Page 26 - 2023_01_DIEMACHER
P. 26
Ein Gedankenexperiment
Das Argument, dass der Mann oft besser ver-
dient und deswegen die Frau in Karenz geht,
sei auch nicht mehr haltbar. Schmidt schlägt
ein kleines Gedankenexperiment vor: „Als Frau
könnte man doch auch sagen: ‚Ich habe auf-
grund des Gender-Pay-Gaps noch immer nicht
so viel verdient wie du und wenn wir ein Kind
bekommen, möchte ich sofort wieder einsteigen,
damit ich irgendwann auch so viel verdiene. Du
hast dir all das bereits erarbeitet, also kannst du
jetzt pausieren.‘“ Natürlich gibt es auch Paare, in
denen die Frau besser verdient, und dann wird
argumentiert, sie nehme das einkommensabhän-
gige Modell, weil sie dadurch viel mehr Kinder-
haben einen immer höheren Anspruch an sich betreuungsgeld erhalte. Umgekehrt passiert es so
selbst, mehr Kinderbetreuung zu übernehmen gut wie nie, dass der Vater dieses Modell wählt,
und trotzdem Vollzeit zu arbeiten. Väter mit weil er mehr verdient. „Hier sieht man wieder,
Kindern unter sechs Jahren leiden somit sogar welche Muster in einer Gesellschaft normativ
unter einer noch größeren zeitlichen Belastung sehr wirksam sind. Es würde viele Möglichkei-
als Mütter, wenn man bezahlte und unbezahlte ten geben, hier offener oder gleichberechtigter
Arbeit zusammenrechnet. zu denken.“
Dass es auch Modelle einer partnerschaftlichen Auch auf rhetorischer Ebene wäre es hilfreich,
Teilzeit gäbe, also zum Beispiel die Möglichkeit, Begriffe wie „Väterkarenz“, „Väterbeteiligung“,
dass beide 30 Stunden arbeiten, ist in den Köpfen „Familienvater“ und „Zuverdienerinnen“ im
der Menschen wenig präsent und wird deswegen Diskurs nicht immer wieder zu stärken. Oder
auch wenig genutzt. Hinzu kommt, dass Frauen nicht einseitig darüber zu sprechen, wie wichtig
in der Berufswelt aufgrund der gängigen Karenz- Kinderbetreuungseinrichtungen für die Frauen
regelungen oft diskriminiert werden. „Wenn klar sind, wenn sie doch auch für Männer mit Kin-
wäre, dass auch ein Mann mindestens zwei Mo- derbetreuungspflichten, also für beide Elterntei-
nate vom Job weg ist, sobald er Vater wird, oder le gleich wichtig sind. Denn die Sprache prägt
er automatisch nur in Teilzeit zurückkommt, unsere Denkweise und stützt das normative Kor-
würde sich in der Einstellungspraxis von Unter- sett einer Gesellschaft.
nehmen einiges ändern“, ist Schmidt überzeugt.
Wird sich dieses Korsett in den kommenden
Jahren weiten? Schmidts bisherige Forschungs-
ergebnisse deuten eher weniger darauf hin, aber
Politische und sie betont: „Es bräuchte dazu vor allem Vorbil-
unternehmerische Maßnahmen der im eigenen Umkreis. Und natürlich auch In-
für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle itiativen seitens der Politik und der Wirtschaft.
Denn strukturelle Maßnahmen sind sehr wohl
#1 geschlechtsneutrale Formulierungen bei Karenzregelungen fähig, kulturelle Vorstellungen von Elternschaft
zu verändern.“
#2 Nicht-Übertragbarkeit von Teilen der Karenzzeit
und hoher Einkommensersatz
Die Frage ist eben: Wohin wollen wir uns als Ge-
#3 Förderung von partnerschaftlicher Teilzeit und sellschaft entwickeln? Wäre mehr „Perheystäväl-
Anreize durch steuerliche Vorteile für beide schaffen
lisyys“ nicht auch in Österreich ein erstrebens-
#4 Aufwertung von Care-Arbeit wertes Ziel für die Zukunft?_
#5 Qualitätsoffensive beim Ausbau
von Kinderbetreuungseinrichtungen
#6 explizites Anbieten von familienfreundlichen Maßnahmen
für alle und Reform des Karenzmanagements in Unternehmen
26