„Lasst Mitarbeiter über den eigenen Tellerrand hinaus arbeiten!“
Sie sind eine Vorreiterin der kollaborativen „Working Out Loud“-Bewegung. Was versteht man darunter? Warum fasziniert Sie so an diesem Ansatz? Wie hilft er bei der abteilungsübergreifenden Vernetzung?
In vielen Unternehmen ist Teamfähigkeit oberstes Gebot, wesentliches Element von niedergeschriebenen Unternehmenswerten, Zielvereinbarungen und Stellenausschreibungen. Arbeiten ist nun mal eine Mannschaftsdisziplin. Die praktische Beobachtung in Unternehmen zeigt aber, dass genau dieses Denken – verbunden mit den in den 90er Jahren eingeführten individuellen Zielen – Silodenken fördert. Verstärkt wird dies durch die gängige Kultur des funktionalen Expertentums („ein Logistiker kann niemals als Controller arbeiten; und ein Softwareentwickler niemals als Vertriebler“). So bleibt das Unternehmen unter seinen Möglichkeiten im Hinblick auf Produktivität und Innovationskraft – denn die besten Lösungen entstammen seit jeher maximal diverser Problemlösungsstrategien – aber dazu müssen Diversität und das Zusammenkommen verschiedener Disziplinen und damit verschiedener Perspektiven maximal gefördert werden.
Die Haltung „Working Out Loud“ – also offen, hierarchiefrei, funktionsfrei, angstfrei, konstruktiv und auch in der Suche nach Hilfe und Unterstützung über die eigene Arbeit sprechen zu können – ermöglicht es hier, schnelle und gute unternehmerische Entscheidungen zu entwickeln, auch und gerade weil die Diversität aus unterschiedlichen Problemlösungsstrategien unterschiedlicher unternehmerischer Disziplinen einfach Innovation und Kreativität fördert.
Und diese Haltung kann man mit einem einfachen Lernprogramm (Working Out Loud) einüben, lernen, und auch noch Spaß daran finden. Für Unternehmen lohnt es sich also in vielfacher Hinsicht, den hierfür notwendigen Freiraum zu gewähren; und für die Mitarbeiter sowieso, die haben mehr Spaß, fühlen mehr Sinn und mehr Verbundenheit, wenn sie über ihren eigenen Tellerrand hinaus arbeiten dürfen.
In vielen Unternehmen klagen die Mitarbeiter über zu viele Meetings und Absprachen, die zum einen von der eigentlichen Arbeit abhalten – und zum anderen oft als unproduktiv und wenig zielführend wahrgenommen werden. Was läuft da falsch in der Kommunikation?
Wir reden seit Jahren in Unternehmen über Kommunikation und meinen damit Rhetorik und überzeugende Argumentation; in den wenigsten Unternehmen haben wir gelernt, eine wirklich gute, zielführende und sachorientierte Gesprächskultur zu entwickeln. Unsere Gespräche in Unternehmen sind belastet von Hierarchie-, Silo- und Funktionsdenken sowie von dem kulturellen Zwang, sich im Sinne der persönlichen Förderung (Karriere) hervorzutun. Im Ergebnis fehlt es vielfach an Sachlichkeit und noch schlimmer: An Verbindlichkeit für die getroffenen Vereinbarungen. Unternehmen beginnen dann, „Meeting-Knigges“ aufzustellen in ihren Meetingräumen – und komischerweise passiert dann – gar nichts. In guten Meetings gibt es einen Moderator – hier hat Scrum mit dem Scrummaster einen wunderbaren „Dienst“ entwickelt, oder auch der Facilitator in den Soziokratischen Systemen, der ohne Rücksicht auf Rang und Namen die Gesprächsführung aufs Wesentliche fokussiert.
Schließlich: Ja, es sind zu viele Meetings und ich erlebe in den Potentialentwicklungsprogrammen, die ich in Unternehmen begleiten darf, dass gerade junge Talente kontinuierlich an ihre Kapazitätsgrenze geführt werden, aber im Sinne ihres beruflichen Fortkommens „durchhalten“: Wir verbinden Quantität – Arbeitsstunden – immer noch mir Fleiß, Produktivität und Förderwürdigkeit. Damit legen wir den Fokus meines Erachtens ganz falsch und triggern kulturell schon früh die Motivation von Mitarbeitern kontraproduktiv.
Befördert Working Out Loud nicht noch mehr die Meeting-Kultur und wie sollen die Mitarbeiter neben einem ausgefüllten Tagesplan noch Zeit für Working Out Loud finden?
Als absolut freiwilliges Lernprogramm schafft Working Out Loud vor allen Dingen eines: Es ermöglicht Mitarbeitern, die vollkommen fremdbestimmt in ihre Kalender eigepfercht sind, eine selbstbestimmte, selbstorganisierte Stunde gemeinsamer Reflexion pro Woche. In komplexen Zeiten von Informationsüberflutung schafft diese Atempause das Gefühl der Selbst- und Mitgestaltung im Unternehmen und damit eine Verbundenheit, die uns gerade in hochpolitischen, administrationsgetriebenen, traditionellen Unternehmenskulturen längst schon verloren gegangen ist.
Wodurch kann man die Mitarbeiter motivieren, sich tatsächlich sozial zu vernetzen?
