
Internationale Erfolge
Österreichische Forschungspartnerschaft setzt neue Maßstäbe im Neuromorphic Computing
Neuromorphic Computing ist eine neue Technologie, um Künstliche Intelligenz (KI) zu verbessern. Das Ziel ist es, KI energiesparender und schneller zu machen. Seit drei Jahren arbeiten das Institut für Signalverarbeitung der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), die Silicon Austria Labs (SAL) und das Software Competence Center Hagenberg (SCCH) eng zusammen und bündeln ihre Fachkenntnisse, um diese spannende Technik voranzutreiben.
Neuromorphic Computing
Das menschliche Gehirn verarbeitet Informationen nicht als Bits (wie klassische Computer), sondern nutzt Impulse (Spikes), also kurze elektrische Signale. Entscheidend ist, wann so ein Impuls auftritt – der exakte Zeitpunkt überträgt die eigentliche Information.
Dadurch kann das Gehirn mehr und komplexere Informationen pro Signal transportieren als ein digitales Bit, das nur „0“ oder „1“ kennt. Die Zeit zwischen den Spikes oder ihr Muster enthält deutlich mehr Informationsgehalt, und das macht diese Methode effizienter für bestimmte Aufgaben – zum Beispiel um Muster oder Abläufe in Echtzeit zu erkennen. In der Technik werden solche Konzepte im „Neuromorphen Computing“ durch sogenannte Spiking Neural Networks (SNNs) nachgebildet.
„Unser Ziel ist es, Systeme zu entwickeln, die biologische Strukturen und Prozesse nachbilden – mit minimalem Energiebedarf und maximaler Reaktionsfähigkeit“, erklärt Dr. Bernhard A. Moser, Technology and Innovation Manager am SCCH. „Einsatzbereiche sind u. a. Robotik, Medizintechnik oder Umwelt-Monitoring“.
Forschungsteam räumt mit Vorurteilen auf
Trotz des zunehmenden Interesses an Neuromorphic Computing (NC) halten sich nach wie vor einige hartnäckige Vorurteile, wie z.B., dass man teure, spezielle Hardware braucht, dass es langsamer ist als klassische Verfahren oder, dass es an industrieller Reife fehle. „Wir zeigen, dass viele dieser Annahmen überholt sind. Erstens bietet NC nicht nur enormes Potenzial im Hinblick auf Energieeffizienz, sondern auch in Sachen Geschwindigkeit. Zweitens demonstrieren wir, dass NC keineswegs auf spezielle analoge Hardware beschränkt ist, sondern auch gewinnbringend auf Standard-Hardware-Plattformen eingesetzt werden kann“, betont Dr. Thomas Buchegger, Standortleiter von SAL in Linz.
Eine neue Studie zeigt, wie vielseitig Neuromorphic Computing eingesetzt werden kann – am Beispiel aus der Medizin. Forschende der Johannes Kepler Universität (JKU), der SAL, des SCCH und der TU Graz haben gemeinsam untersucht, wie sich EKG-Daten effizienter erfassen und verarbeiten lassen. Dabei konnten sie über 80 Prozent der Datenmenge einsparen, ohne dass die Qualität der Analyse leidet. Das bedeutet: Weniger Speicherbedarf bei gleicher Genauigkeit. Diese Technologie eröffnet große Chancen für die Zukunft der medizinischen Diagnostik und darüber hinaus.
Meilensteine der Forschungspartnerschaft
Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit konnten die Partner eine Reihe richtungsweisender Erfolge erzielen, die das internationale Potenzial von Neuromorphic Computing „Made in Austria“ eindrucksvoll unterstreichen:
Weltrekord bei SNN-Inferenz auf Standard-FPGAs
Mit einem neuen Demonstrator haben Forschende erfolgreich gezeigt, wie man sogenannte Spiking Neural Networks (SNN) – eine besondere Art von künstlichen neuronalen Netzwerken – besonders schnell auf gängigen FPGA-Systemen betreiben kann. FPGA steht für „Field Programmable Gate Array“ und beschreibt einen flexiblen, anpassbaren Computerchip, der häufig in der Technik eingesetzt wird.
„Mit unserem Verfahren können wir über 2,5 Millionen Bilder pro Sekunde verarbeiten – das ist mehr als 100 Mal schneller als bisherige Systeme mit der gleichen Hardware und den gleichen Daten“, erklärt Assoz. Univ.-Prof. Dr. Michael Lunglmayr vom Institut für Signalverarbeitung der JKU. „Zudem arbeitet unser System sehr energiesparend und erreicht eine Effizienz von mehr als 3 Millionen Bildern pro Sekunde pro Watt.“ Dieser Durchbruch zeigt, wie leistungsfähig und gleichzeitig energieeffizient moderne künstliche Intelligenz auf handelsüblicher Hardware umgesetzt werden kann.
Patent angemeldet
Eine neue Erfindung zur besonders energiesparenden Datenerfassung wurde bereits zum Patent angemeldet. Dabei kommen neuromorphe Prinzipien zum Einsatz, die von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns inspiriert sind.
