Page 133 - Herbstausgabe_2022_03
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„Österreich gilt europaweit
                                              als Vorbild für
                                          Direktvermarktung
                                          in der Landwirtschaft.“

                                            Siegfried Pöchtrager
                                             Dozent, Institut für Marketing
                                            und Innovation an der Universität
                                                für Bodenkultur Wien






            schöpfung der Produkte für die Landwirt:in-  te direkt an die Konsument:innen zu verkaufen.
            nen gesteigert werden und man bekommt mehr   „Die Idee ist entstanden, als ich 2018 mit einem
            Wertschätzung für das Produkt“, sagt Siegfried   der größten Lebensmittelkonzerne zusammenge-
            Pöchtrager, Dozent am Institut für Marketing   arbeitet habe und merkte, welchen Einfluss die
            und Innovation an der Universität für Boden-  haben – wir wollen viele kleine Betriebe zu einer
            kultur Wien (BOKU). Besonders in Anbetracht   Einheit zusammenschließen“, sagt Reisner. In ei-
            des strukturellen Wandels in der Landwirtschaft   ner Befragung von Konsument:innen fanden sie
            und der immer schwierigeren wirtschaftlichen   heraus, dass viele den Bezahlvorgang als größte
            Rahmenbedingungen sei die Direktvermarktung   Hürde beim Einkauf von regionalen Produkten
            eine große Chance. „Man muss aber auch offen   empfinden. Bisher gab es meist direkt an den
            für  Veränderung sein“, sagt er. Denn auch die   Höfen Vertrauenskassen, aus denen die Kund:in-
            Bedürfnisse der Konsument:innen würden sich   nen  Wechselgeld selbst entnehmen mussten –
            stark verändern. „Früher haben vor allem Pensio-  das  war  umständlich  und  sorgte  für  Probleme.
            nist:innen ab Hof gekauft, heutzutage greift auch   „Deswegen entwickelten wir einen Prototyp für
            eine junge Zielgruppe gerne auf direktvermarkte-  ein Zahlsystem, das wir mit zwei Direktvermark-
            te Produkte zurück. Allerdings wird weniger ge-  tern getestet haben und aktuell mit Landwirten
            kocht, dafür sind halbfertige Produkte wie fertige   weiterentwickeln“, erklärt Reisner. Die App des
            Suppen, Saucen oder geschnittenes Gemüse be-  Unternehmens ermöglicht es Konsument:innen,
            liebt“, erklärt Pöchtrager.                 Direktvermarkter in der Umgebung zu entde-
                                                        cken, sich ein Bild vom Sortiment zu machen
            Laut einer Studie der Landwirtschaftskammer   und bargeldlos zu bezahlen. Ab 2023 will myre-
            Österreich verkaufen mittlerweile rund 27 Pro-  gionalfood moderne Verkaufsstationen in Form
            zent der heimischen landwirtschaftlichen Be-  großer  Kühlschränke  auf den Markt  bringen,
            triebe ihre Produkte zum Teil selbst. „Diese Zahl   die per App entriegelt werden können. „Ohne
            steigt zwar nicht wirklich an, dafür steigt in den   zusätzliche Eingabe erkennt das Gerät auto-
            Betrieben, die diesen Weg schon gehen, der An-  matisch, welche Produkte entnommen wurden,
            teil des Einkommens durch die Direktvermark-  und verrechnet sie den Konsument:innen dann
            tung“, erklärt Pöchtrager.  Was die Direktver-  automatisch“, sagt Reisner. Die Software dafür
            marktung betrifft, sei Österreich europaweit ein   kommt von myregionalfood, die Geräte werden
            Vorbild und  Vorreiter. Pöchtrager: „Wir haben   von Kooperationspartnern hergestellt. Durch die
            diese Art des Vertriebs über die letzten 40 Jahre   IT-Lösung soll es Landwirt:innen bequem mög-
            immer weiter ausgebaut, sehr wichtig war etwa   lich sein, auszuwerten, welche Produkte in wel-
            die Gründung der Marke ‚Gutes vom Bauern-   chen Regionen beliebt sind. Die Geräte sollen so-
            hof‘, die einen gemeinsamen Auftritt und eine   wohl bei Landwirt:innen selbst als auch an stark
            hohe Qualität sicherstellt.“ Es gebe viele junge   frequentierten oder urbanen Orten aufgestellt
            und kreative Kräfte, welche die Landwirt:innen   werden. Das große Ziel der Gründer ist es, die
            bei neuen  Vertriebs- und Marketingstrategien   heimische Lebensmittelvielfalt auch für künftige
            unterstützen.                               Generationen aufrechtzuerhalten. „Die Direkt-
                                                        vermarktung ist eine gute Alternative, weil man
            Neues Zahlsystem und App                    selbst die Produkte bestimmen und auch mit
            für Direktvermarktung                       wenig Fläche und Mitteln nachhaltig wirtschaf-
                                                        ten kann“, sagt Reisner. Er sieht nicht nur den
            Ein Beispiel dafür ist das Startup myregional-  Einfluss von großen Lebensmittelkonzernen und
            food. Die beiden Gründer Niklas Reisner und   Handelsketten auf die Landwirtschaft kritisch –
            Julian Lamplmair unterstützen landwirtschaftli-  er ist der Meinung, dass diese die steigende Di-
            che Betriebe mit ihrer App dabei, ihre Produk-  rektvermarktung als Bedrohung sehen. „Als


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