„Das ist eine Jahrhundertchance“
Was passiert, wenn man eine Uni auf den Kopf stellt? Also wenn man das Prinzip einer Hochschule völlig neu denkt. Die Mission der IT:U, der Interdisciplinary Transformation University, in Linz ist: Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft zu finden. Eigentlich logisch, dass man die nicht mit veralteten Lehrmethoden findet. Aber was macht man hier so anders als an anderen Universitäten? Und welche Vision treibt die Macherinnen an?
„Wo geht’s hier zum Audimax?“ Schweigen. Auf diese Frage bekommt man hier an der neuen Technischen Uni im Linzer Science Park 4 keine Antwort. Große Vorlesungssäle gibt es hier nämlich nicht. Und das hat nichts mit Platzmangel zu tun, sondern damit, dass man hier die Antworten auf die großen Fragen unserer Welt anders entwickeln möchte. Fragen nach Lösungen für die Zukunft –
in unterschiedlichsten Fachbereichen wie Gesundheit, Klimaschutz, Bauwesen und vielen mehr. Für das Suchen dieser Lösungen brauche es keine unpersönlichen Vorlesungen. „Unsere Lehre findet innerhalb von Projekten statt“, erklärt Gründungspräsidentin Stefanie Lindstaedt. Dazu gebe es Räume, in denen bis zu zehn Personen Platz haben. „Das Projekt ist der rote Faden – wenn ich merke, ich brauche eine neue Kompetenz für das Projekt, etwa Mathematik oder Programmieren, dann lerne ich das. Aber eben nicht der Technik wegen, sondern des Projektes wegen.“
Von wegen Technikfreaks
An der IT:U steht also nicht die Technik im Vordergrund, sondern die Mission, die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern – die technologischen Tools sind die Hilfsmittel dazu. „Hier ist es nicht so, dass man die Technologie lernt und am Ende erst weiß, wofür man sie einsetzen kann. Wir drehen das komplett um: Ich weiß von Anfang an, was ich machen und erreichen will, und baue während des Projektes meine technologische Kompetenz auf.“
Wenn man den Weg zur Vision mit einer Bergtour vergleicht, dann sind Stefanie Lindstaedt als Gründungspräsidentin und Gabriele Költringer als Managing Director also die Bergführerinnen. Im Gepäck haben die beiden nicht nur jede Menge Erfahrungsschatz – Lindstaedt leitete zuvor das Institute of Interactive Systems and Data Science der TU Graz, Költringer war CEO an der Fachhochschule Technikum Wien –, sondern auch ein Feuer. Das spüren wir beim gemeinsamen Gespräch im Science Park nicht nur, weil es ein brütend heißer Tag ist. Sondern weil sie darüber erzählen, wie sehr sie für diese neue Uni brennen. Und das, obwohl der Aufbau seit Mitte 2023 kein Spaziergang ist, sondern …
Wenn der Aufbau einer neuen Uni ein Marathon wäre, bei welchem Kilometer sind Sie mit der IT:U gerade?
Stefanie Lindstaedt: Zehn Prozent haben wir schon geschafft, also 4,2 Kilometer.
Und auf diesen 4,2 Kilometern – was war der bisher größte Meilenstein?
Stefanie Lindstaedt: Unser größter Meilenstein bisher ist, dass wir unsere ersten elf Professoren und Professorinnen haben – die sind jetzt an der Startlinie für ihren Marathon, die meisten fangen am 1. Oktober an.
Mehr als 400 Wissenschafter haben sich auf die ausgeschriebenen Professuren beworben. Warum haben sie sich gerade an der neuen Uni in Linz beworben?
Stefanie Lindstaedt: Viele sind von der akademischen Welt ein bisschen frustriert und bei uns sehen sie die Chance, dass wir eine Universität mit Forschung, Lehre und Collaboration ganz anders aufbauen. Das hat viele begeistert und dadurch konnten wir die Professoren und Professorinnen auch gewinnen. Jeder möchte dabei sein, etwas Neues zu entwickeln, weil das eine Jahrhundertchance ist. Eine öffentliche Universität neu aufzubauen, das wird so schnell nicht wiederkommen.
