Zwischen Gentechnik und Genderklischees
Wann haben Sie die Leidenschaft für den MINT-Bereich entwickelt?
Nicole Amberg: Ich habe mich schon als Kind für Biologie interessiert und in der Oberstufe war es dann völlig um mich geschehen. Extrem fasziniert habe ich meiner Biologie-Lehrerin gelauscht, als sie von DNA sprach. Die chemischen Eigenschaften von DNA, das Konzept von Genen und wie Zellen regulieren, welche Gene in ihnen aktiv sind und welche quasi ‚schlafen‘, fasziniert mich bis heute. Ebenso die Frage, wie der Organismus, während der Embryonalentwicklung, die Entstehung von Organen der korrekten Größe und der richtigen Zellzusammensetzung bilden kann. Wenn diese Prozesse nicht korrekt ablaufen, können diverse Krankheiten die Folge sein.
Für welche Ausbildung haben Sie sich daher nach der Schule entschieden?
Nicole Amberg: Ich habe Molekularbiologie und zusätzlich Zoologie an der Universität Wien studiert. In der Molekularbiologie habe ich nach dem Diplomstudium eine Doktorarbeit an der Medizinischen Universität Wien angeschlossen. Hier habe ich untersucht, wie Immunzellen und Stammzellen der Haut sowie Krebszellen miteinander interagieren. In der Krebsforschung ist es mit herkömmlichen Methoden allerdings recht schwierig, experimentell im Tiermodell einen Tumor hervorzurufen, der vergleichbar wie beim Menschen aus einer einzigen mutierten Zelle entsteht. Deshalb habe ich für meine weitere Laufbahn nach einer Methode gesucht, mit der man eine Mutation in einer einzelnen Zelle durchführen kann. Dies habe ich im Labor von Professor Simon Hippenmeyer am IST Austria gefunden, wo ich seit 2016 als FWF-geförderte Postdoc tätig bin. Als nächsten Schritt möchte ich eine eigene Forschungsgruppe leiten und so, zu weiteren Erkenntnissen in der Grundlagenforschung beitragen.
Worin liegt der Fokus Ihrer aktuellen Forschung?
Nicole Amberg: In meiner aktuellen Forschung am IST Austria untersuche ich die Rolle der Epigenetik in der Entwicklung der Großhirnrinde. Also ihren Einfluss auf die Bildung einer Großhirnrinde der richtigen Größe und Zellzusammensetzung.
Was genau kann ich mir – als Laie auf diesem Gebiet – darunter vorstellen?
Nicole Amberg: Die Großhirnrinde ist der äußere Bereich unseres Gehirns, der sich durch seine vielen Windungen leicht erkennen lässt. Die Epigenetik ist ein spannender Mechanismus, der bestimmt, ob ein Gen gerade aktiv ist oder ‚schläft‘. Diese Regulierung ist sehr wichtig, um verschiedene Zellarten bilden zu können, beispielsweise Hautzellen, Leberzellen oder Nervenzellen. Und sogar innerhalb dieser Klassen von Zellen gibt es bisweilen mehrere dutzende Unterarten.
Welche Prozesse und Mechanismen in unserem Körper sind darin involviert?
