Visionen brauchen Raum und Mut. Und manchmal einen Staubsauger.
Claudia und Alexander Schreibeis führen ihre Werbeagentur in einem Schloss. Das war kein Zufall, sondern eine Vision, die sich ihren Weg bahnte. Heute machen sie genau das für ihre Kunden: Sie holen Visionen an die Oberfläche, die längst da sind – nur noch nicht sichtbar. Wie das geht? Mit Tiefe statt Oberflächlichkeit. Mit Humor statt Schwere. Und manchmal auch mit einem Staubsauger.
Das Türschloss klickt. Die schwere Holztür öffnet sich. Und dann – Wow. Das ist tatsächlich das erste Wort, das den meisten über die Lippen kommt, wenn sie das erste Mal die Agentur Schreibeis betreten. Hohe Decken, knarrender Parkettboden, eine Treppe, die sich elegant nach oben windet. Rechts hängt ein überlebensgroßes Columbo-Porträt an der Wand. Links eine Kinderzeichnung vom Sohn. Die aber übrigens so aussieht, als hätte sie ein namhafter Künstler kreiert. Dazwischen: Stil und Seele. Genau wie bei Claudia und Alexander Schreibeis selbst. Wir treffen die beiden in „ihrem“ Schloss. Ja, richtig gelesen. Ihre Agentur befindet sich tatsächlich in einem Schloss in Petzenkirchen in Niederösterreich.
>>> Die Vision, die noch keine war
„Wir haben lange gesucht“, erzählt Alexander, während er uns durch die Räume führt. Seine Stimme hat diese entspannte Art, die man bei Menschen findet, die angekommen sind. „Und irgendwie ist nie die richtige Location aufgetaucht. Dann haben wir aufgehört zu suchen.“ Claudia ergänzt: „Aber Alex hatte immer diese Vision: hohe Räume, wie so eine alte Anwaltskanzlei in Wien. Alle haben gesagt, das wirst du auf dem Land nie bekommen.“ Sie lacht. „Und dann kam das Schloss.“
Es kam, weil sie mit dem Schloss in Petzenkirchen wegen eines Designauftrages in Berührung gekommen sind. „Da haben wir erfahren, dass es noch freie Räumlichkeiten gibt.“ Beim ersten Besuch passierte etwas. Alexander betrat die in die Jahre gekommenen Räume im ersten Stock und sah nicht das Chaos. Er sah die Vision. „Ich bin da reingekommen und wusste sofort: So wird es aussehen. Ich habe es genau gesehen.“ Und genau so sieht es heute aus. Jedes Möbelstück selbst entworfen. Jeder Tisch, sogar die geschwungenen Füße des Schreibtisches – alles von ihnen gestaltet. „Uns ist wichtig, dass die Menschen uns spüren, wenn sie zu uns kommen“, sagt Claudia. Ihre Augen leuchten, wenn sie davon erzählt. „Du gehst rein und sollst merken, wer wir sind. Nicht kühl, aber mit Stil.“
>>> Columbo: „Noch eine Frage …“
Dann kommt die Frage, die jeder Besucher früher oder später stellt: Warum hängt da Columbo? Alexander lehnt sich zurück, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. „Es gibt drei Gründe, warum er da hängt.“ Er ist bekennender Columbo-Fan, das wird schnell klar. Aber es geht um mehr als Nostalgie. „Erstens: Columbo hat noch jeden Fall gelöst. Und so sehen wir das bei unseren Kunden auch. Wir finden für jeden die passende Lösung.“ Zweitens: Columbo hat sich immer wieder umgedreht. Noch eine Frage, noch eine Frage. „Genau das machen wir auch. Je mehr wir fragen, je tiefer wir gehen, desto besser verstehen wir den Kunden. Und desto besser können wir für ihn arbeiten.“
Pause. Alexander genießt den Moment. „Und der dritte Grund – der ist der entscheidende.“ Jetzt sind wir gespannt. „Columbo hat es immer mit Stil gemacht.“ Genau das ist ihr Anspruch. Und genau das ist es auch, was Kunden bei ihnen erleben: Stil und Substanz. Keine 08/15-Lösungen. Sondern maßgeschneiderte Arbeit, die sitzt.
