Was wir von Neni lernen können
Neni setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von Haya Molchos Söhnen zusammen. Neni bedeutet aber auch Diversity. „Unsere Küche ist eine Weltküche – eine, die sich aus vielen verschiedenen Kulturen zusammensetzt“, erklärt Haya. Und so ist es auch mit ihrem Personal, mit ihren Gästen und mit dem Mindset der ganzen Familie. Genau das sei ihr Erfolgsrezept. Wir treffen sie gemeinsam mit zwei ihrer Söhne im Restaurant „Neni am Prater“.
Was es mit den zwei Zucchini auf sich hat, die Haya Molcho vor sich hinlegt, als wir uns zu viert an einen runden Tisch mitten im Lokal setzen, werden wir später noch erfahren. Zunächst mal erklärt Ilan, warum sein Bruder Elior (verantwortlich für das E von „NENI“ und für den Bereich Human Resources) nun doch nicht dabei ist. „Junggesellenabschied“, sagt er und schmunzelt. Elior wurde von Freunden mit einem Ausflug nach Berlin überrascht – er heiratet in einem Monat. Als Haya das erzählt, strahlt sie über das ganze Gesicht. Familie sei alles für sie, darüber wird sie gleich noch mehr erzählen – ist aber ohnehin klar, wenn man bedenkt, dass sie mit drei ihrer vier Söhne vor vierzehn Jahren Neni gegründet und mittlerweile zu einem international erfolgreichen Unternehmen entwickelt hat.
Es ist elf Uhr am Vormittag, die letzten Frühstücksgäste haben gerade das Lokal verlassen, der Staubsauger brummt, bald werden die nächsten Gäste für einen Lunch mit Blick auf das Riesenrad kommen. Und so ähnlich (wenngleich mit anderem Ausblick) läuft es wohl auch in Paris, Hamburg, Amsterdam, Berlin, Mallorca und anderen Neni-Restaurants in Europa ab. Zwölf sind es mittlerweile. Und dann kommt noch die im Handel erhältliche Produktlinie „Neni am Tisch“ hinzu. „Wir leben davon, Menschen glücklich zu machen und alle Kulturen durch außergewöhnliche Erlebnisse zu verbinden“, erklärt Haya. Glücklich sehen sie übrigens alle drei selbst aus – was bestimmt auch daran liegt, dass sie gerade jede Menge Vitamin D getankt haben: Für ihr neuestes Kochbuch „Neni goes to Italy“ ist die Familie Molcho soeben durch Italien gereist. Das Buch erscheint im Oktober. Die Vorfreude darauf scheint jetzt schon groß zu sein. Und ist ein weiterer Beweis dafür, wie viel Freude es ihnen macht, in Kulturen einzutauchen, sich inspirieren zu lassen und in genau dieser Vielfalt ihr (Erfolgs-)Rezept zu finden.
1 Die CHANCEN in den UNTERSCHIEDEN sehen
„Neni steht für Diversity. Wir haben viele unterschiedliche Kulturen in einer Speise drin: Unsere Küche ist nicht die orientalische Küche, sondern eine Weltküche. Wir reisen um die Welt und lassen uns inspirieren“, erklärt Ilan, seines Zeichens CEO des Familienunternehmens. Genauso vielfältig seien auch ihre Gäste: „Wir haben Menschen aus aller Welt zu Gast, Großfamilien, Paare auf einem Date, Businessleute, die zum Mittag- oder Abendessen kommen.“ Neni sei ein Ort, wo jeder willkommen ist – egal, woher man kommt, wie alt man ist. „Du kommst rein und wirst genauso behandelt wie jeder andere.“
Von der Küche also über die Gäste bis zum Personal; die Vielfalt zieht sich bei Neni durch. Aus wie vielen unterschiedlichen Nationen die Mitarbeiter sind, wisse sie gar nicht. „Aber es sind viele, viele, viele“, sagt Haya, „und du musst auch mit den jeweiligen Kulturen umgehen können, dich für sie interessieren. Wenn zum Beispiel Ramadan ist, und die Köche, die bei uns arbeiten, einen Monat lang fasten, überlegen wir uns: Wie können wir sie unterstützen? Wir geben ihnen auch die Möglichkeit, zu beten. Dieser Respekt gegenüber anderen Kulturen ist enorm wichtig – dann entsteht nämlich ein gegenseitiger Respekt.“ Es brauche weniger Angst vor dem Fremden und mehr Mut, das Positive darin zu finden. „Wenn wir neugierig aufeinander zugehen, die Menschen wirklich kennenlernen möchten, schauen, was sie alles anbieten und nicht, was sie alles nicht anbieten –
dann sieht die Welt ganz anders aus.“
In genau diesem Mut zum Unbekannten stecke ein großer Erfolgsfaktor, ist Ilan überzeugt: „Wir profitieren von den unterschiedlichen Kulturen und Menschen, die bei uns arbeiten. Zum Beispiel haben wir im Restaurant ‚Neni am Wasser‘ einen italienischen Koch – Andrea. Er hat unsere Küche noch weiter bereichert – mit seinen Einflüssen und den Rezepturen seiner Oma. Das haben wir dann natürlich wieder in unseren Stil umgewandelt.“ Nenis Stärke sei es, die Schätze der unterschiedlichen Kulturen zu entdecken, anstatt sich von ihnen abzuwenden.