Gabriele Költringer: Und das treibt alle an. Dieser Spirit, dieser Startup-Charakter und dieses Mitwirken, weil man unmittelbar sieht, was sich bewegt. Gemeinsam entlang der Mission, innovative Problemlösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln, wirkt stark motivierend und sinnstiftend.
Gibt es Vorbild-Universitäten, die Sie zu diesem neuen Aufbau inspirieren?
Stefanie Lindstaedt: Weltweit gibt es schon einige Beispiele – etwa die University of Aalborg in Dänemark, die macht seit 50 Jahren diese projektorientierte Lehre, auch im Bachelor. Wir beginnen damit erst mal im Doktorat und nächstes Jahr im Masterstudium. Auch die ETH Zürich, viele skandinavische und amerikanische Universitäten wie etwa Stanford und Harvard haben ähnliche Zugänge. Und sind sehr erfolgreich!
Wenn nun jemand vor der Entscheidung steht, eine dieser von Ihnen genannten Unis zu besuchen oder die neue IT:U in Linz – warum entscheidet er oder sie sich für Linz?
Stefanie Lindstaedt: Ich glaube, unsere Lehrmethodik ist noch mal einen Schritt innovativer als das, was jetzt im Moment andere Unis machen. Die Lehre findet bei uns wirklich nur innerhalb der Projekte statt. Und auch die Interdisziplinarität ist ausgeprägter als bei den anderen Universitäten. Unser Zentrum sind die digitalen Technologien und die Künstliche Intelligenz und alles, was man damit machen kann – mit der Connection zur Gesellschaft, zur Menschheit, zu allen möglichen Aspekten, um an Dingen zu arbeiten, die tatsächlich eine Bedeutung haben. Energie- und Mobilitätsthemen zählen zum Beispiel dazu.
An der IT:U sollen die „Digital Transformers der Zukunft“ ausgebildet werden, wie Sie sagen – welche Kompetenzen erlernen sie hier dazu?
Stefanie Lindstaedt: Wenn wir bei der Sportanalogie bleiben, dann könnte man das so beschreiben: Wir bilden hier keine Leute aus, die am schnellsten laufen oder am höchsten springen, sondern wir bilden Zehnkämpfer aus. Also Leute, die in verschiedenen Bereichen sehr gut sind und dann auch mit allen anderen Disziplinen interagieren und die Digitalisierung optimal nützen können. Im Moment haben wir ja leider folgendes Problem: Wenn man Leute aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenbringt – zum Beispiel eine Informatikerin mit einem Soziologen –, dann können sie einander nicht gut verstehen und damit auch nicht gut zusammenarbeiten. Und on top: Wir haben in der Digitalisierung ein Anwenderproblem. Nicht die Technologie ist der Flaschenhals, sondern dass wir aktuell nicht genügend Anwender haben, die die Möglichkeiten der Tools auch nützen können. Bei uns sollen sie die Kompetenz erlangen, gemeinsam an Problemen zu arbeiten und interdisziplinäre Lösungen zu finden. Dabei spielen unsere Lernlabs eine ganz große Rolle. Im ersten Jahr des Masters werden unsere Studierenden durch all diese Lernlabs durchgeleitet, haben in jedem Lernlab ein Projekt und arbeiten mithilfe von Designthinking, Artthinking und anderen Modellen innovative Lösungen aus.
Wie schwierig wird es werden, dazu genügend Studierende nach Linz zu locken?
Gabriele Költringer: Unser Ziel ist es, dass wir auch viele internationale Studierende gewinnen. Mit dem richtigen Marketing und der richtigen Botschaft werden wir das schaffen. Zunächst müssen wir die Leute erst mal zur Bewerbung animieren und dann aber auch die geeignetsten Personen herauspicken. In der Anfangsphase werden wir 30 bis 40 Personen aufnehmen. Und geeignet heißt nicht nur, dass derjenige vielleicht fachlich am besten ist, sondern, dass er oder sie auch die Motivation hat, wirklich so zu lernen, wie wir es anbieten. Ich glaube, ein Student der zu uns kommt und erwartet, dass er in großen Vorlesungen sitzt, ist bei uns einfach nicht richtig.
