Page 41 - KarriereMACHER_Herbst 2023
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Arbeit ist insgesamt
                                                             sicher nicht schlechter
            einmal im Leben. Der Rest könnte eigentlich mit        geworden.
            dem  Wort „Überlastung“ beschrieben werden.
            Genauso bei Boreout und Unterforderung oder         Christian Korunka
            bei Burnon, einem Begri , der die zeitliche Di-       Leiter Arbeits- und
            mension der Überlastung beschreibt.                Organisationspsychologie,
                                                                Fakultät für Psychologie,
                                                                  Universität Wien
            Korunka warnt allerdings davor, mit diesen Mo-
            debegri en um sich zu werfen. Viel mehr Sinn
            macht es, sich anzusehen, ob wir denn in der
            Arbeitswelt tatsächlich stärker belastet sind als
            früher oder ob der Diskurs nur lauter ist, weil ein
            stärkerer Fokus darauf gelegt wird. „Die körperli-
            chen Belastungen nehmen tendenziell ab, die psy-
            chischen allerdings zu.“ Nicht umsonst beschäf-
            tigt man sich mittlerweile auch gesetzlich mit den
            psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. In
            Studien zur Arbeitsintensivierung an Korunkas
            Institut zeigte sich, dass sich Arbeit seit den 90er
            Jahren intensiviert und verdichtet hat. Positiv da-
            ran: Auch Unternehmen beschäftigten sich schon   Menschliche Grundbedürfnisse
            intensiv mit diesen Belastungen und untersuch-
            ten, wie damit umgegangen werden kann. In der   Ein guter Arbeitsplatz ist jedenfalls einer, der es
            Arbeitspsychologie gibt es den Leitsatz „Verhält-  scha t, die menschlichen Grundbedürfnisse zu er-
            nisprävention geht vor  Verhaltensprävention“.   füllen, und zwar das Bedürfnis nach Autonomie  –
            Das heißt, es sind zuerst die Verhältnisse selbst,   individuelle, persönliche Entwicklung, Gestal-
            also die Arbeit an sich, die Gestaltung der Arbeit,   tungsspielraum,  Partizipation    –, das Bedürfnis
            alles, wofür der Arbeitgeber verantwortlich ist,   nach Kompetenz – Neugier, Weiterentwicklung,
            in den Vordergrund zu rücken und erst dann das   Lernen – und das Bedürfnis nach sozialer Einbin-
            Verhalten, sprich die Menschen. „Es geht nicht   dung. Der Idealfall wäre, dass dieser Arbeitsplatz
            darum, die Menschen an den Job anzupassen,   darüber hinaus ein gesundes Maß an Anforderung
            sondern den Job an die Menschen anzupassen.“  bereitstellt, weder Unter- noch Überforderung.

            Selbst gestalten                            Was können wir tun, um als Gesellschaft insge-
                                                        samt nicht auszubrennen? Wir müssen wachsam
            Gleichzeitig verlangen Jobs, in denen Home-  sein,  emen wie psychische Belastungen aktiv
            o ce gang und gäbe ist, zum eigenen Gestalter   ansprechen und einen präventiven Blick auf die
            oder zur eigenen Gestalterin zu werden. „Wenn   Arbeitswelt einnehmen. Und uns bewusst sein:
            ich meinen Arbeitsplatz in der  exiblen Welt selbst   Arbeit per se befriedigt Grundbedürfnisse und ist
            gestalten muss, dann ist das durchaus eine kog-  durchaus etwas Positives. Es geht nur darum, den
            nitive Herausforderung.“ Im Homeo ce kommt   richtigen Rahmen dafür zu scha en._
            auch hinzu, dass eine ausreichende Ergonomie des
            Arbeitsplatzes oder der Lichtverhältnisse nicht im
            selben Maß wie im Büro gegeben ist und dass man
            mit einer großen, manchmal einer zu großen Au-
            tonomie konfrontiert ist. Andererseits verbessert   3  aktuelle Herausforderungen
            es die Möglichkeiten von Work-Life-Balance und
            Zeitgestaltung. Ob wir im Homeo ce auch lang-  am Arbeitsmarkt
            fristig produktiver sind, lässt sich jetzt noch nicht   im Jahr 2023
            sagen. Wir müssen auf jeden Fall lernen, uns an
            selbstgemachte Regeln, beispielsweise zur Pausen-  #1 Der Arbeitskräftemangel erhöht den Druck auf Unternehmen,
                                                             ein bedarfsorientiertes Angebot bereitzustellen und bietet
            gestaltung, zu halten.                           Arbeitnehmer:innen mehr Auswahlmöglichkeiten.
                                                           #2 Wir befinden uns gerade in einem Erfahrungslernen nach
            Was wir insgesamt nicht vergessen dürfen: Nur etwa
            ein Viertel der Jobs sind jene, in denen Homeo ce   Corona. Also wie können Flexibilisierung und Digitalisierung
                                                              mit unserem Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Interaktion
            überhaupt möglich ist. Und hinzu kommt, dass wir   in Einklang gebracht werden?
            generell unsere Arbeitswelt durch eine sehr westli-
            che Brille sehen. Mitarbeitende einer Kleiderfabrik   #3 Das Thema KI steht erst am Beginn und könnte in manchen
            in Bangladesch würden der Aussage „Arbeit ist ins-  Bereichen, zum Beispiel der Pflege, zu einer völligen Ablöse
                                                              der menschlichen Fertigkeiten führen.
            gesamt nicht schlechter geworden“ wahrscheinlich
            wenig bis gar nicht zustimmen.


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