Gebrauchsanweisung für ein gelungenes Corona-Homeoffice
Schirl ist Klinische-, und Gesundheits- und Arbeitspsychologin und Psychotherapeutin und erlebt diese Herausforderungen gerade nicht nur selbst hautnah, sondern auch in Therapiegesprächen mit ihren Klienten – neuerdings natürlich per Telefon oder Videocall. „Diese Krise ist mit nichts vergleichbar, das wir bisher erlebt haben – wir sind gesundheitlich, wirtschaftlich, sozial und auch global von dieser Krise betroffen. Von heute auf morgen ist das Leben nicht mehr wie es war.“ Die bisherigen Tipps für das Arbeiten im Homeoffice reichen jetzt also nicht mehr aus. Eine Gebrauchsanweisung für das Arbeiten im Homeoffice im Ausnahmezustand:
1. Struktur schaffen.
Wer nicht allein im Haushalt lebt, der berufe am besten gleich mal eine Familienkonferenz ein. Wie gestalten wir den Tag? Was machen wir wann? Wie verhalten wir uns, damit wir den anderen nicht stören? Was bedeutet es, wenn Mama nicht nur Mama ist, sondern am Computer arbeitet und Ruhe zur Konzentration braucht? Warum muss Papa die ganze Zeit telefonieren? Wie verteilen wir die Aufgaben im Haushalt? Wer kocht und wann essen wir zu Mittag? Was wir dabei nicht vergessen sollten: „Es wird nicht alles beim ersten Mal klappen. Daher rate ich, sich nach ein paar Tagen wieder zusammenzusetzen und zu überlegen: Was war gut, was müssen wir verändern? Es braucht immer wieder eine Anpassung“, erklärt Psychologin Christa Schirl.
2. Rituale einschalten.
Eigentlich sieht mich jetzt keiner, eigentlich ist’s auf der Couch gemütlicher als am Tisch, eigentlich ist’s egal, wann und wie ich arbeite, es ist ja eh der ganze Tag zur Verfügung. Was verlockend klingt, ist eine große Gefahr, warnt Christa Schirl: „Kommen Sie diszipliniert, ordentlich gekleidet und frisiert zum Schreibtisch. Egal, ob Sie jemand sieht oder nicht – die Kleidung signalisiert auch unserem eigenen Gehirn etwas.“ Der Pyjama etwa meldet dem Gehirn die Info „Ruhe“, Laufschuhe bereiten das Gehirn auf Sport vor. „Klar kann man sich jetzt bequemer kleiden als im Büro – dennoch sollten Sie sich immer noch dem Job entsprechend anziehen. Und wenn Sie für gewöhnlich Make-up tragen oder sich regelmäßig rasieren, dann sollten Sie das auch jetzt am Morgen machen.“ Wenn der Arbeitstag dann vorbei ist, kann man getrost in die Jogginghose schlüpfen. „Die Arbeitszeit sollte definiert werden und auch die Pausen.“ Eine Pause ist übrigens immer das Gegenteil von dem, was man zuvor gemacht hat. „Wenn ich vorher am Computer gesessen bin, dann sollte ich in der Pause nicht auf einen Bildschirm schauen und nicht sitzen, sondern mich bewegen“, erklärt Schirl. Rituale kann und sollte man auch mit den Arbeitskollegen – virtuell natürlich – einplanen. Das kann ein morgendliches Jour-fix zum Update sein und nach der Arbeitswoche am Freitagnachmittag zum Beispiel ein After-Work-Drink, wo man im Video-Call ¬– jeder mit dem Getränk seiner Wahl – auf die gelungene Arbeitswoche anstößt.
