Wir müssen reden
Über Klischees und Vorbehalte. Über ein gelungenes Miteinander. Und darüber, was all dem zugrunde liegt: unsere Gefühle. Vor allem dort, wo „echte Kerle“ zugange sind, wo man „durch die harte Schule des Lebens muss“, wo kein Platz für Gefühlsduseleien ist – etwa in der Baubranche. Mit all diesen Klischees räumt das Bauunternehmen Waizenauer eiskalt auf. Oder besser gesagt: warmherzig und fortschrittlich.
Es ist also so weit … ich mache mich auf den Weg zu meinem ersten Termin bei einem Psychologen. Genauer gesagt bei einem Männerpsychologen. „Nein, alles gut bei mir!“, versichere ich meinem privaten Umfeld. Bin ja schließlich rein beruflich dort. Für ein Interview. Warum es mir trotzdem ein Anliegen ist, das gegenüber meinem engsten Kreis doppelt und dreifach klarzustellen? Vermutlich ist das das erste Indiz dafür, wie sehr dieses Thema nach wie vor stark mit Tabus behaftet ist. „Männer sind schließlich Weltmeister im Aushalten“, bestätigt der „Männerkenner“ Richard Schneebauer, kurz nachdem ich –
in einem Büro, nicht auf einer Couch – Platz genommen habe. Über weite Strecken ist das aus seiner Sicht eine gute Qualität. „Etwa wenn auf der Baustelle am späten Nachmittag noch die Decken fertig betoniert werden müssen und alle wissen: Wir ziehen das jetzt durch und es gibt keine Müdigkeit.“
Doch wie so oft gilt: Die Dosis macht das Gift. „Auf Dauer leidet dann das Zwischenmenschliche. Aggressionen, Wut oder Schweigen sind typische Reaktionen, wenn Männern einfach alles zu viel wird.“ Daran, wie der Stein zwischen Schneebauer und dem Bauunternehmen Waizenauer einst ins Rollen geriet, kann sich Geschäftsführerin Doris Vitale nur zu gut erinnern: „Wir hatten vor mittlerweile fast fünfzehn Jahren ein Problem mit dem Verhalten einer unserer Führungskräfte, der als extremer Patriarch aufgetreten ist und andere Mitarbeitende unterdrückt hat.“ Die gelernte diplomierte Krankenschwester wendet sich zu dieser Zeit an Schneebauer, weil die Denkweise, man müsse da durch und sich abhärten, für sie veraltet und nicht tragbar ist.
„Am Anfang wurden wir belächelt“
Was als einfaches Coaching für Mitarbeitende begann, ist zur langfristigen Maßnahme in der Personalentwicklung mit Alleinstellungsmerkmal geworden. Denn die Waizenauer-Führung und Schneebauer selbst erkennen schnell, welches Potential hinter dieser Idee steckt. „Anfangs war es noch schwierig, Akzeptanz in der Breite der Belegschaft zu finden“, erinnern sich die beiden. Nach und nach habe sich dann ein gegenseitiges Vertrauen entwickelt. „Heute nehmen Mitarbeitende kostenlos bis zu fünf Sitzungen in Anspruch, um über ihre beruflichen wie auch privaten Bedürfnisse und Herausforderungen zu sprechen.“ Ein Angebot, das diese zu schätzen wissen.
Dabei fällt auf: Viele Betriebe kümmern sich bereits um das körperliche Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden. Gesundes Essen in der Kantine und der Betriebssport haben meist ihren Stammplatz unter den Benefits gefunden, auch Angebote für Vorsorgeuntersuchungen sind im Kommen. Während sich Investitionen in die physische Gesundheit von Mitarbeitenden zuletzt stark etabliert haben, hinkt der Stellenwert der mentalen Gesundheit allerdings noch immer hinterher. „Aber wenn sich Menschen nicht wohlfühlen und mit sich selbst nicht gut klarkommen, erschweren sie sich selbst und anderen den Alltag“, gibt Vitale zu bedenken. Ein rundes Zusammenspiel aus physischer und psychischer Gesundheit stehe daher an oberster Stelle. Was die beiden für die erfolgreiche Umsetzung empfehlen? „Sowohl männer- auch als frauenspezifische Angebote schaffen. Darüber hinaus dem Thema in und aus den Führungsebenen den Rücken stärken.“ Und am allerwichtigsten: „Mit dem Herzen dabei sein, offen auf die Menschen zugehen und spüren, was in ihnen vorgeht.“_
Redaktion
- David Bauer
Fotos
Waizenauer, Illu: Gettyimages