„Es wird nie wieder so langsam sein wie jetzt“
Wie kann man sicherstellen, dass ein Bewerbungsprozess fair und ohne Vorurteile verläuft und genau jene Menschen eine Stelle erhalten, die die notwendigen Kompetenzen dafür besitzen? Markus Litzlbauer, stellvertretender Landesgeschäftsführer des AMS Oberösterreich, spricht mit uns über das neue Landesziel und darüber, wie es zu einer Evolution des Arbeitsmarktes beitragen kann.
Es ist Freitagvormittag. In der Landesgeschäftsstelle des AMS Oberösterreich herrscht reges Treiben. Im Lift können wir schon erahnen, welche Themen in unserem Interview mit Markus Litzlbauer im Fokus stehen werden. Denn dort sehen wir die Namen der verschiedenen Seminarräume: „Impulse“, „Kreativität, „Dialog“ und „Potentialanalyse“. Eben jene Stichwörter, die einen prominenten Platz beim neuen Landesgeschäftsziel einnehmen.
Doch gehen wir einen Schritt zurück. Markus Litzlbauer spricht öffentlich gerne von einer Evolution in der Arbeitswelt. Wie diese Evolution aussehen wird? „Sie wird mannigfaltig sein. In den kommenden Jahren gehen wir von einem massiv steigenden Arbeitskräftebedarf aus. Einerseits aufgrund der Demografie, andererseits durch die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung, die nicht nur mit dem Thema Work-Life-Balance zu tun hat, sondern oft durch Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen erzwungen ist. Darüber hinaus besuchen immer mehr 15-Jährige eine weiterführende Schule und treten nicht als Lehrlinge in den Arbeitsmarkt ein.“
Ein Geben und Nehmen
Ein großer Teil der Evolution der Arbeitswelt wird das Thema Kompetenzorientierung sein. Das bedeutet auf der einen Seite, dass das AMS bei den Arbeitssuchenden viel stärker darauf achtet, welche Fertigkeiten sie, abgesehen von formalen Bildungsabschlüssen, noch mitbringen. „Denn jede Person erwirbt auch außerhalb von Schule und Studium Kompetenzen. Bin ich beispielsweise ehrenamtlich beim Samariterbund tätig? Trainiere ich eine Fußballmannschaft im Nachwuchsbereich? All die dadurch erworbenen Fähigkeiten müssen miteinbezogen werden.“
Auf der anderen Seite müsse es bei den Unternehmen ein massives Umdenken im Recruiting geben. Stellenausschreibungen sollten einen stärkeren deskriptiven Charakter und „ein bisschen mehr Fleisch“ haben, damit Bewerber tatsächlich nachvollziehen können, welche Kompetenzen gebraucht werden. „Weitergedacht kann diese Evolution damit enden, dass in Zukunft im Recruiting gar nicht mehr oder erst ganz am Ende darauf geschaut wird, ob die Bewerberinnen alt oder jung, Mann oder Frau, In- oder Ausländer, gesund oder beeinträchtigt sind.“ Dies wird unter anderem zu einer höheren Durchlässigkeit der Branchen führen. So kann eine Person, die aus dem Handel kommt, als Lektorin arbeiten, um nur ein Erfolgsbeispiel zu nennen. Neben dem Kompetenzmatching auf Bewerbendenseite möchte das AMS mit den Unternehmen gemeinsam die Arbeitsplätze in der Tiefe analysieren. Dabei will sich das AMS noch interdisziplinärer aufstellen und auf Unternehmensseite alle relevanten Partnern mit ins Boot holen.
Eines ist für Litzlbauer in Bezug auf die Zukunft des Arbeitsmarktes klar: „Viele Menschen sagen schon heute, dass sich alles so rasend schnell verändert. Doch wir sollten uns bewusst sein: Es wird nie wieder so langsam sein wie jetzt.“
# Gedankensprung
mit Markus Litzlbauer
stellvertretender Landesgeschäftsführer, AMS Oberösterreich
Unser Landesziel in drei Worten_Kompetenzen, Interdisziplinarität und Diversität
Was noch niemand über unsere Beratungen weiß_Im Jahr 2023 fanden in Oberösterreich rund 7.000 unternehmensseitige Beratungen statt und zirka 155.000 Anträge aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz wurden bearbeitet.
So finden wir selbst die besten Köpfe_Wir beschäftigen uns stark mit dem Thema Employer Branding. Mittlerweile haben wir einen sehr ausgeklügelten Onboarding-Prozess und setzen uns ebenso stark mit Preboarding auseinander.
Die Zukunft des Arbeitsmarktes wird_spannend.
So funktioniert das neue Kompetenzmatching
#1 Das neue System des AMS arbeitet mit 26.000 Kompetenzen. Zum Vergleich: Das alte System orientierte sich an einem Berufsobergruppensystem mit nur zirka 400 Schlüsselwörtern.
#2 Die Kompetenzen der Arbeitssuchenden werden mit den benötigten Kompetenzen der freien Stellen gematcht und es wird die Kompatibilität in Prozent angegeben.
#3 Im neuen System ist es möglich, festzustellen, welche Kompetenzen auf ein 100-prozentiges Matching noch fehlen.
#4 Die AMS-Beraterinnen und Berater sehen im ersten Schritt keine Personendaten, sondern eine Nummer. Dies soll dazu beitragen, Diskriminierung zu reduzieren.
Redaktion
Fotos
Melanie Pils / WeibsBILDER, Gettyimages