Mitarbeiter sind grundsätzlich motiviert, sich sozial zu vernetzen. Würden wir in einer Welt ohne Silos und individuellen Zielen leben, würden wir Mitarbeitern die Freiräume gewähren, sich sachorientiert zu konkreten unternehmerischen Fragestellungen selbstorganisiert zusammen zu tun und auszutauschen, würden sie das uneingeschränkt tun.
Insofern: Wir müssen Menschen nicht motivieren, wir müssen ihnen aber die Freiräume gewähren und die Angst nehmen, frei und offen miteinander zu sprechen. Motivieren müssen wir im Übrigen vielfach die Führungskräfte dieser Mitarbeiter – und zwar zum Loslassen, das ist die viel größerer Hürde im Thema unternehmensübergreifender Kollaboration und Kommunikation; hier gibt es immer noch zu viel Angst vor Statusverlust durch Kontrollverlust, Angst, das eigene Königreich aufgeben zu müssen.
Welche digitalen Tools helfen bei der sozialen Vernetzung und abteilungsübergreifendem Wissensaustausch?
Eine wirklich effektive Kommunikation und Kollaboration in Unternehmen lebt zunächst von der Philosophie, maximale Freiräume in jeder Hinsicht zu schaffen. Das geht von den physischen Räumen von Begegnung über Arbeitszeitmodelle und als wesentliches Rückgrat natürlich netzbasierten, hierarchie- und funktionsfreie Netzräume wie Enterprise Social Networks. Und in Unternehmen, die bspw. zu klein sind, solche Lösungen zu nutzen, bieten sich Plattformen wie Linkedin an, die ja auch eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit in geschlossenen Gruppen erlauben, und cloud-basierte Lösungen wie Slack oder mein Lieblingstool Trello. Manche IT-Experten haben bekanntlich Vorbehalte gegen die Cloud, aber selbst in traditionellen Unternehmenskulturen halten diese Werkzeuge inzwischen Einzug.
Gerade ältere und erfahrene Kollegen möchten ihr durch jahrelange Erfahrung gesammeltes Wissen nicht so einfach an jüngere Kollegen weitergeben und lieber ihren Wissensvorsprung beibehalten. Wie überzeugen Sie diese Gruppe vom Gegenteil?
Ich erlebe das ganz anders in Unternehmen: Gerade erfahrene Mitarbeiter leiden öfter darunter, dass im hektischen Alltag ihre Erfahrung und Expertise offenkundig nicht gebraucht wird und sie genießen es in der Regel sehr, ihr Wissen weiterzugeben und Anerkennung zu erhalten für ihre Kenntnisse. Hier entsteht nochmal das von vielen Mitarbeitern so vermisste Gefühl der Mitgestaltung im Unternehmen – und eine große Verbundenheit. Ich glaube, das ist ein Vorurteil und ein Scheingefecht, es steht und fällt mit den Freiräumen. Hier möchte ich nochmal den wunderbaren Nutzen von Reverse Mentoring erwähnen: Junge Mitarbeiter unterstützen erfahrenere, weniger netzwerk-technologie affine Kollegen beim Zurechtfinden beispielsweise in sozialen Netzwerken. Aber die älteren Mitarbeiter geben durch ihre fachliche Erfahrung und durch ihre lange Unternehmenszugehörigkeit eine ganz starke Identifikation mit dem Unternehmen an die Jungen weiter: Hier gewinnen alle drei: Die älteren Kollegen, die jungen Kollegen – und das Unternehmen.
Und abschließend: Natürlich gibt es in jedem Unternehmen Menschen, die aus verschiedensten Gründen in sozialen Netzwerken nicht mitwirken können oder wollen. Wie bei jeder Veränderung: Ein Stück weit müssen wir das akzeptieren. Die Erfahrung zeigt, dass früher oder später alle zum Brunnen kommen, wenn es dort das gute, frische Wasser gibt. Und genau so ist es mit den sozialen Netzwerken: Wenn dort der Freiraum entsteht, angstfrei und sachlich die relevanten Themen gemeinsam zu behandeln und voneinander, miteinander zu lernen, dann kommen auch diese Mitarbeiter ins Netz. Und zwar freiwillig – das ist das Wichtigste.
Unternehmensberaterin Sabine Kluge
Sabine Kluge hat ihre fachlichen Wurzeln in der Unternehmensstrategie für Technologiethemen und begleitet operative Bereiche in Fragestellungen von Strategie-, Personal- und Organisationsentwicklung. Sie teilt ihr Wissen in ihrem Blog auf LinkedIn, wo sie mit ihren Beiträgen 2017 als eine der wichtigsten Bloggerinnen (25 Top Voices) ausgezeichnet wurde. Für ihr Engagement rund um Kollaboration in Unternehmen wurde sie gemeinsam mit ihrem unternehmensübergreifenden Netzwerk WOLCOP mit dem HR Excellence Award ausgezeichnet.
Auf der Zukunft Personal Austria hält sie am 13. November um 11.30 Uhr eine Keynote mit dem Titel „Wenn Digitalisierung das Problem ist, warum ist soziale Vernetzung die Lösung?“
PERSONALFACHMESSE „ZUKUNFT PERSONAL AUSTRIA“
Die Zukunft Personal Austria findet am 13. und 14. November in der Messe Wien statt und ist laut Angaben des Veranstalters mit mehr als 100 Ausstellern und 2.000 Fachbesuchern Österreichs größte Personalfachmesse.
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