Sondern – welche Studierenden sind richtig bei Ihnen?
Stefanie Lindstaedt: Sie müssen viel Neugierde mitbringen und den Willen, Dinge wirklich neu zu denken. Und sie brauchen auch den Drive, etwas verändern zu wollen.
Gabriele Költringer: Wichtig ist auch, dass sie nicht vordergründig ein Studium absolvieren wollen, um einen Titel zu bekommen – das ist ja nicht selten die Motivation. Sondern dass sie Freude daran haben, Lösungen zu erarbeiten. Es wird Fragestellungen geben, die nicht so einfach von der Hand gehen. Da braucht es den Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen.
Stefanie Lindstaedt: Wir wollen die Leidenschaft entfachen, sich mit technischen Themen auseinanderzusetzen. Ich glaube, oft fehlt vielleicht einfach nur der Purpose. Technologie zu lernen, ist für viele nicht interessant. Aber wenn ich weiß, was ich damit machen kann, und was damit plötzlich möglich ist, dann entsteht die Sinnhaftigkeit.
Gabriele Költringer: Ich glaube, dass wir da auch den richtigen Weg zur richtigen Zeit gehen, weil dieser Purpose heutzutage extrem wichtig ist. Die Generationen von heute hinterfragen viele Dinge. Sie wollen wissen: Warum mache ich etwas? Ist es für ein größeres Ganzes? Welchen Impact hat das? Und das unterstützt unser Lernmodell extrem. Weil ich unmittelbar sehe, welche Auswirkungen es hat, wenn ich das Wissen anwende.
Warum ist Linz der geeignete Standort für diese neue Uni?
Stefanie Lindstaedt: Wir haben hier in Linz die größte Dichte an Softwarefirmen und herausragende, internationale Industrie- und Technologiebetriebe österreichweit. Das ist schon mal ein ganz, ganz großer Vorteil für den Standort. Unser Anspruch ist natürlich, hier enge Kooperationen einzugehen. Dann ist Linz auch eine Stadt, in der die JKU mit ihren Kompetenzen im Bereich Künstliche Intelligenz hervorsticht – das ist ebenso wichtig und auch hier streben wir immer mehr Kooperationen an. Ich komme jetzt gerade von einem guten Gespräch mit einem Informatikprofessor an der JKU. Das gelingt natürlich einfacher, wenn man, wie hier, nur von einem ins nächste Gebäude spazieren muss. Ich glaube, da haben wir sehr, sehr viele Vorteile und Synergien in beide Richtungen.
Dabei könnte man meinen, in einer derart innovativen Uni spazieren alle nur noch durch virtuelle Räume …
Stefanie Lindstaedt: Ich glaube, die Gefahr mit der Digitalisierung ist, dass es leicht unpersönlich wird. In der Hinsicht wollen wir schon ein bisschen reaktionär sein: Eine ganze Menge der Lehre kann online und virtuell stattfinden, aber für die Projekte kommen alle Beteiligten, auch die Lab-Experten und Coaches, zusammen. Das soll auch so bleiben. Weil es beim Lernen viel um Emotionen geht. Nur mit Emotionen kann man wirklich lernen und sich Dinge merken. Das heißt, wir wollen eine Community aufbauen, die gemeinsam Herausforderungen adressiert und mit Lösungen antwortet.
Was steht auf Ihrer Wunschliste an die Stadt Linz?
Gabriele Költringer: Ein besseres öffentliches Verkehrsnetz. Genauso wie internationale Schulen und Kindergärten für die Kinder von Professoren oder Mitarbeitern. Aber da ist man mit der Internationalisierungsstrategie eh schon dran. Wir brauchen auch dringend mehr und kostengünstige Wohnmöglichkeiten für Studierende und für Professoren und Professorinnen. Die bereits existierenden Studierendenheime sind bereits sehr gut gebucht. Wir müssen Menschen für den Standort Linz begeistern. Dafür muss die Stadt Linz nicht nur am internationalen Image arbeiten sondern auch Linz als junges, dynamisches universitäres Ökosystem formen.