Nicole Amberg: In unserer DNA befinden sich über 20.000 Gene, aber nicht alle davon sind aktiv. In Wahrheit ist jede unterschiedliche Zellart durch ein ganz bestimmtes Muster von aktiven und schlafenden Genen charakterisiert – man kann sich das als eine Art ‚molekularer Fingerabdruck‘ vorstellen. Wenn ein epigenetischer Mechanismus defekt ist, könnte dieser Fingerabdruck verändert werden und es könnten dadurch eventuell weniger gut voneinander abgegrenzte Zellarten gebildet werden. Dies könnte wiederum einen Einfluss auf die Organfunktion nehmen. Wenn eine Nervenzelle dadurch z.B. Signale nicht mehr so gut weiterleiten könnte, wäre diese Nervenzelle in ihrer Funktion beschädigt. Wenn dieser Schaden nur bei einer einzigen Zelle vorliegt ist das für ein Organ vielleicht kein großes Problem. Wenn aber alle Zellen in diesem Organ auf diese Art beeinträchtigt sind, dann weist vermutlich das gesamte Organ eine Funktionsstörung auf, die sich in einer Krankheit manifestiert. Ich untersuche daher nicht nur die generelle Funktion der Epigenetik in der Entstehung der Großhirnrinde, sondern möchte auf der Einzelzell-Ebene herausfinden, ob hier eine Fehlfunktion der Epigenetik die Gehirnentwicklung beeinflusst oder ob es eine größere Gesamtheit von Zellen benötigt um zu Entwicklungsstörungen zu führen.
Welche Erkenntnisse liefert Ihre Forschung in Bezug auf Gesundheitsvorsorge und Medikamente?
Nicole Amberg: Mit den Ergebnissen aus meiner Forschung kann man wesentlich genauer als mit bisherigen Methoden die Funktionsweise von zellulären bzw. molekularen Mechanismen wie der Epigenetik untersuchen und dabei sogar bislang unerkannte Genfunktionen entdecken. Dies führt zu viel besseren Möglichkeiten eine exaktere Therapie für die Ursache von Krankheiten zu entwickeln und damit das Leben von Patienten zu verbessern.
Welchen Rat haben Sie für junge Menschen, die sich für diesen Beruf interessieren?
Nicole Amberg: Auf jeden Fall die Möglichkeiten zum Kennenlernen von Forscher:innen wahrnehmen. Die meisten Forschungsinstitute bieten so etwas wie einen Tag der offenen Tür an, bei uns am IST Austria heißt dieser Tag „Open Campus Day“ und findet einmal im Jahr statt. Hier bieten wir Laborführungen und Forschungs-Ausstellungen an, man kann Forscher:innen und Professor:innen treffen und sich auf einem niederschwelligen Level verschiedenste Forschungsfelder anschauen. Mittlerweile gibt es auch viele junge Forscher:innen, die ihre eigenen Podcasts haben. Hier kann man sicherlich auch viel über Forschungsgebiete oder das Leben als Wissenschafter:in mitnehmen.
Und praktische Erfahrungen zu sammeln ist wahrscheinlich auch hilfreich …
Nicole Amberg: Natürlich ist das Allerbeste, mal in den Beruf hineinzuschnuppern. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten von Kinderuni oder Sommercamps während der Sommerferien oder von professionellen Praktika für Student:innen. Am IST nehmen wir auch Schüler:innen für Sommerpraktika in verschiedenen Bereichen an. Man kann uns Forscher:innen auch einfach direkt schreiben und fragen, ob ein Laborbesuch möglich ist. Vielleicht lässt sich damit ja sogar eine Projektarbeit in der Schule bearbeiten. Also generell einfach mal ausprobieren, man kann nichts verlieren. Man entdeckt, ob es einem wirklich Spaß macht oder auch nicht. Und selbst wenn es doch nicht so viel Freude bereitet wie ursprünglich angenommen – auch damit hat man viel über sich selbst und seinen weiteren beruflichen Weg gelernt.
Gemeinsam mit Lisa Chioki gründeten Sie die STEM fatale Initiative. Damit sollen Geschlechterunterschiede und Vorurteile aus dem Weg geschaffen werden. Wie schaffen wir gleichwertige Möglichkeiten für alle in unserer Gesellschaft?
