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„Österreich gilt europaweit
als Vorbild für
Direktvermarktung
in der Landwirtschaft.“
Siegfried Pöchtrager
Dozent, Institut für Marketing
und Innovation an der Universität
für Bodenkultur Wien
schöpfung der Produkte für die Landwirt:in- te direkt an die Konsument:innen zu verkaufen.
nen gesteigert werden und man bekommt mehr „Die Idee ist entstanden, als ich 2018 mit einem
Wertschätzung für das Produkt“, sagt Siegfried der größten Lebensmittelkonzerne zusammenge-
Pöchtrager, Dozent am Institut für Marketing arbeitet habe und merkte, welchen Einfluss die
und Innovation an der Universität für Boden- haben – wir wollen viele kleine Betriebe zu einer
kultur Wien (BOKU). Besonders in Anbetracht Einheit zusammenschließen“, sagt Reisner. In ei-
des strukturellen Wandels in der Landwirtschaft ner Befragung von Konsument:innen fanden sie
und der immer schwierigeren wirtschaftlichen heraus, dass viele den Bezahlvorgang als größte
Rahmenbedingungen sei die Direktvermarktung Hürde beim Einkauf von regionalen Produkten
eine große Chance. „Man muss aber auch offen empfinden. Bisher gab es meist direkt an den
für Veränderung sein“, sagt er. Denn auch die Höfen Vertrauenskassen, aus denen die Kund:in-
Bedürfnisse der Konsument:innen würden sich nen Wechselgeld selbst entnehmen mussten –
stark verändern. „Früher haben vor allem Pensio- das war umständlich und sorgte für Probleme.
nist:innen ab Hof gekauft, heutzutage greift auch „Deswegen entwickelten wir einen Prototyp für
eine junge Zielgruppe gerne auf direktvermarkte- ein Zahlsystem, das wir mit zwei Direktvermark-
te Produkte zurück. Allerdings wird weniger ge- tern getestet haben und aktuell mit Landwirten
kocht, dafür sind halbfertige Produkte wie fertige weiterentwickeln“, erklärt Reisner. Die App des
Suppen, Saucen oder geschnittenes Gemüse be- Unternehmens ermöglicht es Konsument:innen,
liebt“, erklärt Pöchtrager. Direktvermarkter in der Umgebung zu entde-
cken, sich ein Bild vom Sortiment zu machen
Laut einer Studie der Landwirtschaftskammer und bargeldlos zu bezahlen. Ab 2023 will myre-
Österreich verkaufen mittlerweile rund 27 Pro- gionalfood moderne Verkaufsstationen in Form
zent der heimischen landwirtschaftlichen Be- großer Kühlschränke auf den Markt bringen,
triebe ihre Produkte zum Teil selbst. „Diese Zahl die per App entriegelt werden können. „Ohne
steigt zwar nicht wirklich an, dafür steigt in den zusätzliche Eingabe erkennt das Gerät auto-
Betrieben, die diesen Weg schon gehen, der An- matisch, welche Produkte entnommen wurden,
teil des Einkommens durch die Direktvermark- und verrechnet sie den Konsument:innen dann
tung“, erklärt Pöchtrager. Was die Direktver- automatisch“, sagt Reisner. Die Software dafür
marktung betrifft, sei Österreich europaweit ein kommt von myregionalfood, die Geräte werden
Vorbild und Vorreiter. Pöchtrager: „Wir haben von Kooperationspartnern hergestellt. Durch die
diese Art des Vertriebs über die letzten 40 Jahre IT-Lösung soll es Landwirt:innen bequem mög-
immer weiter ausgebaut, sehr wichtig war etwa lich sein, auszuwerten, welche Produkte in wel-
die Gründung der Marke ‚Gutes vom Bauern- chen Regionen beliebt sind. Die Geräte sollen so-
hof‘, die einen gemeinsamen Auftritt und eine wohl bei Landwirt:innen selbst als auch an stark
hohe Qualität sicherstellt.“ Es gebe viele junge frequentierten oder urbanen Orten aufgestellt
und kreative Kräfte, welche die Landwirt:innen werden. Das große Ziel der Gründer ist es, die
bei neuen Vertriebs- und Marketingstrategien heimische Lebensmittelvielfalt auch für künftige
unterstützen. Generationen aufrechtzuerhalten. „Die Direkt-
vermarktung ist eine gute Alternative, weil man
Neues Zahlsystem und App selbst die Produkte bestimmen und auch mit
für Direktvermarktung wenig Fläche und Mitteln nachhaltig wirtschaf-
ten kann“, sagt Reisner. Er sieht nicht nur den
Ein Beispiel dafür ist das Startup myregional- Einfluss von großen Lebensmittelkonzernen und
food. Die beiden Gründer Niklas Reisner und Handelsketten auf die Landwirtschaft kritisch –
Julian Lamplmair unterstützen landwirtschaftli- er ist der Meinung, dass diese die steigende Di-
che Betriebe mit ihrer App dabei, ihre Produk- rektvermarktung als Bedrohung sehen. „Als
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