>>> Wenn man alles auf eine Karte setzt
Im gemeinsamen Arbeiten sind sie übrigens geübt. Sie haben sich in einer Agentur kennengelernt, haben lange zusammengearbeitet. 2019 war das Jahr der großen Entscheidung. Alexander hatte einen sicheren Job, war Alleinverdiener. Claudia war gerade in Karenz mit dem zweiten Kind. Beide hätten in einer anderen Agentur weitermachen können, sogar eine Übernahme wäre möglich gewesen. „Aber ich wollte mein Baby“, sagt Alexander. Seine Vision von der eigenen Agentur begleitete ihn seit er zwölf Jahre alt war. Damals sah er die Serie „Ich heirate eine Familie“ mit Peter Weck. Der spielte einen Werbegrafiker, der von zu Hause aus arbeitete, seine Kinder spielten im Garten. „Ich habe als Zwölfjähriger gewusst: Das will ich auch.“
Der Weg dorthin war steinig. Die Bank fragte nach Sicherheiten. „Ich habe gesagt: Meine Sicherheit ist, dass ich das mit Sicherheit machen werde.“ Die Räume im Schloss hatten zunächst kein Wasser, kein Internet. „Wir mussten die Straße aufreißen, 6.000 Euro, um Glasfaser zu verlegen.“ Aber Alexander dachte sich: Worst Case? „Dann sperre ich halt zu und suche mir etwas Neues. Es gibt immer eine Lösung.“ Wenige Monate nach der Eröffnung kam Corona. „Aber wir haben uns nie gefragt, ob wir es wagen hätten sollen. Die Entscheidung war klar. Das war unser Weg.“
>>> Händeschütteln in einer digitalisierten Welt
In einer Zeit, in der Zoom-Calls und E-Mails Standard sind, gehen Claudia und Alexander einen anderen Weg. Sie wollen ihre Kunden spüren. „Wenn du jemanden hier sitzen hast, ist eine ganz andere Basis da“, erklärt Alexander. „Alleine, wie jemand dir die Hand gibt, wie er reinkommt, was er für Schuhe trägt – da kriegst du schon 20 Prozent mit, bevor überhaupt ein Wort gefallen ist.“ Dieses persönliche Kennenlernen ist kein nettes Extra. Es ist die Grundlage ihrer Arbeit. „Wir sind total interessiert am Menschen und an der Vision, wie diese entstanden ist, um zu verstehen“, sagt Alexander. Zum Beispiel: Ein Kunde rief wegen einer Neuübernahme eines Cafés an. Alexander sagte: „Wenn du ein Logo willst, okay. Aber wir müssen die Location sehen, wir müssen euch kennenlernen.“ Was folgte, war eine komplette Neugestaltung: Licht, Boden, Mobiliar, Kommunikation, Branding. „Die wollten eigentlich nur die Kasteln abwischen und neu aufsperren. Wir haben ihnen gezeigt, was möglich ist.“ Heute hat das Café nach einem Monat über 900 Website-Zugriffe. Für die Website eines Cafés ist das verdammt viel. Die Kunden planen bereits die Erweiterung. „Das ist passiert, weil wir die Menschen dahinter kennengelernt haben, weil sie uns Vertrauen geschenkt haben.“
>>> Wenn die Gänsehaut kommt
Was die beiden machen, geht also weit über Logo-Design hinaus. Sie möchten Visionen sichtbar machen. Visionen, die ihre Kunden oft selbst noch nicht kennen. „Es passiert immer wieder, dass Leute plötzlich Gänsehaut bekommen“, erzählt Claudia. „Weil sie sich das erste Mal selbst sehen. Ihr Potential. Das, was in ihnen steckt. Da kommen Dinge an die Oberfläche, an die sie zuvor nie gedacht hätten.“
