
„Habt Mut. Habt MEHR Mut. Habt VIEL MEHR Mut.“
„Österreich hat ein Leistungsproblem.“
Die Analyse von Stefan Graf fällt ebenso deutlich wie ernüchternd aus. Der CEO von
Leyrer + Graf, einem der führenden Bauunternehmen Österreichs, trägt die Verantwortung für rund 2.750 Mitarbeitende, die an 18 Standorten eine Bauleistung von 630 Millionen Euro erbringen. Seit fast 100 Jahren stemmt der Familienkonzern Projekte in verschiedensten Größenordnungen. Und doch liegt für den Eigentümer die derzeit größte Baustelle in so mancher Denkweise unserer Gesellschaft und Politik.
Es ist ein grauer Nachmittag, als wir uns auf den Weg ins niederösterreichische Gmünd machen. Die Sonne kämpft vergebens gegen die dicke Wolkenschicht und am Horizont zeichnet sich ein düsterer Gewitteramboss ab. Erste Regentropfen prasseln auf die Frontscheibe. Wie sinnbildlich all das für die Einschätzungen zur wirtschaftlichen Lage in Österreich stehen wird, die uns CEO Stefan Graf in unserem Interview gibt, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Bei der Zentrale des Bauunternehmens Leyrer + Graf angekommen, begrüßt uns der Inhaber mit einem Lächeln und festem Händedruck. Zwar nicht mit dem „vulkanischen Gruß“ – die V-förmige Begrüßungsgeste in Star Trek, bei der die Finger nur zwischen Ring- und Mittelfinger gespreizt werden –, aber dafür umso mehr mit dem Wunsch nach einem höheren Maß an logischem Denken und rationaler Entscheidungsfindung, wofür Commander Spock so berühmt wurde. Denn wie die Wolken beim Blick aus dem Fenster seines Büros verdunkelt sich auch seine Miene, als wir ihn nach dem Zustand der österreichischen Wirtschaft fragen
Stefan Grafs To-dos. Für Österreichs Wirtschaft.
#HEUTE
„Den übermäßigen Sozialstaat reduzieren und die Besteuerung auf Arbeit senken. Aber: zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht der Unternehmen.“
#MORGEN
„Endlich die Pensionsreform umsetzen.“
#ÜBERMORGEN
„Längst überfällige und dringende Verwaltungsreformen durchführen.“
Einmal Wurzelbehandlung, bitte!
Konjunkturelle Talsohle, Schlusslicht im EU-Vergleich und eine Rezession, die nur in vereinzelten Lichtblicken verspricht, bald wieder zu enden – zuletzt bewegt sich Österreichs Wirtschaft allenfalls seitwärts, wenn nicht rückwärts. „Und doch werden die Ursachen der aktuellen Lage nicht bekämpft“, gibt Graf kritisch zu bedenken. „Im Gegenteil. Es fühlt sich an, als schaue man unbewusst oder sogar bewusst weg.“ Dabei habe man die Symptome längst zu spüren bekommen. „Wie beim menschlichen Körper ist der Schmerz das Erste, was einem auffällt. Aber die Ursachen sind schwieriger zu finden.“ Zwar sei die neue Bundesregierung bemüht, „doch es fehlen die großen Schritte, die starken Weichenstellungen, die eine fundamentale Veränderung in möglichst kurzer Zeit herbeiführen könnten.“ Und genau das schmerzt ihn. „Nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Staatsbürger.“
Für den Bauexperten liegt der Kern des Problems auf der Hand. „Leistung“ entwickle sich immer mehr vom Schlüssel- zum Tabuwort. „Wir sind keine High-Performance-Gesellschaft mehr.“ Seine Diagnose untermauert er mit einem historischen Vergleich: „Nach dem Krieg, unterstützt durch den Marshallplan, ist aus der Not heraus eine Leistungsmentalität entstanden, die über viele Jahrzehnte andauerte und unseren Wohlstand, wie wir ihn heute kennen, aufgebaut hat. Doch wie noch jede Gesellschaft, die wir im Laufe der Geschichte beobachtet haben, sind auch wir dekadent geworden. Die Zahl derer, die Leistung als negativ empfinden, wächst. Nur werden wir ohne einen gesunden Leistungsgedanken nichts Großes erreichen.“
KLAR.TEXT.
Was nervt Sie gerade am meisten in der österreichischen Wirtschaft?
Stefan Graf: Die Trägheit des politischen Systems.
Welchen Satz würden Sie gerne einmal laut ins Parlament rufen?
Stefan Graf: Habt Mut! Habt MEHR Mut! Habt VIEL MEHR Mut
Welches wirtschaftspolitische Mantra würden Sie sofort abschaffen?
Stefan Graf: Die übermäßige Besteuerung von Arbeit.
Was ist derzeit das größte Tabu in wirtschaftspolitischen Gesprächen?
Stefan Graf: Leistung.
Wann haben Sie zuletzt gedacht: „Das kann doch nicht wahr sein?“
Stefan Graf: Als ich eine halbe Stunde vor unserem Gespräch las, dass die Idee einer Sommerschule, in der Lehrkräfte in den 9-wöchigen Sommerferien zwei Wochen früher starten sollen, bei der Gewerkschaft reflexartig die sofortige „sehr verärgerte“ Ablehnung ausgelöst hat. Das ist einfach nur mehr symptomatisch für unseren Stillstand.