Nicole Amberg: Ein guter Weg ist sicherlich das Schaffen von Bewusstsein. Das fängt schon bei mir selbst an: Welche Geschlechter-Stereotyp existieren in meinem eigenen Kopf? Welche innere Erwartungshaltung habe ich an junge Mädchen oder Buben? Würde ich auch einem Buben die Puppe schenken, der man das Fläschen gibt und die Windeln wechselt? Erziehe ich auch ein Mädchen dazu, zu widersprechen und einen eigenen Kopf zu haben oder toleriere ich das nur bei Buben? Übernehme ich als Frau automatisch Pflegetätigkeiten bei Angehörigen wie den eigenen Kindern oder den Eltern, oder mache ich mir das 50:50 mit meinem oder meiner Partner:in aus?
Wie werde ich mir dieser Geschlechter-Stereotype bewusst und was kann ich dann dagegen tun?
Nicole Amberg: Mit Selbstbeobachtung kommt man schon auf eine Menge gesellschaftlich verhaftete Rollenbilder, die man – ohne es zu wollen – fest in sich verankert hat. Sich darüber bewusst zu werden und danach zu versuchen, etwas im eigenen Verhalten zu ändern, ist ein extrem wichtiger Schritt. Aber das kostet viel Energie und ist ein sehr aktiver Vorgang. Es müssen natürlich auch passive Schritte in der Gesellschaft gesetzt werden, zum Beispiel durch Medien, Konsortien, Vorstandsgruppen und mehr. Wir dürfen keine Limits durch althergebrachte Rollenbilder setzen.
Mit der STEM fatale Initiative wollen wir das tun: Daten erheben, um herauszufinden auf welchen Ebenen Frauenkarrieren noch weiter gefördert werden können, mehr Selbstbewusstsein für berufliche Kompetenzen bei Frauen stärken und eine Plattform zum Netzwerken und Austauschen bieten.
#Wortgewand(t)
Mein Morgenritual, um in den Tag zu starten_ Wecker 2x snoozen, Schilddrüsentablette einnehmen, duschen, 2 Espressi trinken und am Weg zum Forschungsinstitut über Forschungsfragen nachdenken.
Darauf freue ich mich zu Wochenbeginn am meisten_ Auf eine spannende Woche mit neuen Entdeckungen im Labor.
Das fasziniert mich am MINT-Bereich am meisten_ dass man häufig Entdeckungen macht, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hätte und dadurch merkt, dass einen die Natur und die Biologie immer wieder vor eine intellektuelle Herausforderung stellt.
Mit diesen Voruteilen habe/hatte ich zu kämpfen_ bisweilen merke ich, dass es belächelt wird, dass ich mich für Mode interessiere und mich im Labor modisch kleide, aber das ignoriere ich einfach.
Diesen Rat würde ich meinem 14-Jährigen Ich geben_ Immer weiter so!
So lassen sich Probleme am besten lösen_ Erstmal eine Nacht drüber schlafen und das Problem wie ein Experiment betrachten: Wenn ein Lösungsweg nicht funktioniert, nicht aufgeben, sondern einen neuen ausprobieren.
Diese Menschen habe ich am liebsten um mich herum_ Menschen, die neidlos Freude daran haben, dass andere clever und erfolgreich sind und man durch Austausch und gemeinsame Ideen etwas leisten kann, das eventuell größer ist als man selbst.
Energie und Kraft tanke ich_ mit Schokolade und einfach mal in der Natur die Seele baumeln lassen.
Diese Persönlichkeit inspiriert mich am meisten_ Peggy Sotiropoulou, eine fantastisch intelligente, größzügige, innovative und herzensgute Person, clevere Forscherin und mittlerweile auf Managment-Level angekommene Frau in einem Biotech-Unternehmen.
Ein Rat, der mich wirklich weitergebracht hat_ Puh, da müsste ich mich gerade zwischen der rhetorischen Frage „Wenn du nicht an dich glaubst, wie soll es dann jemand anderer tun?“ (das zählt auf allen Ebenen, sowohl privat als auch beruflich) und dem Motto meiner STEM fatale Initiative Co-Founderin Lisa Cichocki „Man darf nicht nur jammern. Man muss etwas tun!“ entscheiden.