Nachhaltiger Tourismus? Nur all inclusive!
Obwohl sich die umweltfreundlichen Investitionen der heimischen Touristiker:innen auf Rekordniveau befinden, ortet die Sprecherin der Tourismusinitiative des Vereins weiteres Verbesserungspotenzial. Die 58-Jährige hat selbst schon vor längerem vorgezeigt, wie es gehen kann: Das elterliche Hotel verwandelte sie zum „Boutiquehotel Stadthalle“, welches in den Nullerjahren zum ersten Stadthotel mit einer Null-Energie-Bilanz auf dem Planeten avancierte.
Die Unternehmer:innen sind gefragt
Wenn die mehrfach ausgezeichnete Hotelière ihre Ideen zum Tourismus der
Zukunft vorstellt, dann verstecken sich dahinter keine oberflächlichen Werbeslogans, sondern klare Vorstellungen und Denkanstöße. Dabei widerspricht sie auch der Ansicht, dass eine nachhaltig gestaltete Unternehmensführung teurer sein müsse. Laut Reitterer sei wichtig, dass besonders Betriebe mit hohem Energiebedarf wie zum Beispiel Wellnesshotels in Teile des Hotelzimmers investieren, die den Gästen nicht sofort ins Auge stechen wie es manch stylische Designobjekte tun. Dazu zählt der Einbau von grüneren Energieformen, was bei vielen Kolleg:innen ein Umdenken erfordern wird, denn früher war man es gewöhnt, dass die Stromkosten nur eine Nebenrolle bei der Errichtung eines Hotels darstellen. Nun wird oftmals ein „Green Certified Building“ benötigt, um als Bauherr über ein rentables Geschäftsmodell zu verfügen. Hier sieht die ehemalige Präsidentin der Hoteliervereinigung die Politik ähnlich wie bei den Corona-Investitionsanreizen als Ermöglicher von Rahmenbedingungen, aber die Privatwirtschaft als wesentlichen Innovationstreiber. Wie angebotsseitig eine Nachfrage für nachhaltige Konzepte geschaffen werden kann, habe Tesla bereits eindrucksvoll gezeigt und auch für ein Gewerbe wie ihres seien spezifische Algorithmen und Content-Marketing wesentlich, um die potenziellen Gäste überhaupt an ein umweltfreundliches Stadthotel denken zu lassen.
Anregungen für alle
Ihre Ratschläge für Tourismus-Kolleg:innen sowie für Tourist:innen eint der Aufruf zur Kooperation. Die „SDGs“, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, haben diesbezüglich einen besonders hohen Stellenwert und Reitterer bezeichnet diese als Inhaltsangabe, welche für alle Beteiligten als Leitfaden dienen kann. Immerhin könne jede:r seinen Teil zum Schutz des blauen Planeten beitragen. Hoteleigentümer:innen sollen sich an diesen Vorhaben im kleinen Rahmen orientieren, Entscheidungsträger:innen von touristischen Regionen können mit intelligenter Infrastruktur und regionalen Lebensmitteln punkten, denn was hierzulande von einigen als selbstverständlich erachtet wird, wird in anderen Teilen der Welt noch zu sehr vernachlässigt. Auch die Reisenden selbst können ihren ökologischen Fußabdruck verringern, indem sie ihre Flüge kompensieren und bewusst auf Hotels mit möglichst geringen CO2-Emissionen achten. Schlussendlich haben die Tourist:innen beim Buchungsvorgang das Heft in der Hand.
Das zeigt sich auch in ihrem eigenen Betrieb nahe der Wiener Stadthalle im 15. Wiener Gemeindebezirk. Viele Gäste kommen schon heute, weil sie Werte wie nachhaltigen Umgang mit der Umwelt privat leben und sich so für ihr Boutiquehotel entscheiden. Auf diese Art und Weise kann Europa laut der Unternehmerin den internationalen Ton in puncto nachhaltigen Tourismus angeben, was aufgrund seiner aussichtsreichen Voraussetzungen dringend notwendig sein wird. Von Aussagen wie „Österreich ist zu klein, um was beitragen zu können“, oder „Es hilft eh nichts, wenn China nichts verändert“ hält sie wenig, weil man so nicht weiterkomme.
Keine Zeit für Alleingänge
Stichwort weiterkommen. Reitterer ist als Tourismus-Expertin der unabhängigen Plattform „CEOs FOR FUTURE“ motiviert, in Sachen Klimapolitik heute schon Verantwortung für morgen zu übernehmen und zusätzliche Mitstreiter:innen für den sektorübergreifenden Veränderungsprozess zu gewinnen. Um von Österreich aus einen Beitrag zu dieser Thematik und darüber hinaus leisten zu können, will die Hotelbetreiberin mit Kolleg:innen aus verschiedensten Sparten an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Hierbei sollen aber nicht Vertreter:innen unterschiedlicher Industriezweige nur auf die eigenen Bedürfnisse schauen, sondern partnerschaftlich einen Mehrwert für alle erzielen. Reitterer sieht hier den Tourismus als unvernachlässigbare Querschnittsmaterie. Als solche will sie mit den anderen Mitgliedern des Vereins verstärkt mit der Jugend ins Gespräch kommen, da beide Seiten voneinander lernen können und die unterschiedlichen Sichtweisen auch positive Aspekte mit sich bringen würden.
Was es für die Zukunft braucht
Angesprochen auf die Attraktivität für junge Arbeitnehmer:innen und auf den Arbeitskräftemangel, unter dem auch ihre Branche leidet, verweist sie auf ihre eigenen Erfahrungen. Die vergangenen Lockdowns haben das Gefühl einer Jobsicherheit verschwinden lassen, jedoch kann sie einige jüngere Mitarbeiter:innen einstellen, da sie ihnen mit ihrem Unternehmen das bieten kann, wonach sich viele von ihnen sehnen: dem Purpose. In ihrem Hotel können die Angestellten in einem klimafreundlichen und authentischen Betrieb mitanpacken. Das holt immer mehr Jobsuchende ab.
Dennoch brauche es zukünftig mehr Lobbying-Arbeit, um nachhaltigen Fremdenverkehr dauerhaft und grenzüberschreitend salonfähig zu machen. Reitterer denkt langfristig an einen Tourismus, der die Lebensräume der Menschen schätzt und sich weniger global als momentan verhält. Dafür wird es viel Zusammenarbeit benötigen – mit Europa als Zugmaschine.