Wie werden wir weniger abhängig von russischem Gas?
Zurzeit deckt Russland mehr als ein Drittel des europäischen Gasbedarfs, einen großen Teil auch in Österreich. „Dreht Russland den Gashahn zu, wären 19 Prozent unserer Energieversorgung gefährdet“, warnt Acredia-Vorständin Gudrun Meierschitz. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der führenden Kreditversicherung. Droht ein Fünftel des gesamten Energiebedarfs in nächster Zeit ungedeckt zu bleiben, kommt man vor allem kurzfristig, aber auch langfristig nicht um entsprechende Maßnahmen herum. „In dem Fall gäbe es drei Möglichkeiten: mehr Erdgas aus anderen Ländern importieren, mehr Energie aus anderen Quellen erzeugen und die Erdgas-Nachfrage durch erhöhte Preise drosseln“, erklärt Meierschitz. Wie könnte das konkret aussehen?
3 Wege für eine weniger von Russland abhängige Energieversorgung
#1 Erneuerbare Energien als Game Changer
Rückblickend erwischt man sich in letzter Zeit immer häufiger bei dem Gedanken, dass man die Energiewende in Österreich wohl zügiger hätte vorantreiben müssen. Doch die Würfel sind gefallen, wie man sprichwörtlich sagt. Jetzt geht es darum, schnell akute Lösungen zu finden und die Weichen für die Zukunft zu stellen. „Um die Energiehoheit zurückzugewinnen, ist es wichtig, dass Europa jetzt einen ambitionierten und koordinierten Plan entwickelt“, fordert Meierschitz. Nur so könne man die Energiesicherheit für den nächsten Winter gewährleisten.
Was es dafür braucht? Immerhin 1,3 Prozent des europäischen BIPs, also 170 Milliarden Euro. Pro Jahr. Speziell für Österreich gehen die Studienautor:innen davon aus, dass eine Steigerung der Produktion aus Solar- und Windenergie um je 38 Prozent und aus Bio-Gas um 20 Prozent nötig sei. Auch die Stromproduktion aus Erdgas würde durch einen Lieferstopp Russlands spürbar eingeschränkt. Zwar würde die heimische Stromproduktion somit etwa um ein Siebtel sinken, die Lösung liege aber auf der Hand. Eine Produktion aus, idealerweise erneuerbaren, Alternativquellen ist hiergegen das beste Mittel.
#2 Alternative Handelsbeziehungen stärken
Durch den niedrigeren Bedarf in der Pandemie haben einige Energiekonzerne in den vergangenen beiden Jahren ihre Produktion zeitweise heruntergefahren. Dadurch fallen die gespeicherten Reserven vergleichsweise niedrig aus – Europas Gasspeicher sind aktuell lediglich zu 29 Prozent gefüllt. Trotz mildem Winter würden die derzeitigen Ressourcen noch bis Ende März reichen, prognostizieren die Acredia-Expert:innen.
Eines der Probleme bei der Unabhängigkeit von Russland ist der Mangel an alternativen, gleichwertigen Lieferanten. Die angestrebten Handelsbeziehungen mit Algerien und Qatar leiden laut der Studie unter zwei Problemen: Erstens seien die Kapazitäten der Lieferungen so begrenzt, dass diese nur für wenige Tage reichen würden. Und zweitens mangele es an Zugängen zu den benötigten Pipeline-Netzwerken, um einen zuverlässigen Transport zu gewährleisten. Zwar erklärten sich die USA als größter Gaslieferant der Welt dazu bereit, Europa umfänglicher zu versorgen. Ob sich der gesamte Bedarf durch Lieferungen aus Amerika decken ließe, ist jedoch fraglich.
Eine Schlüsselrolle könnte dem weltweit zweitgrößten Exporteur von Erdgas in dieser Krise zukommen: Norwegen. Der skandinavische Staat pflegt seit jeher intensive Handelsbeziehungen mit großen EU-Wirtschaftsmächten wie Deutschland. Zeigte sich der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre zuletzt noch skeptisch, werden nun nach und nach immer mehr Gaslieferungen innerhalb des Kontinents bewilligt. Norwegen will helfen. Abgesehen von der unumgänglichen Unterstützung durch die USA, würde das eine wahrlich innereuropäische Lösung bedeuten.
#3 Geringere Nachfrage durch dauerhaft höhere Preise
Was zunächst absurd klingt und bei den meisten Verbraucher:innen auf Unverständnis stoßen wird, funktioniert in der Praxis. Wie das Beispiel Fukushima zeigt, hat sich die Nachfrage in Japan drastisch verringert, nachdem das Land durch die Nuklearkatastrophe mehr als ein Viertel seiner Stromproduktion einbüßte. Die Ursache ist eine andere, der Effekt derselbe. Deshalb gehen die Studienautor:innen von einer ähnlichen Reaktion aus, sollten die Strompreise tatsächlich um bis zu 40 Prozent und die Gaspreise um ganze 100 Prozent steigen. „In Österreich würde das die Stromnachfrage um 8 Prozent reduzieren“, so Meierschitz.
Die Gleichung lautet daher vereinfacht formuliert: weniger Nachfrage = weniger Verbrauch = weniger Bedarf = weniger Abhängigkeit. Womöglich sollte man auch diese Aussicht als Ansporn dafür nehmen, einerseits durch die Energiewende autonomer zu werden und andererseits gesunde Lieferbeziehungen zu demokratischen Handelspartnern zu pflegen.