„Wir müssen jetzt wegweisende Entscheidungen treffen“
Um ebendiesem Leistungsgedanken wieder neues Leben einzuhauchen, bedürfe es vor allem dreier konkreter Schritte, die klare Anreize senden: „Wir müssen den übermäßigen Sozialstaat in den Griff bekommen, geleistete Arbeit steuerlich entlasten und Mut zu unpopulären Entscheidungen an den Tag legen.“ Letzteres gehöre für ihn als Unternehmer übrigens zum Alltag: „Auch mir bereiten unbequeme Entscheidungen keinen Spaß, aber es gibt Momente, in denen sie einfach getroffen werden müssen. Und je unpopulärer sie sind, desto größer ist bekanntlich der Aufschrei“, spannt er den Bogen auch zum Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft. „Aber ich glaube, dass wir uns zu oft auf die schreiende Minderheit konzentrieren, während die Mehrheit eigentlich still zustimmt.“ Was er damit meint: „Jetzt haben wir in unserem Land die Chance, jetzt – nicht in einem Monat – die schweren Maßnahmen zu setzen. Und ich glaube, ein Großteil der Bevölkerung hätte aufgrund der Umstände Verständnis dafür, solange man es ihnen vernünftig erklärt.“
Generell plädiert Graf für mehr Hausverstand, aber auch Eigenverantwortung. „Wir leben mittlerweile in einem Staat, der uns alles verspricht und bei jedem Problem sofort sagt: ‚Ich löse das für dich.‘“ Auch das mache was mit den Menschen und ihrer Mentalität. „Ich möchte niemandem etwas wegnehmen, wirklich nicht. Aber ich möchte, dass die, die etwas bekommen, sich auch anstrengen.“ Aus seiner Sicht ist das Geben und Nehmen zuletzt aus dem Lot geraten. Dabei könnten die richtigen Anreize unsere Leistungsbereitschaft beflügeln. „Wie wäre es mit einem Experiment? Reduzieren wir die Besteuerung von Arbeit und Überstunden und lassen die volle Ersparnis zu 100 Prozent den Arbeitnehmern zukommen. Nochmal: zu einhundert Prozent! Als Unternehmer möchte ich keinen Cent davon. Und wir werden sehen: Unsere Leistung und unser Wohlstand werden durch die Decke gehen. Sofort.
Der Dirigent und sein Orchester
Auch jenseits des von ihm vorgeschlagenen Experiments bricht der Familienunternehmer eine Lanze für seine gesamte Belegschaft. Und vergleicht das Zusammenspiel mit dem eines Orchesters: „Als Eigentümer bin ich nur der Dirigent, die wunderschöne Musik zaubern meine Mitarbeitenden.“ Auf den Vision Boards, die den Eingangsbereich der Firma zieren, ist die Vielfalt dieses Zusammenspiels und der gesamten Unternehmenskultur ebenso übersichtlich wie humorvoll illustriert. Begleitet von Künstlern sind diese bei einem Workshop durch den Austausch im Team entstanden und bis heute elementarer Bestandteil des Onboarding-Prozesses. Funfact: Graf selbst ist als junger „Bob der Baumeister“ dargestellt – „weil ich schon als kleiner Bub immer gesagt habe, dass ich einmal Baumeister werde“, erklärt er mit einem Lachen.
Statt „Können wir das schaffen? Ja, wir schaffen das!“ lautet Jahrzehnte später eines seiner Leitmotive in der Führung: „Du musst innen brennen, wenn du außen leuchten möchtest. Das gilt nicht nur für mich, sondern für alle Mitarbeitenden.“ So habe das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen Anteil am nachhaltigen Erfolg des Unternehmens – entgegen den bekannten Problemen der Bauindustrie. Für diese zeichnet Graf ein differenziertes Bild. Nach Jahren der Hochkonjunktur sei die aktuelle Korrektur zum Teil auch notwendig gewesen. „Das heutige Niveau wäre vor einigen Jahren noch großartig gewesen, nur waren wir zwischendurch sehr verwöhnt.“ Dennoch sieht er keinen der drei wichtigen Sektoren – Wohnbau, Industrie und Gewerbe sowie die öffentliche Hand – in einer Position, in naher Zukunft große Investitionswellen auszulösen. „Das drückt natürlich eine Branche, die derart abhängig von großen Investitionen ist.“
Für sein eigenes Unternehmen hat er deshalb früh Maßnahmen ergriffen und vier zentrale Elemente identifiziert, die für den anhaltenden Erfolg von Leyrer + Graf ausschlaggebend sind: die strategische Ausrichtung, Produktivität, die Verantwortung des Eigentümers sowie den Beitrag jedes Einzelnen. Und so richtet er als „pathologischer Optimist“, wie er sich selbst mit einem Schmunzeln bezeichnet, den Blick nach vorn. Speziell in der Baubranche sieht er für die Zukunft zwei zentrale Treiber: Digitalisierung und Nachhaltigkeit. „Denn dort, wo viel Veränderung stattfindet, lauern große Chancen. Und auch viel Verantwortung.“ Die Aufforderung an seine Branche: „Selbst gut laufende Prozesse sind noch nicht perfekt, in Zeiten intelligenter Systeme und Automatisierung können wir alle noch effizienter werden und (wieder) weiterwachsen.“ Seine Devise lautet daher nicht „work harder“, sondern „work smarter“ – ein Prinzip, das die gesamte österreichische Wirtschaft wohl beherzigen sollte._

Redaktion
- David Bauer
Fotos
Antje Wolm