
Wie ein Familienbetrieb sich neu erfindet
Tradition oder Innovation? Für Holter ist das kein Entweder-oder. Das 150 Jahre alte Familienunternehmen zeigt, wie man beides verbindet – und damit sogar die Generation Z für eine vermeintlich „unsexy“ Branche begeistert. Michael Holter und Markus Steinbrecher wissen, wie’s geht.
Die Szene, die sich jeden Herbst bei Holter wiederholt, erzählt die Geschichte einer ganzen Generation: Neue Lehrlinge betreten zum ersten Mal die Firmenräume. Doch was Michael Holter, Eigentümer des 150 Jahre alten Familienunternehmens, mittlerweile dort beobachtet, markiert einen fundamentalen Wandel. „Früher sind die alle mit einem Rucksack im Eck gestanden, wie eine Schafherde, und haben gewartet, wo sie hingesetzt werden“, erzählt er, als wir uns im Hauptsitz des Sanitär- und Heizungsgroßhändlers in Wels treffen. „Und jetzt stellen sie die Frage, wie das möglich ist, dass ich ein Auto mit acht Zylindern fahre, wo ich doch ein Unternehmen leite, das den Klimawandel bekämpft.“
Diese unbequemen Fragen am ersten Arbeitstag sind symptomatisch für eine Generation, die nicht nur anders arbeiten, sondern auch anders geführt werden will. Sie hinterfragt Selbstverständlichkeiten, fordert Transparenz bei Unternehmensentscheidungen und will verstehen, warum ein Arbeitgeber handelt, wie er handelt. Was früher nie erklärt werden musste, steht heute zur Diskussion – gegenüber Sechzehnjährigen.
Es brauchte einen Wandel …
Vor drei Jahren trafen Michael Holter und seine Cousine Jasmin Holter eine Entscheidung, die in Familienunternehmen alles andere als selbstverständlich ist: Sie übergaben die operative Geschäftsführung an zwei langjährige Mitarbeiter, darunter Markus Steinbrecher, der seit über 22 Jahren im Unternehmen ist. „Wir brauchten diese Professionalisierung“, erklärt Holter die strategische Weichenstellung.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Das Unternehmen war von 125 Millionen Euro Umsatz und 350 Mitarbeitenden auf fast das Dreifache gewachsen. „Ein Learning daraus war, dass die Stärken, die man als Eigentümerunternehmer hat, in der Größe verloren gehen“, reflektiert Holter. Seine Begründung ist ebenso ehrlich wie strategisch durchdacht: „Je größer ein Unternehmen wird, desto mehr wirst du als Unternehmer selber zum Flaschenhals. Du triffst Entscheidungen, die du gar nicht mehr treffen solltest.“ Die Lösung: professionelles Management, das die Familienwerte trägt, aber nicht deren strukturelle Beschränkungen.
Familienbande
Markus Steinbrecher ist das lebende Beispiel dafür, wie diese Strategie funktioniert. Im Juni 2003, direkt nach dem Bundesheer, hat er seine Karriere bei Holter gestartet – eine Laufbahn, die ihn vom Neuling zum Geschäftsführer führte. „So gehört man auch schon ein bisschen zur Familie“, meint er mit einem Schmunzeln. Michael Holter neben ihm nickt bestätigend.
Diese 22-jährige Unternehmensausbildung war sein MBA der besonderen Art: „So lernt man ein Familienunternehmen wirklich im Kern kennen. Wie das Unternehmen wirklich tickt. Welche Werte zählen.“
Als er 2024 die alleinige Geschäftsführung übernahm, war das kein sanfter Übergang, sondern ein Sprung ins kalte Wasser. Und das inmitten der schwersten Krise, die er in 20 Jahren erlebt hatte. Die Bauwirtschaft lag am Boden, die Zinsen explodierten, und gleichzeitig musste ein neues Führungsteam etabliert werden. „Das war eine sehr herausfordernde Zeit“, blickt Steinbrecher zurück. „Aber Herausforderungen machen mir Spaß“, fügt er augenzwinkernd hinzu. Gut, denn diese scheinen auch nicht zu enden.
Führung neu gedacht
In der volatilen Wirtschaftswelt setzt Holter auf den stabilsten Faktor: die Mitarbeitenden. „Im Familienunternehmen steht der Mitarbeiter weit mehr an erster Stelle, als es in anderen Unternehmen üblich ist“, betont Steinbrecher. „Es ist nicht der letzte Euro wichtig, sondern der Mensch.“ Diese Haltung ist heute überlebenswichtig, denn die neue Arbeitnehmergeneration filtert Arbeitgeber nach völlig anderen Kriterien. „Es geht weder nur um Geld noch um irgendwelche Benefits“, erklärt Steinbrecher die neue Realität des Employer Brandings. Der Schlüssel liege, laut ihm, in der Entwicklungsperspektive: „Bei uns kannst du wachsen“ –
dieser Leitspruch ist eine Art Überlebensstrategie im Kampf um Fachkräfte.
Die junge Generation will Teil einer Vision sein. „Es ist heutzutage viel wichtiger, dass du den Leuten das Gefühl gibst, dass es sinnstiftend ist, was sie tun“, sagt Holter. Ein Wandel, den er gemeinsam mit Steinbrecher gestaltet, ist der von einer patriarchalen hin zu einer partizipativen Organisation – ein Change, der nicht über Nacht passiert, der aber für die heutige Arbeitswelt essenziell ist. Die neue Generation stellt eben andere Ansprüche: „Die jungen Leute hinterfragen viel mehr und wollen Feedback“, beobachtet Steinbrecher, „diese Entwicklung finde ich wahnsinnig toll.“ Doch Feedback zu geben ist eine Kunst, die gelernt werden muss. Holter investiert deshalb massiv in Führungskräftewerkstätten und Nachwuchsführungskräfte-Programme.
In einer wirtschaftlich volatilen und unsicheren Zeit sehen die beiden paradoxerweise gerade darin die größte Chance für Holter. „Wir sind die Zukunftsbranche“, meint der Geschäftsführer über die Sanitär- und Heizungsbranche. Das Austauschen alter Öl- und Gasheizungen gegen klimafreundliche Wärmepumpen bis hin zur energetischen Gebäudesanierung machen das Unternehmen zu einem Treiber der Energiewende.
Die Ironie: Ausgerechnet eine Branche, die lange als „unsexy“ galt, wird zum Magneten für eine Generation, die das Klima retten will. Steinbrecher sieht darin einen großen Attraktivitätsfaktor für neue Mitarbeitende, die durch ihren Job „täglich einen Beitrag fürs Morgen leisten“.
Allzeit bereit
Fragen werden gestellt, Wege ausprobiert, Dinge überdacht. So entwickelt sich ein Familienunternehmen also über Generationen hinweg. Was die nächste Generation mit sich bringt, welche Fragen die Lehrlinge in 20 Jahren stellen werden, das kann niemand sagen. Klar ist nur: Holter ist bereit, sich zu verändern, und dabei die Familie nicht einfach als Tradition zu sehen, sondern als etwas, das immer wieder neu erfunden werden kann._
Redaktion
- Zofia Wegrzecka
Fotos
Anje Wolm