3. Motivation hochfahren.
Im Team wird man schnell mal mitgerissen vom Elan der anderen. Aber zuhause? Die Vase am Fensterbrett hat nur mäßig Potential, einen zu begeistern. Ganz wichtig daher: „Räumen Sie jegliche Ablenkungen weg von Ihrem Arbeitsumfeld. Selbst, wenn es Ihnen gelingt, der Schokolade neben Ihnen zu widerstehen, der ständige Blick darauf raubt Ihrer Konzentration Energie und das demotiviert auf Dauer.“ Führungskräfte sollten mit ihren Mitarbeitern ganz genau vereinbaren, bis wann welche Aufgaben erledigt werden müssen. „Jetzt besteht sehr leicht die Gefahr, dass man sich verzettelt, daher sollte jeder sehr klar wissen, welche Ziele er bis wann erreichen soll“, so die Psychologin. Dann könne man sich für jeden Tag eine übersichtliche To-do-Liste erstellen, die konzentriert abgearbeitet wird. „Das Wichtigste ist, dass man Ziele nicht zu weit nach vorne legt, sondern immer wieder fragt: Was ist heute hier und jetzt meine wichtigste Aufgabe?“ Das Leben finde im Jetzt statt. Wie schnell Pläne umgeworfen werden können, hat uns das Coronavirus schließlich gerade eben gezeigt.
4. Multitasking ausschalten.
„Multitasking ist nie gesund“, stellt Christa Schirl gleich mal klar. Es sei ein Irrglaube, dass man schneller und effektiver arbeiten könne, wenn man mehrere Sachen gleichzeitig macht. „Das Gegenteil ist der Fall – Multitasking verstärkt den Stress und führt dazu, dass ich mich auf nichts wirklich konzentrieren kann.“ In Zeiten wie diesen sei es daher noch wichtiger, sich auf den jeweiligen Moment einzulassen: Wenn ich gehe, gehe ich, wenn ich esse, esse ich, wenn ich Kaffee trinke, genieße ich den Kaffee, wenn ich mit meinem Kind spiele, spiele ich, wenn ich eine E-Mail schreibe, schreibe ich, wenn ich telefoniere, telefoniere ich. „Widme ich mich einer Sache fokussiert, dann sind die Ergebnisse besser und das Stressgefühl wird weniger. Und die Fehleranfälligkeit sinkt.“
5. Wenn das Verzweiflungslämpchen aufleuchtet
„Ängste sind jetzt völlig normal“, sagt Schirl. Überhaupt habe die Angst zu Unrecht einen schlechten Ruf. „Ich finde nicht, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Wenn ich heute nicht ängstlich bin, geh ich zur Coronaparty. Also beschützt uns die Angst.“ Schirl spricht hier allerdings von gesunder Angst und nicht von Panik. Die lähmt nämlich. Was also tun, damit Angst nicht in Panik ausartet? „Stellen Sie sich die konkrete Frage: Wovor fürchte ich mich? Angst ist oft ein diffuses Gefühl, man sollte daher ruhig genau hinschauen.“ Und dann helfe meist der Austausch mit anderen – egal, ob am Telefon oder mit den Mitbewohnern. Wichtig dabei aber: „Überlegen Sie, was Sie tun können, was Sie selbst in der Hand haben, um der Angst gegenzusteuern.“ Klar, die Situation ist Mist. Aber Mist ist auch Dünger. „Und aus Dünger kann etwas Gutes wachsen.“ Beste Beispiele dafür: Der Schneider, der jetzt Schutzmasken näht oder der Schnapsbrenner, der jetzt Desinfektionsmittel herstellt.
6. Risiken, Chancen und Nebenwirkungen
Was immer wir jetzt tun, eines ist unser ständiger Begleiter: die Krise. „Viele können nicht schlafen, bekommen Migräneattacken oder andere Beschwerden – und das sind oft völlig gesunde Menschen. So eine Ausnahmesituation macht Angst und Sorgen. Gesundheitlich genauso wie wirtschaftlich.“ Deshalb reagieren Menschen im Moment oft emotionaler. Dafür solle man unbedingt Verständnis zeigen. Hinzu komme schließlich, dass in der Kommunikation ohne direkten Kontakt, häufiger Missverständnisse entstehen. „Weil ich den Menschen nicht lesen kann, wenn er mir nicht gegenübersitzt und das gesprochene oder geschriebene Wort daher missverständlich rüberkommen kann.“ Schließlich sind wir soziale Wesen, die ein reales Gegenüber brauchen, um sich auszutauschen. „Das wird sicher eine große Challenge“, sagt Christa Schirl. „Die können wir aber schaffen!“
Die Arbeitszeit sollte definiert werden und auch die Pausen.
Christa Schirl
Klinische-, und Gesundheits- und Arbeitspsychologin, Psychotherapeutin und Supervisorin