
„Alte Industrie“ + neues Denken = Zukunft lenken
Früher habe es in Städten mit einem Stahlwerk eimerweise Wischwasser gebraucht, um nach dem Winter die enorme Menge an Ruß von der Terrasse zu entfernen. „Heute tragen wir mit unseren Technologien zu den saubersten Stahlwerken der Welt bei“, erzählt CEO Andreas Weinhengst bei unserem Besuch bei Primetals Technologies in Linz. Im Interview spricht er über diesen Paradigmenwechsel, durch den ein ganzer Industriezweig auch für junge Menschen wieder attraktiv geworden sei. Und darüber, welche Fähigkeiten sich diese aneignen sollten, um eine CO2-neutrale Zukunft mitzugestalten.
Was viele nicht wissen: Allein die Stahlindustrie ist für etwa sieben bis neun Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Wer nun glaubt, die Branche sei daher ein berufliches No-Go für die Generationen, denen Bewegungen wie „Fridays for Future“ entsprungen sind, irrt sich. Das Gegenteil sei der Fall, ist Andreas Weinhengst überzeugt. „Hier können Techniker, Softwareingenieurinnen und viele andere Professionen wirklich etwas bewegen, um der Klimakrise entgegenzuwirken“, so der CEO. Denn Primetals entwickelt Technologien, die diese Emissionen reduzieren – vor allem, sobald grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen verfügbar ist –, und arbeitet täglich an smarten Lösungen für die Metallindustrie. „Genau durch diese Conversion hin zum grünen Stahl sind wir für junge Menschen sexy geworden“, erklärt Weinhengst mit spürbarem Stolz.
Schon allein diese Formulierung deutet daraufhin, wie sehr sich die vermeintlich „alte Industrie“ im Wandel befindet. Und sie zeigt: Anglizismen sind hier keine Seltenheit. Aus einem einfachen Grund: Die Unternehmenssprache ist Englisch. Bei rund 38 verschiedenen Nationen allein am Linzer Standort ist das naheliegend. Doch beschränken sich ihre interkulturellen Begegnungen nicht allein auf den Austausch innerhalb eines Standorts. Wer internationale Erfahrungen sammeln will, rennt hier offene Türen ein. „Es ist sogar erwünscht. Wir unterstützen unsere Mitarbeitenden dabei bewusst, damit sie ein Gespür für unsere weltweite Tätigkeit bekommen, ihr Mindset öffnen und Netzwerke aufbauen“, erklärt Weinhengst. Für ihn selbst ist es eines der wenigen „To-dos“, die er selbst gerne während seines Studiums abgehakt hätte. „Vieles würde ich rückblickend durchaus ähnlich machen“, sagt er nachdenklich, „allerdings war es für mich leider nicht mehr möglich, ein Studienjahr im Ausland zu verbringen.“ Heutzutage würde er deshalb eine Station an einer ausländischen Universität unbedingt einplanen: „Das Netzwerk und die Entwicklungen, die daraus entstehen können – das ist einfach sensationell.“
Lebenslanges Lernen, um am Ball zu bleiben
Um die Belegschaft auf die sich stets ändernden Herausforderungen in der Branche vorzubereiten, hat das Unternehmen seine hauseigene „metals academy““ ins Leben gerufen. „Darin bieten wir sowohl online als auch in Präsenz vorlesungsartige Unterweisungen an.“ Denn viele Aspekte des Geschäfts seien hochkomplex. Für Nachwuchsführungskräfte gibt es zudem ein Programm des Mutterkonzerns Mitsubishi Heavy Industries (MHI), das über mehrere Jahre läuft, bei denen diese etwa für drei Wochen in Oxford zusammenkommen und Business Cases ausarbeiten. „Wichtig ist außerdem, dass wir uns in den einzelnen Abteilungen global zumindest einmal im Jahr persönlich begegnen. Ein Kennenlernen face to face erleichtert uns die Zusammenarbeit über die Ländergrenzen hinaus.“
Mit 23 Standorten weltweit, mehr als 4.300 Patenten und Kooperationen mit über 80 Forschungs- und Industriepartnern sind interne Weiterbildungsangebote unerlässlich. Denn wie bereitet man sich auf Jobs vor, die es heute vielleicht noch gar nicht gibt? „Wir müssen auf jeden Fall mitwachsen“, ist Weinhengst überzeugt. Zu groß seien allein die Veränderungen in den vergangenen zehn Jahren, als dass man den Wandel auf die leichte Schulter nehmen könne. „Etwa in der Digitalisierung der Prozessrouten, vor allem in Verbindung mit KI, haben wir große Sprünge erlebt. Auch bei der industriellen Revolution 4.0, die wiederum mitreinspielt.“ Das Innovationsunternehmen hat mit einer Google-ähnlichen Inhouse-Lösung ein Angebot geschaffen, mit dem neue Mitarbeitende schnell auf Wissen zugreifen und Unterlagen abfragen können. „In dieser schnelllebigen Zeit wartet man nicht mehr, bis ein Mentor oder Ausbilder Zeit hat.“
Andreas Weinhengsts entscheidende Zukunftsskills
#1 Teamfähigkeit und Kooperationsbereitschaft
Sie sind die Grundlage, um über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten und in internationalen Teams erfolgreich zu sein.
#2 Kommunikationsfähigkeit
Entscheidend ist, sich klar ausdrücken und über Fachgrenzen und Kulturen hinweg verständigen zu können.