Was ist Ihre persönliche Leidenschaft für den Aufbau der Uni?
Stefanie Lindstaedt: Hier werden zwei Themen verbunden, die mich seit meiner Dissertation beschäftigen. Zum einen ist das die Interdisziplinarität. Ich habe ja in Amerika promoviert und da war Interdisziplinarität einfach gegeben. Als ich zurück nach Europa gekommen bin, war ich wie vor den Kopf gestoßen, weil man dann plötzlich gefragt wurde: Gehörst du in das Töpfchen oder in das Töpfchen? Diese Interdisziplinarität hier an der IT:U zu etablieren, ist für mich sehr wichtig. Zum anderen war mein Forschungsbereich ja Technology Enhanced Learning, also die ganzen Lerntechnologien. Hier habe ich nun die Möglichkeit, all diese Visionen und Ideen umzusetzen.
Gabriele Költringer: Ich möchte, dass wir hier den Studierenden, Professoren und Professorinnen ein innovatives Lernumfeld bieten – immer am letzten Stand der Technik sind, auch hinsichtlich der Ausstattung. Und dass wir auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die nicht in der Lehre tätig sind, ein motivierendes, innovatives Arbeitsumfeld bieten. Und natürlich geht es mir um eine effiziente, agile Organisation, die möglichst nachhaltig aufgebaut ist. Sie muss resilient sein, damit wir eine Basis haben, um gut wachsen zu können. Gleichzeitig wollen wir viel Freiheit bieten, sodass sich jeder entfalten kann._
Unsere Vision
„Wir möchten ein Schmelztiegel der Disziplinen sein, in dem Künstliche Intelligenz eine bindende Rolle spielt. Hier bringen wir tolle Forschung und Innovationen heraus, gleichermaßen sind wir bekannt für die exzellente Lehre mit unseren modernen Lernmethoden.“
# Gedankensprung
mit Stefanie Lindstaedt und Gabriele Költringer
3 Must-have-Skills für die Zukunft_
Stefanie Lindstaedt: Kommunikationsfähigkeit, Toleranz, Mut
Gabriele Költringer: Veränderungswille, Digitalkompetenz, Konfliktlösungskompetenz
Was kaum jemand über KI weiß_
Stefanie Lindstaedt: Dass es dabei weniger um die Technologie geht, sondern vielmehr darum, was man damit macht.
Ein Macher, eine Macherin ist für mich ein Mensch, der_
Stefanie Lindstaedt: … Mut hat.
Gabriele Költringer: … etwas weiterbringt, ohne dabei mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
Ich bin genau die Richtige für die IT:U, weil_
Stefanie Lindstaedt: … die Themen, um die es hier geht, genau meine Leidenschaft sind.
Gabriele Költringer: … diese Skills, die den Aufbau erfordern, genau meiner Hands-on-Mentalität entsprechen.
Eine Schlagzeile, die ich mir 2025 über die IT:U wünsche_
Stefanie Lindstaedt: Das MIT Media Lab zu Besuch auf der IT:U – große Begeisterung
Gabriele Költringer: Studierende und Unternehmen drücken ihre volle Zufriedenheit mit der IT:U aus.
Wenn wir uns am 25. September 2040 wiedersehen, …
„… sind wir in zehn Minuten vom Bahnhof am Uni-Campus. Gut, wir werden dann wahrscheinlich schon in Pension sein. Aber die Studierenden werden hier über eine App ongeboardet werden, unheimlich schnell willkommen geheißen, können unkompliziert eine Wohnung finden. Und wenn sie dann zu uns hereinkommen, dann ist für sie sofort sichtbar, an welchen Projekten unsere Studierenden arbeiten, welche tollen neuen Forschungsergebnisse unsere Professoren und Professorinnen geschafft haben. Sie können sich aussuchen, mit welchem Lernlab sie beginnen möchten, und finden sich schnell in einer Community wieder. “
Redaktion
- Susanna Winkelhofer
Fotos
Ines Thomsen