Ein weiteres Beispiel: „the Coffeeboy“. Er kam mit einer simplen Anfrage – eine neue Etikette für seinen Kaffee. Claudia spürte sofort, dass da mehr ist. „Ich habe gefragt: Wo brühst du deinen Kaffee?“ Und dann erzählte er. Von einer Alm in Oberösterreich. Von experimentellen Röstverfahren. Von einer Vision, die er längst begraben hatte. „Seine Lebensgefährtin hat ihn dann erinnert: Du hast doch mal davon geträumt, „the Coffeeboy“ zu sein. Einen eigenen Store zu haben.“ Heute geht the Coffeeboy durch die Decke. Er hat eine Marke aufgebaut, beliefert Re-
staurants und Cafés, ist auf Messen und im Handel präsent. „Und das alles, weil wir ihm geholfen haben, seine Vision sichtbar zu machen. Die war ja schon da. Sie musste nur raus.“
>>> Das Verrückte an Visionen
Was ist das Verrückte an einer Vision? Alexander überlegt. „Das Verrückte ist, dass es eine gewisse Verrücktheit braucht, um sie zu verwirklichen. Es gibt keine Regeln, keine Vorgaben. Du musst in dich hineinhören, dir selbst vertrauen und den Mut haben, es zu tun. Das ist verrückt, weil es auch mit Angst verbunden ist.“ Claudia hingegen findet, das Verrückte daran sei, „dass es so einfach ist. Die Vision steckt ja schon in uns drin.“ Alexander nickt. „Man muss es nur zulassen.“ Genau das ist ihr Ansatz: Visionen zulassen. Sie herausholen. Sichtbar machen. Bei sich selbst und bei ihren Kunden. „Oft ist es Scham, die uns zurückhält“, sagt Claudia. „Oder Selbstzweifel. Da braucht es jemanden, der an dich glaubt.“
>>> Wenn die Inspiration auf sich warten lässt
Und wenn die Inspiration mal nicht da ist? Claudia hört Musik. Alexander? „Ich gehe Staubsaugen.“ Wir schauen ihn ungläubig an. Er lacht. „Ja, Staubsaugen ist etwas Befreiendes. Dieses monotone Geräusch. Man saugt etwas weg, macht es klarer, freier, sauberer. Man schafft Raum für Neues.“
Das ist irgendwie typisch für die beiden: Sie nehmen sich ernst, aber nicht zu ernst. Sie philosophieren über Visionen und Corporate Identity – und staubsaugen zwischendurch. „Bei aller Tiefe“, sagt Claudia, „ist uns wichtig, dass es leicht gehen soll. Mit Humor. Das Leben und die Arbeit sollen Freude machen.“ Ihr Motto stammt von Coldplay: „If you never try, you’ll never know.“ Und so leben sie auch. Sie haben versucht. Sie haben gewagt. Sie haben ihre Vision verwirklicht – in einem Schloss.
„Visionen brauchen Raum“, sagt Claudia zum Schluss. „Wenn du eingeengt bist, kommst du gar nicht auf deine Vision. Die Agentur darf dieser Raum sein. Für uns. Und für jeden, der etwas bewegen will.“ Alexander nickt. Und Columbo nickt auch. Nein, natürlich nicht, aber fast hätten wir‘s gedacht. Als würde er als Erinnerung sagen wollen: Jeder Fall lässt sich lösen. Mit Stil. Und mit den richtigen Fragen._
# Gedankensprung
Unsere Vision in einem Satz_
Claudia | Schönes auf die Welt bringen – weil wir finden, die Welt braucht mehr Schönheit, auch im Umgang miteinander.
Eine starke Vision erkennt man an_
Claudia | dem Feuer, dem Kribbeln im Körper, wo man weiß: Das ist es.
Print ist tot. Richtig oder falsch?_
Claudia | Falsch! In dieser schnelllebigen Zeit ist der Gegenpart – etwas in der Hand zu halten – wichtiger denn je.
Das killt eine Vision am schnellsten_
Claudia | Das Wort „aber”. Oder Selbstzweifel.
Alexander | Und das Wort „eigentlich“.
Der Unterschied zwischen Wunsch und Vision_
Claudia | Ein Wunsch ist ein kleines Vögelchen, das vorbeifliegt. Eine Vision ist so groß, dass sie einen völlig einnimmt.
Alexander | Der Wunsch ist irgendwann erfüllt. Die Vision ist ein brennendes Feuer, das nie erlischt.
Redaktion
- Susanna Winkelhofer
Fotos
Antje Wolm

