Der WasserSTOFF, aus dem die Zukunft ist
H2 = Gamechanger. Zumindest ist das der Eindruck, der nach der Energie-, Mobilitäts- und Logistikreise mit Wirtschafts-Landesrat Markus Achleitner bleibt. Mit Blick auf das Potential in und aus Belgien spricht er sich für noch mehr Technologieoffenheit rund um das Thema Wasserstoff aus: „Denn das Energiesystem und das Mobilitätssystem zu transformieren ist eine historische Aufgabe für den Wirtschaftskontinent Europa.“
Vor unserem Interview darf ein Stück lokale Kultur keinesfalls fehlen. „Garçon, deux Leffe Blondes s’il vous plaît. Merci.“ Größere Sprünge sind mit meinem Schul-Französisch kaum möglich. Aber es genügt, um zwei belgische Biere zu bekommen und knapp 1.000 Kilometer von zu Hause entfernt verstanden zu werden. Und genau darum geht es auch bei den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Belgien und Oberösterreich: sich über die eigenen Grenzen hinaus verstehen und wirtschaftlich dieselbe Sprache sprechen. Vor Ort angekommen unterzeichnet Landesrat Achleitner die Mitgliedschaft des Energieinstituts bei Hydrogen Europe Research. Eine Zusammenarbeit, die den Wissensaustausch und die Forschung in Oberösterreich auf das nächste Level hebt. Wenige Minuten später sprechen wir über das Potential, das die Handelsdrehscheibe Belgien für starke Industrieregionen birgt. „Denn die Reise hat uns mitunter deshalb hergeführt, weil wir in Sachen Energieimport der Zukunft am europäischen Hotspot gelandet sind.“ Inwiefern? Das wird vor allem beim anschließenden Besuch des Hafens von Antwerpen offensichtlich.
Wo die Unabhängigkeit von russischem Gas vor Anker liegt
Piräus und Hamburg – auf der Busfahrt nach Antwerpen fallen diese beiden Häfen als häufigste Vermutungen unter den Mitreisenden: Auf der Liste der größten Häfen Europas rangieren allerdings beide hinter Spitzenreiter Rotterdam und dem für Stückgut sogar größten Hafen der Welt: Antwerpen. Ein Blick auf die europäische Karte aus der Vogelperspektive verrät auch, weshalb. Fast zwei Drittel der Kaufkraft der gesamten Europäischen Union befinden sich in einem Umkreis von 500 Kilometern. „Die Industrieregionen Europas müssen sich anbinden und das tun wir bereits. Oberösterreich steht hier nicht erst am Anfang, bei Stückgut und bei Rohstoffen sind wir längst angebunden. Jeden Tag fährt ein Zug von diesem Hafen nach Linz, das wird in Zukunft noch mehr werden“, so Achleitner. Als europäischer Hub für importierte erneuerbare Energie entwickelt sich die Diamantenstadt zum zukunftstauglichen Energielieferanten. Auch für die oberösterreichische Wirtschaft, Mobilität und Industrie, sind sich Achleitner und Infrastruktur-Landesrat Günther Steinkellner – ebenfalls Mitglied der Delegation – einig. „Seit dem Ukraine-Krieg geht es nicht mehr darum, ob wir die Energiewende brauchen, sondern nur noch darum, wie sie uns gelingt“, ist der Landesrat überzeugt.
Doch die geographische Lage ist nur eine Zutat dieses Erfolgsrezepts. Der Bau einer Wasserstoff-Pipeline und die Einstufung als kritische Infrastruktur – ein Verkauf ist dadurch ausgeschlossen – sind weitere Schritte, um den Hafen H2– und somit zukunftsfit zu gestalten. So überkommt einen beim Rundgang das Gefühl, dass hier ein lebendiger Thinktank entlang der Schelde an der Zukunft unseres Kontinents feilt. Ringsum sind Unternehmen mit kreativen Lösungsansätzen angesiedelt. Eines davon ist CMB.Tech, das die Dekarbonisierung durch Wasserstoff, jenseits dessen Herstellung, gleich auf drei Ebenen vorantreibt: Das Unternehmen entwickelt umweltfreundliche Marine- und Industrieanwendungen und rüstet Diesel-LKW zu Hybridfahrzeugen auf. Zusätzlich baut es die H2-Infrastruktur zur Versorgung, etwa in Form von Tankstellen, systematisch aus. „Wasserstoff ist der Schlüssel der Energiewende und damit auch der Mobilitätswende“, betont Achleitner, der darin eine notwendige Ergänzung zu bereits etablierteren Energiequellen sieht.
Die Wüste bekommt eine Aufgabe, Oberösterreich auch
Grundsätzlich gelte: Die billigste Energiequelle ist immer jene, die man nicht braucht. „Etwa die Hälfte unseres Energiebedarfs werden wir innerhalb Europas langfristig erneuerbar decken können“, so Achleitner. Und die andere Hälfte? „Die müssen wir importieren, und zwar von dort, wo die Bedingungen für ihre Produktion ideal sind. Stichwort Solarenergie – Nordafrika und die Arabischen Emirate profitieren von ihren großen Wüstenregionen.“ Um auch in Oberösterreich die H2-Weichen zu stellen, wurde vor rund einem Jahr die Wasserstoff-Offensive 2030 ins Leben gerufen. „Damals mit wenigen Playern, ist das Netzwerk inzwischen auf über 60 Firmen und Forschungseinrichtungen in Oberösterreich gewachsen. Mit ihnen betreiben wir aktuell einschlägige Projekte im Ausmaß von einer halben Milliarde Euro in Umsetzung, davon 190 Millionen Euro Förderungen auf EU-, Bundes- und Landesebene“, so der Landesrat.
Investitionen, die sich mittel- und langfristig auszahlen sollen und werden, ist Achleitner überzeugt. Dass der Umgang mit Wasserstoff stets auch eine Frage des Geldes ist, steht außer Frage: „Das klassische Henne-Ei-Problem, für das es viel öffentliches Geld brauchen wird, sowohl in Europa als auch in Oberösterreich.“ Investitionen tätigen und Technologieoffenheit leben lautet das Gebot der Stunde. Überbordende Regularien auf EU-Ebene würden laut Achleitner die globale Wettbewerbsfähigkeit einschränken, stattdessen seien enge Kooperationen sowie der Informationsfluss von Forschungsergebnissen wichtig, „um europaweit zugängliche Lösungen zu schaffen und zu nutzen. Deshalb bin ich überzeugt, dass etwa Belgien und vor allem Antwerpen für Oberösterreich als strategischer Handelspartner und Energielieferant der Zukunft noch wichtiger werden.“_
Redaktion
- David Bauer
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Land OÖ / Grilnberger