#3 Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
die Bereitschaft, sich auf neue Technologien und Arbeitsweisen einzustellen und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln
Teamplay statt Einzelkämpfer
Auch in der Mechatronik zeigt sich der Wandel: Roboter übernehmen gefährliche Aufgaben im Stahlwerk, die früher Menschen in voller Schutzmontur erledigen mussten. „Für diese Automatisierung treiben wir KI-gestützte Prozesse voran“, erklärt der CEO. Dafür brauche es Spezialisten, die mit diesen Technologien umgehen können. Und trotzdem stehen für ihn die Menschlichkeit sowie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im Vordergrund. „Unsere Projekte sind überwiegend international ausgerichtet. Egal wo wir diese umsetzen, ist immer auch die Qualität der Organisation und Kooperation vor Ort entscheidend.“ An großen Projekten wirken bis zu 100 Mitarbeitende mit, etwa um ein Stahlwerk umzusetzen. „Das erfordert eine spezielle Denkweise: Kooperationsbereitschaft und Teamfähigkeit – diese Soft Skills werden immer wichtiger.“
Überraschend für ein Hightechunternehmen? „Keineswegs“, entgegnet Weinhengst. „Es ist nicht notwendig, dass ein Projektleiter bis ins kleinste technische Detail weiß, wie eine bestimmte Anlage funktioniert.“ Dafür gebe es entsprechende Departments, die ihre Expertise beisteuern. „Er muss lediglich wissen, wie man die Teams koordiniert und Projekte gemäß ihrem Zeitplan umsetzt.“
Künftig noch mehr „St(r)ahlkraft“
In den letzten zehn Jahren hat das Unternehmen einen starken Generationenwechsel vollzogen – sowohl in den verschiedenen Abteilungen als auch in den Reihen der Führungskräfte. Die Fülle an sinnstiftenden Jobs ziehe zahlreiche junge Menschen regelrecht an. „Es ist schade, dass der politische Diskurs und die öffentliche Debatte nur wenig berücksichtigen, was sich in der Industrie alles wandelt“, bedauert Weinhengst. „Das betrifft nicht nur die Stahlindustrie; auch andere Zweige, wie die Zementindustrie, arbeiten tatkräftig an dieser Transformation mit. Das Positive ist: Es passiert sehr viel. Und doch liest man nur wenig darüber.“
Im Licht der Transformationsprozesse stimmt der Blick in die Zukunft Weinhengst optimistisch: „In den 1970er Jahren gab es den sauren Regen. Damals hieß es, in Tschechien, Deutschland und speziell in Bayern werde es keine Wälder mehr geben. Und was ist passiert? Die Industrie hat reagiert und das Problem gelöst.“ Auch die CO2-Emissionen werde man in den Griff bekommen, gibt er sich zuversichtlich. „Wir reden zu viel darüber, was alles nicht geht. Doch in Wirklichkeit arbeiten viele hunderttausende Menschen auf der Welt gerade jetzt daran, die Klimakrise zu lösen.“ Eine Botschaft, die Mut macht. Und die zeigt, wie die vermeintlich „alte Industrie“ und ihre Nachwuchstalente längst dabei sind, die Zukunft zu gestalten._
Stellen Sie sich vor …
… Ihr jüngeres Ich würde Sie Folgendes fragen:
„Wenn ich heute in dieser Welt voller Multikrisen, KI und neuer Technologien ganz am Anfang stehen würde … wie und womit soll ich überhaupt beginnen?“
Andreas Weinhengst: Wenn ich heute jung und technisch interessiert wäre, würde ich in die Bereiche der Industrie gehen, in denen ich an Lösungen für die Klimakrise arbeite – dort kann ich wirklich etwas bewegen.
„Welche Fähigkeiten sollte ich mir sofort aneignen? Und welche kann ich getrost später erlernen?“
Andreas Weinhengst: Der wichtigste Skill ist, kommunikationsfähig zu sein und ein gutes Auftreten zu entwickeln. Du musst flexibel sein und rasch reagieren können. Das Spezialwissen über eine Firma oder eine bestimmte Branche kommt dann mit der Zeit, ist aber ebenso fundamental.
„Gab es Entscheidungen in deinem Leben, die du an meiner Stelle heute ganz anders treffen würdest?“
Andreas Weinhengst: Nein, eigentlich nicht. Ich bin rückblickend sehr zufrieden mit meinen Entscheidungen. Wir sind zum Beispiel ins Ausland gegangen, als meine Zwillinge gerade mal ein halbes Jahr alt waren. Das war herausfordernd für meine Frau und uns als Familie, aber es war die richtige Entscheidung, weil dadurch mein Mindset erweitert wurde.
„Wie kann ich mutig bleiben, wenn sich alles ständig verändert und so vieles unsicher ist?“
Andreas Weinhengst: Genau das ist das Spannende! Es wäre schlimm, wenn alles immer unverändert bliebe. Die Veränderung ist der Reiz.
„Woran erkenne ich, dass sich gerade eine echte Chance bietet, auch wenn sie ganz anders aussieht, als ich erwartet habe?“
Andreas Weinhengst: Man entwickelt mit der Zeit eine feine Sensorik. Das Gespür dafür muss man sich über Jahre hinweg antrainieren.
Redaktion
- David Bauer
Fotos
Antje Wolm