Die Unterschiede seien aber keineswegs nur in Sachen Kulturen wichtig, sondern auch, was die einzelnen Charaktere betreffe, sagt Nuriel. Er ist das N im Markennamen und zuständig für PR und Social Media. Nuriel vergleicht die Gastronomie gern mit einem Schachbrett. „Du hast wie beim Schach viele verschiedene Positionen und Aufgaben. Zum Beispiel den introvertierten Barmann, der in voller Konzentration hunderte Drinks rausschmeißen muss. Der muss exakt sein. Dann hast du den Kellner, der mit Humor gut erklären und verkaufen soll, der darf nicht introvertiert sein. Dafür muss er aber nicht super fokussiert sein. Dann hast du den Chefkoch, der auch als Manager organisiert sein muss, der Souschef hingegen macht mit Leidenschaft große Shows in der Küche.“ Und das sei verdammt gut so. Denn ein Unternehmen wachse nur durch unterschiedliche Persönlichkeiten. „Wenn alle gleich sind, bleibst du irgendwann stehen.“
Auch Haya und ihre Söhne sind alle sehr unterschiedlich. „Einer ist kreativer, vielleicht auch verträumter, der andere ist viel sachlicher und strukturierter. Unsere Mutter kommt aus einer Generation, wo man richtig hart gearbeitet hat, wo Arbeit fast der ganze Lebenssinn war. Heute sind wir eine Generation, die Wert auf eine gewisse Balance legt“, sagt Ilan. Durch eben diese Unterschiede könnten sie voneinander lernen, sich ergänzen und gemeinsam nach vorne kommen.
2 NICHT in der EIGENEN SAUCE baden
Gegrilltes Artischockenherz mit Labneh, Kaperndressing, Sumac und Pinienkernen. Oder doch lieber Jerusalem Chicken mit Hummus, Jerusalemgewürz, Amba und Tomatensalsa? Es ist natürlich noch zu früh für ein Mittagessen. Theoretisch. Aber praktisch haben wir sofort Appetit, als wir in die Lunchkarte schielen. Wie schade wäre das denn, wenn jedes Gericht aus derselben Sauce bestünde? Eben. Und deshalb sagt Haya: „Ich merke immer wieder, wie die Leute hier gerne in ihrer eigenen Sauce baden und schwer davon loskommen, sondern lieber als Erstes mal nörgeln und wenig Vertrauen schenken.“ Dennoch: Sie liebt Wien. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr wuchs sie in Tel Aviv auf, später zog sie mit ihrer Familie nach Deutschland und noch später gemeinsam mit ihrem Mann, dem berühmten Pantomime- und Körperspracheexperten Samy Molcho, nach Wien.
