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Ukraine: Eine völkerrechtliche Betrachtung

Ukraine: Eine völkerrechtliche Betrachtung

Zwei Wochen dauern die Kampfhandlungen Russlands in der Ukraine nun schon an. Der Konflikt wirft auch einige völkerrechtliche Fragen auf. Wir haben uns an die Völkerrechtsexperten Sigmar Stadlmeier (Johannes Kepler Universität Linz) und Stephan Wittich (Universität Wien) gewandt und ihnen einige brennende Fragen rund um den Ukrainekrieg gestellt.

Russlands Handlungen in der Ukraine wurden schon von vielen Seiten scharf kritisiert. Aber inwiefern verletzt Russland damit eigentlich das Völkerrecht? „Die Invasion der Russischen Föderation in der Ukraine verstößt eindeutig gegen das Gewaltverbot der UN-Charta“, schickt Sigmar Stadlmeier gleich voraus. Auch Stephan Wittich schließt sich an: „Bereits die Annexion der Krim war eine Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine.“ Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen verbietet die Anwendung von bewaffneter, also militärischer, Gewalt vor allem gegen einen anderen souveränen Staat. Russlands Angriff stelle die schwerste Form der Verletzung des Gewaltverbotes dar, nämlich einen Aggressionskrieg, führt Wittich aus.

Darüber hinaus betont Stadlmeier, dass das humanitäre Völkerrecht einige zentrale Regeln für den internationalen bewaffneten Konflikt enthält. Beispielsweise die Unterscheidung zwischen Kombattant:innen und Zivilist:innen, das Gebot des Schutzes letzterer, der Schutz lebensnotwendiger Einrichtungen wie der Wasserversorgung und ein Verbot von Angriffen auf Anlagen, die gefährliche Kräfte enthalten, etwa Atomkraftwerke. Auch diese Pflichten verletze Russland durch seine Handlungen, so Stadlmeier.

Absprache von Souveränität

Russlands Präsident Wladimir Putin sprach der Ukraine im Zuge einer seiner Reden das Recht auf Souveränität ab. Die beiden Experten sind sich einig: Dies ist im Völkerrecht überhaupt nicht möglich. Wittich führt aus: „Die souveräne Gleichheit der Staaten und die Unabhängigkeit souveräner Staat sind ein weiterer Baustein der internationalen Rechtsordnung. Ein Staat kann einem anderen Staat nicht die Souveränität absprechen.“ Und die Ukraine ist immerhin schon seit 1991 ein souveräner Staat, auf den die klassischen Staatsmerkmale wie Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet zutreffen.

Die vermeintliche Bedrohung durch den Westen

Auf unsere Frage, ob Russlands Angst vor einer vermeintlichen „Bedrohung“ durch die Ausbreitung des Westens gerechtfertigt sei, antwortet Stadlmeier pointiert: „Von der NATO als Defensivallianz geht keine Bedrohung aus – die einzige Bedrohung, die ich sehe, kommt aus Moskau.“ Wittich hebt hervor, dass, selbst wenn die NATO-Osterweiterung tatsächlich eine Bedrohung der Sicherheitsinteressen Russlands darstelle, dies keinen Angriffskrieg rechtfertigen würde. Eine Anwendung militärischer Gewalt sei nämlich nur unter zwei Ausnahmen zulässig: Erstens, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine solche Gewaltanwendung explizit autorisiert oder zweitens, wenn man selbst Opfer eines bewaffneten Angriffs ist. Beides trifft auf Russland nicht zu.

Handlungsmöglichkeiten der Ukraine

Besonders brennend scheint aktuell die Frage danach, was die Ukraine nun für rechtliche Schritte einleiten kann und an welche internationalen Institutionen sie sich wenden kann. Wittich betont: „Rechtlich ist es der Ukraine erlaubt, sich militärisch zu verteidigen.“ Laut Stadlmeier hat die Ukraine bereits einen ersten Schritt gesetzt. Sie hat den russischen Vorwurf des Völkermords an der russischstämmigen Bevölkerung in der Ukraine zum Anlass genommen, den Internationalen Gerichtshof anzurufen. Basis dafür sei die Völkermordkonvention aus 1948, an der sowohl Russland als auch die Ukraine als Vertragsstaaten beteiligt sind.

Darüber hinaus habe die Ukraine bereits den Sicherheitsrat der UNO um Tätigwerden ersucht. Allerdings sei dieser aufgrund des Vetorechts Russlands als ständiges Mitglied des Rates nicht handlungswillig, so Wittich. Er sieht bei dem Ansuchen an internationale Institutionen vor allem das Thema Zeit kritisch. Eine Durchführung eines ordentlichen Verfahrens beispielsweise am Internationalen Gerichtshof dauert erfahrungsgemäß mindestens 18 Monate.

Eine weitere Möglichkeit, die die Ukraine bereits genutzt hat, ist die Einreichung einer Staatenbeschwerde gegen Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Russland verletze laut dieser Beschwerde seine Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention wie das Recht auf Leben, das Folterverbot oder das Recht auf Familienleben. Der EGMR rief Russland daraufhin dazu auf, Angriffe auf Zivilist:innen und zivile Objekte zu unterlassen.

Auch die UNO-Generalversammlung und dessen Unterorgan, der UN-Menschenrechtsrat, beschäftigen sich bereits mit dem Krieg. Die Generalversammlung verurteilt Russlands Aggressionen scharf und eine überwiegende Mehrheit der Staaten sprach sich für den Erlass einer Resolution aus, die Russland zum sofortigen Abzug seiner Truppen aufruft. Diese Resolution ist allerdings völkerrechtlich nicht bindend.

Auswirkungen auf die Zukunft

Wird dieser Konflikt wohl Auswirkungen auf den zukünftigen zwischenstaatlichen Umgang, vor allem innerhalb Europas, haben? Die beiden Völkerrechtsexperten sind sich einig, dass dies nur schwer vorherzusehen ist. „Diese Frage stellt sich primär aus politischer Sicht“, betont Stadlmeier. Eventuell wird sich der Umgang mit Russland in den kommenden Jahren verändern und weniger, wie er sagt, „gutgläubig“ sein. Für Wittich ist die schnelle, scharfe und einhellige Reaktion der westlichen Staaten ein starkes Zeichen für Einigkeit. „Dies mag innerhalb der Europäischen Union wohl zu einer stärkeren Solidarisierung führen.“ Es bleibe abzuwarten, ob dieser schwere Tabubruch Russlands die Grundfesten der internationalen Rechtsordnung auf Dauer erschüttern wird.

Canva

Die Völkerrechtsexperten Sigmar Stadlmeier und Stephan Wittich beleuchten den Ukrainekonflikt für uns aus rechtlicher Perspektive.