Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde
Der Gesundheitssektor verursacht weltweit rund 4,4 % der CO₂-Emissionen – in Österreich sogar etwa 7 %. Wie die Gesundheits- und Medizintechnikbranche nachhaltiger und umweltfreundlicher wird, damit beschäftigte sich der hochkarätig besetzte und ausgebuchte 3. Austrian Life Science Day des Medizintechnik-Clusters am 8. Oktober im Linzer Schlossmuseum.
Nachhaltigkeit ist längst kein Nice-to-have mehr, sondern unverzichtbares Must-have. Darin waren sich nicht nur die Vortragenden, sondern auch die 150 Branchenvertreter:innen einig. Anne Hübner von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e.V.) mahnte: „Unsere Medizin findet derzeit außerhalb planetarer Grenzen statt. Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als wir regenerieren können – und externalisieren die Folgen auf andere Länder und kommende Generationen.“
Nachhaltigkeit gleich wichtig wie Hygiene
Sie präsentierte beeindruckende Zahlen: 4,4 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen stammen aus dem Gesundheitssektor. In Österreich sind es sieben, in Deutschland 5,2 Prozent der Gesamtemissionen. Hauptverursacher sind Krankenhäuser. Hübner präsentierte mögliche Lösungen – vom Recyclingpapier über Tencel statt Baumwolle bei Textilien bis hin zu wiederverwendbaren Wundspülsystemen. Ihr Appell: Nachhaltigkeit muss denselben Stellenwert erhalten wie Hygiene und Datenschutz, denn: „Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.“
Digitalisierung als Schlüssel für Klimaneutralität
Sigrid Linher vom Branchenverband MedTech Europe zitierte eine aktuelle Studie, wonach 15 bis 25 Prozent der CO₂-Emissionen des Gesundheitssektors der MedTech-Branche zuzurechnen sind. Ihr Lösungsansatz: mehr erneuerbare Energie, mehr erneuerbare Wärme und mehr Kreislaufwirtschaft. Digitalisierung sieht sie als wichtigen Schlüssel. Die EU setzt auf neue Regelwerke wie die Ökodesign-, Verpackungs- und Batterieverordnungen. Um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft auf die Beine zu stellen, brauche es in erster Linie die Zusammenarbeit aller Akteure: „Keiner kann diese Agenda allein umsetzen. Gesetzgeber, Krankenhäuser, Hersteller, Entsorger – alle müssen gemeinsam handeln. Denn: Ohne Gesundheit kein Wohlstand.“
Recycling reduziert Treibhausgase
Greiner Bio-One arbeitet bereits konkret an Recycling und Kreislaufwirtschaft, wie Nermina Cuzovic berichtete. Vorbild ist das Zukunftskonzept „Design for Life“ des Vereinigten Königreichs, das bis 2045 Einwegkunststoffe in Krankenhäusern beseitigen will. „Wir entwickeln Recycling-freundliche Designs und akquirieren Partner, um gemeinsam Recycling, Sammlung, Dekontaminationsprozesse sowie digitale Rückverfolgung zu etablieren.“ Ziel ist ein Kreislaufwirtschaftssystem für medizinische Einwegprodukte, das Umweltschutz, Patientensicherheit und höchste Standards verbindet. Motivation dahinter: Weltweit verursachen jährlich 4,5 Milliarden Blutentnahmeröhrchen bis zu 53.000 Tonnen Abfall. Das führt nicht nur zu Materialverlust, sondern auch zu CO₂-Emissionen, da die Röhrchen in der EU meist verbrannt werden.
Ausgeglichene Treibhausgasbilanz
Auch das Pharmaunternehmen Takeda will bis 2040 entlang der gesamten Wertschöpfungskette net zero werden. Net Zero oder Netto-Null bedeutet, die Menge an Treibhausgasen, die wir ausstoßen, durch Entnehmen derselben Menge aus der Atmosphäre auszugleichen. „Wir entwickeln innovative Produktionsprozesse, um Ressourcen zu schonen, ohne die Produktqualität oder Patientensicherheit zu beeinträchtigen“, erklärte Alessandro Cataldo. Takeda setzt auf innovative Technologien wie die „kalte Herstellung von Water for Injection“, die ohne Gas oder Öl funktioniert und zugleich effizienter ist.