Österreichische Workshopserie und Publikationen
Mit der Workshop-Reihe SNNSys zum Thema Neuromorphic Computing und Spiking Neural Networks (SNNs) setzen die Kooperationspartner wichtige Impulse in der österreichischen Forschungslandschaft. Die Workshops werden im Rahmen der AIROV-Konferenz in enger Zusammenarbeit mit der TU Graz organisiert und fördern den fachlichen Austausch auf höchstem Niveau. Forschungsergebnisse aus diesem Kontext wurden bereits mehrfach in renommierten Fachjournalen wie dem Journal of Neuromorphic Computing and Engineering sowie auf führenden Konferenzen, etwa dem IEEE International Symposium on Circuits and Systems, veröffentlicht.
Organisation eines internationalen Wettbewerbs
Im September 2025 findet in Alaska die wichtige IEEE-Konferenz zur Bildverarbeitung (ICIP) statt. Dabei organisiert unser Forschungsteam einen internationalen Wettbewerb unter dem Motto „Wenig Energie, hohe Geschwindigkeit“. Ziel ist es, die besten Lösungen für eine besonders sparsame und schnelle KI zu finden.
„Wir freuen uns sehr auf die Challenge. Die große Resonanz aus der Fachwelt zeigt, wie viel Kreativität und Innovationsgeist in diesem Bereich stecken“, sagt Moser.
INFOBOX
Über die Forschungspartner
Software Competence Center Hagenberg (SCCH)
Das Software Competence Center Hagenberg (SCCH) ist ein außeruniversitäres Forschungszentrum, das seit über 20 Jahren Exzellenz in der anwendungsorientierten Forschung in den Bereichen Data Science und Software Science aufgebaut hat. Dieser Fokus ermöglicht die optimale Umsetzung von Projekten in den Bereichen Digitalisierung, Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz. Das SCCH versteht sich als Schnittstelle zwischen internationaler Forschung und heimischer Wirtschaft und betreibt mit seinen Forscherinnen und Forschern herausragende Forschung. Derzeit beschäftigt das SCCH etwa 130 Mitarbeiter*innen aus 25 verschiedenen Nationen. Das SCCH wird als COMET-Zentrum – Competence Centers for Excellent Technologies – durch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) und das Land Oberösterreich unterstützt.
www.scch.at
Johannes Kepler Universität Linz (JKU) – Institut für Signalverarbeitung
Das Institut für Signalverarbeitung (ISP) der Johannes Kepler Universität Linz beschäftigt sich mit den algorithmischen, architektonischen und hardwareorientierten Aspekten von Signalverarbeitungssystemen. Anwendungsgebiete sind Informations- und Kommunikationssysteme, Hochfrequenz- und Basisband-ICs, Bio- und Sensorsignalverarbeitung sowie Automotive-Anwendungen. Unsere Vision ist es, sowohl an langfristigen Grundlagenforschungsprojekten als auch an kurzfristigen Themen zu arbeiten, letztere in enger Zusammenarbeit mit Industriepartnern.
Die Johannes Kepler Universität Linz (JKU) ist seit fast 60 Jahren eine regional stark verwurzelte und zugleich international ausgerichtete Universität. Sie ist die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Oberösterreich, an der in den Bereichen Recht, Technik, Naturwissenschaften, Medizin, Pädagogik sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gelehrt und geforscht wird. Rund 25.000 Studierende und knapp 4.000 Mitarbeiter*innen haben am JKU Campus eine moderne Infrastruktur mit viel Platz zum Lernen, Forschen und Leben.
Silicon Austria Labs (SAL)
Silicon Austria Labs (SAL) ist Österreichs führendes Forschungszentrum für Elektronik- und Softwarebasierte Systeme (ESBS), die das technologische Rückgrat der Digitalisierung bilden. An drei Standorten in Graz, Villach und Linz betreibt SAL Spitzenforschung in den Bereichen Microsystems, Sensor Systems, Power Electronics, Intelligent Wireless Systems, und Embedded Systems, um zukunftsorientierte Lösungen für die industrielle Produktion, Gesundheit, Energie, Mobilität und Sicherheit zu entwickeln. Der Bereich Intelligent Wireless Systems konzentriert sich auf die Entwicklung zuverlässiger und sicherer Kommunikationssysteme für industrielle Umgebungen. Dies ermöglicht Breitbandverbindungen für mobile Geräte (z. B. Smartphones, Tablets, Laptops), drahtlose Machine-to-Machine-Kommunikation und zunehmend drahtlose Sensornetzwerke in industriellen Anwendungen.
Eine der Vorzeigeinitiativen von SAL ist Digineuron, ein wegweisendes Projekt zur Entwicklung hocheffizienter integrierter Schaltkreise, die KI in Miniaturformaten implementieren. Diese Chips ahmen die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns nach und verwenden mehrschichtige neuronale Netze, die lokal kommunizieren, um den Energieverbrauch zu minimieren. Das eröffnet neue Möglichkeiten für intelligente Anwendungen mit geringem Stromverbrauch. SAL bringt wichtige Akteure aus Industrie, Wissenschaft und Forschung zusammen und kombiniert wertvolles Fachwissen und Know-how, um kooperative, anwendungsorientierte Forschung entlang der Wertschöpfungskette zu betreiben. Kooperationsprojekte werden von SAL mitfinanziert und ermöglichen einen schnellen und unbürokratischen Projektstart.
www.silicon-austria-labs.com
Redaktion
- DIE MACHER
Fotos
JKU Lunglmayr