Berufen, Schönes zu schaffen
Handgezeichnete Bleistiftskizzen zieren die Wand hinter der Theke, gläserne Vitrinen präsentieren filigrane Schmuckstücke, ein roter Perserteppich bringt Wärme in den Raum. Gepolsterte Sessel stehen um einen schwarz lackierten Tisch, den eine Vase mit frischen Hortensien schmückt. Es sind die Details, die diesem Ort seinen ausdrucksstarken Charakter verleihen. Doch nicht nur sie allein – auch die Person,
die wir hier treffen: Victoria Dirisamer, die Seele des Ateliers Immermein.
Wir treffen Victoria in ihrem „Königreich“: dem Atelier Immermein, mitten im idyllischen Stadtkern von Grieskirchen. Schon der Weg dorthin ist geprägt von einer bemerkenswerten Ruhe – genau diese Stille schätzt Victoria, die Inhaberin des Ateliers, so sehr. Sie wuchs selbst in einem kleinen Dorf auf, umgeben von Wiesen und Wäldern, auf einem traditionellen Vierkanthof, auf dem sie heute wieder mit ihrem Mann und ihrem dreijährigen Sohn lebt. „Ich habe mich einfach wieder nach der Ruhe gesehnt“, erzählt die Goldschmiedin, während sie von ihren wilden Jahren an der Kunst-Uni in Wien und ihrer Zeit in London berichtet. „So bin ich zurück zu meinen Wurzeln gekommen.“
Zu diesen Wurzeln gehört auch ihre Liebe zum Goldschmiedehandwerk, das sie bereits mit 15 Jahren im Atelier Immermein erlernte. Das wurde damals noch von ihrer Vorgängerin geführt. Die Schule war für Victoria nie die richtige Umgebung: „Ich wollte immer etwas Kreatives machen, etwas mit meinen Händen erschaffen.“ Die Ausbildung in diesem Atelier eröffnete ihr die Möglichkeit, sich auszudrücken und ihre kreative Ader auszuleben. Dann verschlug es sie für das Studium nach Wien. Als Jacinta Mössenböck, die damalige Inhaberin des Immermein, eine Nachfolgerin suchte, stand für die Künstlerin jedoch fest: Sie musste zurück. Heute lebt sie ihre Berufung an diesem Ort. „Meine Arbeit erfüllt mich total, und es ist wunderschön zu sehen, dass sie auch meine Kundschaft glücklich macht.“
Omas Ehering – neu gedacht
Die Kundschaft von Victoria ist vielseitig. Zu den älteren Stammkunden, die seit Jahrzehnten ins Atelier Immermein kommen, gesellen sich inzwischen auch immer mehr junge Menschen, die einen neuen Zugang zu Schmuck suchen.
Ein wachsender Trend, den Victoria vor allem bei der jüngeren Generation bemerkt, ist der Wunsch nach recyceltem Schmuck. „Viele bringen Erbstücke, die eine besondere emotionale Bedeutung für sie haben. Sie möchten vielleicht den Ehering der Oma, der vom Design her nicht ihrem eigenen Geschmack entspricht, zu etwas Neuem umarbeiten lassen.“ Victoria versteht es, den Wert dieser Stücke zu erhalten und sie gleichzeitig in zeitgemäße, persönliche Unikate zu verwandeln. „Es ist unglaublich schön, wenn meine Kundinnen dann sehen, wie aus dem alten Schmuckstück etwas Neues entsteht – etwas, das die Erinnerung an die Oma bewahrt, aber ganz ihrem Geschmack entspricht.“
In den vergangenen Jahren hat Victorias Branche eine regelrechte Renaissance erlebt. „Die Menschen sehnen sich danach, wieder etwas mit ihren Händen zu machen, sich selbst zu spüren. Es ist eine Gegenbewegung zu all dem, was mit Künstlicher Intelligenz und der digitalen Welt auf uns zukommt.“
Stücke mit Persönlichkeit
Für Victoria ist das Zuhören und Einfühlen in ihre Kundinnen und Kunden entscheidend. Sie nennt es „in die Kundschaft hineinhören“ und sieht darin den Schlüssel für ein gelungenes Design, das perfekt zur jeweiligen Person passt. Dieses Einfühlungsvermögen und ihre Liebe zum Detail spiegeln sich in jedem einzelnen ihrer handgezeichneten Entwürfe wider. „Wenn ich Schmuckstücke in Schaufenstern sehe, erkenne ich sofort, ob sie aus dem 3D-Drucker stammen – sie wirken seelenlos.“ Wer im Immermein einkauft, schätzt genau das Gegenteil: den lebendigen, persönlichen Charakter der handgefertigten Stücke, die von der Skizze bis zum letzten Schliff durch menschliche Hände gehen.
Um uns zu zeigen, woher ihre Inspiration kommt, holt Victoria ein Ginkgoblatt aus dem hinteren Teil des Ateliers. „Ich arbeite gerade an einer Kleinserie mit Ohrringen und einem Ring, inspiriert von diesem Blatt.“ Sie erzählt, wie sie dafür in die Natur gegangen ist, Blätter gesammelt und detaillierte Studien gemacht hat. Die Leidenschaft und Sorgfalt, die sie in jedes Detail legt, werden spürbar.
Handgemachte Emotion
„Keiner will ein paar tausend Euro für ein Schmuckstück zahlen und dann sehen, dass andere mit demselben herumlaufen“, meint Victoria schmunzelnd. Genau deshalb suchen die Menschen immer häufiger handgefertigte Unikate und legen Wert auf die Geschichte, die jedes Stück erzählt. Für die Künstlerin selbst sind die emotionalen Verbindungen, die Schmuck schaffen kann, besonders wertvoll. Sie trägt eine schlichte Kette mit einem Anhänger in Form des Buchstabens E – es ist der Anfangsbuchstabe des Namens ihres Sohnes. Sie greift liebevoll danach und erzählt: „Den Anhänger habe ich gemacht, als mein Sohn geboren wurde. Es ist schwarz rhodiniertes Gold, etwas, das man sonst nirgendwo findet.“
Victoria Dirisamer und ihr Atelier Immermein stehen für eine Gegenbewegung zur Schnelllebigkeit. Ein Fünf-Jahres-Plan? So etwas hat die Künstlerin nicht („verschone mich bloß damit!“). Ihr einziger „Plan“ ist es, ihre Berufung zu leben, und die hat sie in ihrem Atelier gefunden. Die Berufung, Schönes zu schaffen._
„Frau Dirisamer, bei Ihnen entdeckt man immer etwas Schönes. Das tut gut“, sagte die ältere Dame, während sie die beiden gläsernen Vasen in ihre Tasche packte. Victoria empfing mich zum Interview im Immermein, wo ich ihren warmherzigen Umgang mit ihrer Kundschaft live erleben konnte. Die Aussage der Kundin spiegelt wider, was das Immermein ausmacht. Die Einrichtung des Ateliers ist schön, die Schmuckstücke noch schöner, aber das Besondere ist die Frau dahinter, die ihre Leidenschaft ausstrahlt.
persönliche Notiz zum Interview von
Zofia
Redaktion
- Zofia Wegrzecka
Fotos
Antje Wolm