherweise sind kleinere Pannen tolerierbar, solange man sich bei seinem Kunden dafür entschuldigt. Noch besser wäre es, dem Kunden darüber hinaus eine Entschädigung anzubieten. Unternehmen sollten also nicht darauf warten, ob sihc der Kunde über ein Missgeschick beschwert oder seinen Ärger in weiterer Folge seinen Freunden und Bekannten kundtut, sondern die Gelegenheit nutzen, um durch eine kleine Wiedergutmachung seinen Kunden wieder positiv zu stimmen.
Emotion als stärkstes Instrument der Kundenbindung
Christian Klar ist Geschäftsführer des Gutschein-Anbieters INVENT. Da bei Beschwerden immer Emotionen im Spiel sind, ist seiner Erfahrung nach emotionale Wiedergutmachung sehr wirksam, wenn Kunden unzufrieden sind. Er ist überzeugt, dass Unternehmen aber nicht nur angehalten sind zu reagieren, wenn es um Negatives geht. Auch im Bereich der positiven Motivation spielt der Einsatz von emotionalen Anreizen eine große Rolle.
Viele Unternehmen reagieren immer noch nicht adäquat auf Beschwerden. Die schlechteste Methode für jeden Unternehmer mit Beschwerden umzugehen, ist, diese zu ignorieren. Das machen zwar viele, aber das sind dann auch jene Unternehmen, die in der Regel nicht auf Dauer am Markt bestehen können. Natürlich kann einmal etwas schiefgehen. Aber dann ist man zumindest zu symbolischen Akten angehalten.
Emotionale Wiedergutmachung Die Konkurrenz wird – egal in welcher Branche – nicht weniger. Dadurch, dass so gut wie jedes Unternehmen im Internet präsent ist, muss man selbst noch aktiver sein, weil die persönliche Bindung fehlt. Diese persönliche Bindung können Unternehmen mit emotionalen Werten wieder aufbau-
en und verstärken. Deshalb sind Gutscheine und Incentives auch
im Beschwerdebereich so gefragt. Wenn Unternehmen bei einer Beschwerde einen Rabatt, also Geld, geben, ist das nichts, was der Kunde unmittelbar mit Emotion verbindet. Sich ein wenig Geld zu ersparen oder zurückzubekommen, ist nicht sehr emotional. Wenn der Kunde hingegen etwas erhält, das mit Emotion zu tun hat, ist das anders. Bekommt er ein Erlebnis, kann er sich wohlfühlen und entspannen – und hat eine schöne Erinnerung.
Vorausschauend handeln In vielen Fällen muss sich der Kunde noch gar nicht beschwert haben, das Unternehmen sollte aber bereits Beschwerdemanagement betreiben. Wenn ein Neuwagen für 70.000 Euro aus irgendeinem Grund auf der Autobahn stehen bleibt, zum Beispiel wegen eines Elektronik-Fehlers, dann braucht sich der Kunde nicht beschweren. Es ist klar, dass das Unternehmen reagie- ren muss. In einem solchen Fall geht es vielmehr um Beschwerde- vermeidung. Oft weiß das Unternehmen bereits, dass etwas schief- gelaufen ist, obwohl sich der Kunde noch nicht beschwert hat.
Positive Motivation Doch auch wenn sich niemand beschwert hat, können Unternehmen mit Emotion viel bewirken – etwa im Bereich der positiven Motivation. Das gilt sowohl für Mitarbeiter als auch Kunden. Wirksam ist es zum Beispiel, wenn man beim Kauf eines neuen Autos dem Kunden einen Kurzurlaub dazu schenkt. Das lässt sich sehr gut verbinden, weil in beiden Fällen die Emotion eine große Rolle spielt. Bei der Personalführung geht es oft darum, seine Mitarbeiter belohnen zu wollen. Jemand arbeitet zum Beispiel schon lange in einem Unternehmen oder hat ein Projekt erfolgreich abge- schlossen. Überall im und um das Unternehmen gibt es sehr viele Menschen, denen man mit einem Gutschein Gutes tun kann, weil etwas Positives passiert ist.
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