„Genauso wie mein Vater habe ich mir auch bewusst Wien als Zuhause ausgesucht“, erzählt Nuriel. Egal, wo auf der Welt er ist – als begnadeter Fotograf ist er viel unterwegs –, er komme immer wieder gerne nach Hause. „Städte wie London oder New York sind sehr, sehr schnelllebig und vielleicht manchmal zu innovativ. Wien ist da etwas gemütlicher, kann vielleicht nicht so schnell mit Veränderungen umgehen.“ Aber darin sehe er einen Vorteil: Wenn sich alles zu schnell verändert wie in anderen Weltstädten, dann seien die Menschen ständig auf der Suche nach etwas Neuem – und das führe irgendwann zu Identitätsproblemen. „In Wien wissen viele Leute, wer sie sind, und sind damit auch zufrieden und selbstbewusst. Das finde ich eine wunderschöne Balance: Dieses Neue zu suchen, aber auch zu schätzen, was ich habe.“
Was die Familie Molcho ausmacht, sei die Kombination aus mehreren Welten, fährt sein Bruder Ilan fort. „Das Wienerische, das Europäische und natürlich das Orientalische. Wir sagen immer, wir als Familie sind Balagan.“ Balagan bedeutet auf Hebräisch „sympathisches Chaos“. Nachdem sie alle als Quereinsteiger angefangen haben, war das natürlich oft Programm. „Unser Erfolg beruht auf sehr viel Learning by doing: Fehler zu machen, nicht immer perfekt sein zu müssen – wie unsere Locken sind wir ein bisschen chaotisch“, sagt er und lacht. Der Erfolg komme aber nicht nur von Chaos und Kreativität, sondern von sehr viel Struktur, die sie sich vor allem auch von einigen Mitarbeitern abschauen konnten.
Den Mitarbeiterinnen Vertrauen zu schenken sei übrigens ein weiterer Erfolgsfaktor, wirft Haya gleich noch ein. „Wenn du nicht vertraust, bist du der Sklave deiner eigenen Arbeit.“ Natürlich sei nicht jeder neue Mitarbeiter bereit, Verantwortung zu übernehmen, aber „wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, intern in unserer Company zu wachsen“, sagt Ilan. Jetzt ist es ein bisschen wie Ping-Pong-Spielen, Haya ist wieder am Ball: „Wichtig dabei ist, dass du nicht schnell Urteile wie gut oder schlecht fällst, sondern jedem Menschen immer eine Chance gibst.“
3 NEUES ZULASSEN und das EGO zur SEITE SCHIEBEN
Ein junger Kellner stellt ein Glas Wasser und etwas Zitronensaft vor Nuriel ab. Sein Akzent klingt ein bisschen nach Südtirol, er lächelt und es macht ganz den Anschein, als ob ihm seine Arbeit Spaß macht. Ob ihm bald ein Roboter seine Aufgaben abnehmen wird? „Man darf nie Angst vor einer Sache haben, die so stark gekommen ist. Man kann die KI nicht ignorieren oder sie wieder wegschaffen. Sie ist da. Die Frage ist: Welche Chancen ergeben sich dadurch für uns als Firma, was passt zu uns?“, sagt Haya. Wohl auch wegen dieses Mindsets wurde sie erst kürzlich vom Club 55 auf Ibiza mit dem Special Award ausgezeichnet, als erste Frau übrigens.
So sehr sie auch offen für Innovationen seien, von einem ist Ilan aber überzeugt: „Die Gastronomie wird immer von Menschen leben.“ Jeder denke sofort an Roboter, wenn man von KI in der Gastronomie spricht. „Das glaube ich nicht – aber wo wir KI sicher gut einsetzen werden, ist in der Analyse, in der Lebensmittelproduktion, wo wir ja auch für den Einzelhandel produzieren. Hier kann man mit KI bestimmt effizienter werden – Food Waste ist hier ein großes Thema; KI kann beim Tracken helfen.
Und was hat es nun eigentlich mit den zwei Zucchini auf sich? Haya nimmt sie in die Hand und schmunzelt. „Damit probiere ich heute noch ein neues Rezept aus.“ Neues ausprobieren, Neues zulassen, das sei ohnehin auch die Zutat für das Erfolgsrezept eines Familienunternehmens, erklärt Nuriel. „Oft haben wir gemerkt, dass es ein großes Problem sein kann, wenn es in Firmen einen Generationenwechsel gibt. Da ist wieder die Angst vor Veränderung.“ Aber natürlich komme die jüngere Generation mit neuen Ideen und mit dem Wunsch, den eigenen Stempel aufzudrücken. Haya nickt. „Vielen älteren Generationen fällt es schwer, das Ego wegzulassen, und das ist gefährlich: Das Ego tötet Erfolg.“ Ihr hingegen falle es überhaupt nicht schwer, ihr Ego außen vor zu lassen. „Wenn man sich als Familie gegenseitig respektiert – die Rollen, die Aufgaben, die Individualität der Einzelnen –, dann funktioniert das gut. Aber sobald einer zu sehr Chef spielt und einen anderen unterwirft, geht es schief“, sagt Nuriel.