Nachhaltiges Entwicklungsdesign
Zudem hat das kürzlich in Wien in Betrieb genommene „AHEAD“-Projekt das Potenzial, über einen Zeitraum von sieben Monaten pro Jahr Dampf mit nahezu null CO₂-Emissionen zu erzeugen, weil es Dampf mit Wärmepumpen erzeugt. „Außerdem arbeiten wir nach dem Prinzip ‚Sustainability by Design‘, setzen also die Nachhaltigkeit schon sehr früh im Entwicklungsprozess an. Und wir verbinden wirtschaftliche Effizienz mit ökologischer Verantwortung“, betonte Cataldo.
Nachhaltigkeit muss sich rechnen
Die Wirtschaftlichkeit hob auch Karl Resel von der EY denkstatt hervor: „Wir brauchen Nachhaltigkeit, die sich wirtschaftlich rechnet.“ Treibhausgasemissionen der Stufen Scope 1 und Scope 2, also die Emissionen, die direkt im Einflussbereich eines Unternehmens liegen, seien einfacher zu bewerkstelligen als jene bei Scope 3, die indirekten Emissionen aus der Lieferkette. Sein Appell an die Unternehmen: Jetzt handeln. „Klimatransformationspläne konkret angehen, wirtschaftlich bewerten, Investitionen nicht scheuen – und sich mit den großen Fragen der Zukunft auseinandersetzen. Denn während regulatorische Prozesse pausieren können, schreitet der Klimawandel ungebremst voran.“
Nachhaltiger Wettbewerbsvorteil
Dass nachhaltige Kultur eine Erfolgsformel für Unternehmen ist, machte Christian Trübenbach von Great Place to Work® deutlich. Er begleitet Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Unternehmenskultur – auch im Kontext der sozialen Nachhaltigkeit. „Unternehmen, die in soziale Nachhaltigkeit, faire Bezahlung, Vertrauen, Vielfalt und Wohlbefinden investieren, steigern nicht nur ihre Attraktivität als Arbeitgeber, sondern auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“, sagte Trübenbach.
Soziale Nachhaltigkeit
Die soziale Nachhaltigkeit war auch Thema der Panel Discussion. Stephan Famler von der Oberösterreichischen Gesundheitsholding machte darauf aufmerksam, dass Nachhaltigkeit mehr als Klimaschutz ist: „Nachhaltigkeit wird häufig mit Umweltschutz, CO₂-Reduktion, Energieeinsparung und Umweltmanagement in Verbindung gebracht. Eine ganzheitliche Betrachtung umfasst noch mehr. Im Gesundheitswesen, wo der Mensch im Mittelpunkt steht, gewinnen soziale Aspekte an Bedeutung. Vor dem Hintergrund einer alternden und sich wandelnden Gesellschaft werden soziale Nachhaltigkeit und nachhaltige Unternehmensführung immer wichtiger werden.“
Schulterschluss gefordert
Philipp Lindinger, Geschäftsführer der Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen AUSTROMED verwies auf den AUSTROMED-Kodex: „Er enthält ein klares Commitment zu den Menschenrechten. Mit dem Kodex sind für Mitgliedsunternehmen einige Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit bereits abgedeckt – entscheidend ist nun der Schulterschluss aller Stakeholder.“
Es braucht Dialog und gemeinsames Handeln
„Nachhaltigkeit bedeutet für mich Zukunft – und die beginnt jetzt“, sagte Sigrid Linher zu Beginn des Austrian Life Science Days. Unternehmerin und Podcasterin Ursula Helml schlug zum Abschluss des Tages noch einmal die Brücke zu dieser Aussage: „Zukunft ist kein Zufall. Sie passiert nicht – wir gestalten sie.“ Frauke Wurmböck, Managerin des Medizintechnik-Clusters in der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria, zog ihr Resümee: „Die Medizintechnik- und Life-Science-Branche steht vor einer wichtigen Herausforderung: Nachhaltigkeit und Innovation in Einklang zu bringen. Der Austrian Life Science Day hat gezeigt: Es gibt Lösungen, mit denen wir es schaffen. Es müssen nur alle Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette in den Dialog treten und heute noch anfangen, zu handeln.“
Redaktion
- DIE MACHER
Fotos
Erwin Pils