Page 121 - 2023_03_DIEMACHER

Wir sehen ein noch nie
dagewesenes abruptes Bremsen

am Immobilienmarkt.

Bernd Winter
Partner & Leiter Branchencenter
Immobilien, BDO

Investor:innen sind verunsichert, steigende Kosten Hand. Schon bei der Errichtung von Gebäuden
haben mehr Risikoaversion bei den Banken und sind Digitalisierung und der Einsatz intelligenter
weitere Konsequenzen zur Folge. Erreicht das Systeme ein zentrales Thema. Aber auch für die
Betongold seinen Schmelzpunkt? nachhaltige, effektive und günstige Bewirtschaft-
Bernd Winter: Developments rechnen sich für klas- ung von Büros. Wir reden hier von effizienter
sische Immobilienentwickler:innen immer schwie- Haustechnik, dem gezielten Einsatz von Sensoren
riger, da die Baukosten hoch bleiben, selbst wenn und energetisch sinnvollen Lösungen.
die Zinsen wieder sinken. Durch die neuen Kol-
lektivverträge ist der Faktor Arbeit allein heuer um An einem Tag sind selbst große Büros
zehn Prozent teurer geworden. Zwar pendeln sich überfüllt, an anderen Tagen herrscht dank
Ziehharmonika-Effekte, wie die „Rohstoffrallye“ Homeoffice gähnende Leere. Gibt es Lösungen
durch die Lieferkettenproblematik, wieder ein. Die für dieses Dilemma?
grundsätzlichen Gestehungskosten sind dennoch Bernd Winter: Auf der einen Seite gilt es mittler-
höher denn je, das Betongeld büßt also an Glanz weile als selbstverständlich, Homeoffice anzu-
ein. Wo weniger Immobilien entwickelt werden, ge- bieten. Auf der anderen Seite zeichnet sich der
hen lukrative Aufträge für Bauträger zurück und es Trend ab, den eigenen Mitarbeitenden attraktive
entsteht weniger Wohnraum. Allein die Stadt Wien Arbeitsplätze bieten zu wollen, obwohl man die
hat jährlich einen Zuzug von rund 20.000 Men- Büroflächen reduzieren könnte. Ich glaube, die
schen, bei lediglich rund 7.000 Baubewilligungen Mischung macht’s. Das Büro hat als gemeinsa-
jährlich entsteht zwangsläufig ein Ungleichgewicht. mer Arbeitsort nicht ausgedient, vielleicht sieht
es in Zukunft einfach nur anders aus – man ach-
Welche Unterstützung leistet die tet etwa mehr auf emotionale Bindung, Kreativi-
Beratung von BDO in Krisenzeiten? tät und Freiräume. Aber, wie auch das Wohnen,
Bernd Winter: Zum einen leisten wir Unterstüt- bleibt es ein Grundbedürfnis. Co-Working-Spa-
zung bei der Adaption der Geschäftsmodelle – da ces funktionieren zwar in einigen Bereichen,
gehen wir intensiv in die Beratung. Denn was in werden jedoch vermutlich nicht durchgängig die
Zeiten von niedrigen Zinsen noch funktioniert Lösung sein. Zumindest zeichnet sich hier kein
hat, tut dies in der jetzigen makroökonomischen eindeutig positiver Trend ab.
Phase vielleicht nicht mehr. Zum anderen ist na-
türlich der Stress, den die aktuelle Lage auslöst, Wie helfen Sie persönlich dabei, heute schon
durchaus spürbar. Wir sehen es als unsere Aufgabe, zu verstehen, wie wir morgen leben?
so gut wie möglich und vor allem auch mensch- Bernd Winter: Flexibilität und Anpassungsfähig-
lich zu unterstützen. Einfach da zu sein, Ansätze keit sind für mich zur Kernaufgabe eines guten
gemeinsam mit unseren Kund:innen zu erarbeiten Managements geworden, um Unternehmen dabei
und Wege aufzuzeigen, wie man eine Krise bewäl- zu helfen, sich rasch an ständig neue Gegeben-
tigen kann. Redimensionierungen der Volumina, heiten anzupassen. In den letzten Jahren ging es
die gebaut werden oder die auf den Markt kom- vom Regen in die Traufe – wir mussten etwa aus
men, Restrukturierungen sowie Freisetzungen von der Coronakrise lernen oder die Lieferkettenpro-
Personal sind sensible Themen, die eine Menge blematiken und steigenden Rohstoffpreise bewäl-
Fingerspitzengefühl verlangen. tigen. Diese eruptiven Ereignisse verlangen vor
allem eines: hohe Geschwindigkeit. Und die fle-
Neben der Digitalisierung hält auch die KI xiblen Betriebe und Unternehmer:innen, die sich
vermehrt Einzug in die Immobilienbranche. schnell an neue Situationen und ungewohntes
Ein Schreckgespenst oder Heilbringer? Terrain anpassen, haben mit Sicherheit die Nase
Bernd Winter: Dieser Zug ist gefühlt nicht zu vorn._
bremsen. Effizienz und Intelligenz gehen Hand in

121