Während sich das Lokal nach und nach wieder füllt – es ist fast Mittag –, fällt Ilan noch eine weitere Zutat für das Erfolgsrezept ein: Demut. „Wir haben hier in Wien 200 Mitarbeiter und in der Gruppe über 600. Demut spielt für mich eine ganz große Rolle, weil sie bedeutet, dass man reflektieren kann. Dass man sich Fehler eingesteht und offen zugibt, dass Fehler okay sind, weil man ja auch nur ein Mensch ist – egal ob man Vorgesetzter ist oder an der Verpackungsanlage steht. Demut muss von oben nach unten gelebt werden.“ Diese Lebenseinstellung kommt natürlich nicht von ungefähr. Auf die Frage, worauf sie bei der Erziehung ihrer Söhne Wert gelegt habe, antwortet Haya: „Das Letzte, das ich wollte, war, Machos zu erziehen – Respekt vor allen Menschen, das war mir wichtig. Überhaupt war uns das Soziale immer wichtiger als gute Noten. Es ging mir darum, dass sie sich selbst vertrauen lernen.“ Die Mission scheint erfüllt zu sein._
# Die Anatomie einer Macher-Familie
Das geht mir gerade durch den KOPF_
Haya: Unser Italien-Kochbuch, das im Oktober erscheinen wird. Wir sind gerade aus Italien zurückgekommen und jetzt geht es darum, alles zusammenzubringen – in schönen Grafiken, Bildern, Rezepten. Und das macht richtig Spaß!
Ilan: Zufriedenheit. Wir kommen aus einer schwierigen Phase mit der Pandemie, Krieg und allem Möglichen und sind immer noch in einer Situation, wo viele Herausforderungen da sind. Aber ich bin sehr zufrieden. Ich bin happy darüber, wie wir als Familie zusammenhalten. Es ist unglaublich, was wir aufgebaut haben – darauf kann man stolz sein.
Mein HERZ schlägt schneller, wenn_
Nuriel: ich meine Frau und mein Baby sehe.
Ilan: ich aufwache und meine Freundin neben mir habe.
Haya: ich mein Enkelkind sehe … ich bin so verliebt in ihn! So schön, dass noch ein Mensch in unsere Familie dazugekommen ist, den wir alle lieben. Das Schönste ist, wenn wir alle zusammen sind: meine Jungs, meine Familie.
Diese Entscheidung habe ich zuletzt mit meinem BAUCH getroffen_
Haya: Mit unserem jüngsten Sohn nach Tel Aviv anstatt nach Mallorca zu fliegen. Das war eine kurzfristige Entscheidung – mein Bauch sagte mir, Tel Aviv ist mir jetzt wichtiger, gerade nach dem, was alles passiert ist.
Ilan: Heute Morgen eiskalt zu duschen.
Nuriel: Wir machen gerade ein Rebranding der „Neni am Tisch“-Etiketten – das neue Design wird im Endeffekt eine Bauchentscheidung sein.
Das liegt uns zurzeit im MAGEN_
Haya, Ilan, Nuriel: Das ganze Thema im Nahen Osten, auch Antisemitismus, das macht uns traurig – wir sind jüdisch, wir sind jüdisch erzogen worden, aber sehr liberal und sehr offen.
Dorthin sollen uns unsere FÜßE tragen_
Ilan: Wir sehen unsere Zukunft sehr stark im Bereich healthy, casual food. Wir haben jetzt die Erlebnisgastronomie, full service, größere Betriebe, viel Personal. Wir haben den Einzelhandel. Und was uns fehlt, ist die Mitte. Diese ganzen Welten, die wir bis jetzt aufgebaut haben, wollen wir in einer zusammenführen.
Hätte ich nicht selbst so wunderbare Eltern, ich hätte sofort im Anschluss ans Interview ein Ansuchen auf Adoption ausgefüllt. Größentechnisch würde ich ganz gut dazupassen, an den Locken müsste ich noch arbeiten, aber am schönsten ist ohnehin das Lebensfreude-Gen. Und übrigens, probiert unbedingt mal bei Neni das Sesam-Dessert – oh ja, ihr werdet mich für diesen Tipp lieben.
persönliche Notiz zum Interview von
Susanna Winkelhofer
Redaktion
Fotos
Nenifood