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Text   Susanna Winkelhofer
              Foto   Antje Wolm



                Und das kann uns zur Verzweiflung bringen. Jedenfalls dann, wenn wir diesen neuen
                Boden mit alten Werkzeugen bearbeiten wollen. Philipp Maderthaner ist kein Landwirt.
                Aber diese neuen Bodenbeschaffenheiten interessieren ihn brennend. Für sich selbst
                als Unternehmer und als Mutmacher, der andere Menschen dazu bewegen möchte, das
                Beste aus sich und aus diesem Boden herauszuholen. Beim Blick aus dem Bürofenster
                seiner Agentur Campaigning Bureau im 21. Stock werfen wir einen Blick in die Zukunft:
                Was geht zu Ende, was entsteht und vor allem: Was können wir daraus machen?



            Wien Hauptbahnhof. 8.30 Uhr. Rolltreppen fah-  Heute in zehn Jahren. Wie wird das Bild
            ren auf und ab, Züge fahren ein, Menschen mit   der Arbeitswelt dann aussehen?
            Rucksäcken oder Taschen auf den Schultern strö-  Philipp Maderthaner: In den nächsten zehn Jahren
            men in alle Richtungen, sie kennen ihr Ziel, wis-  werden sich einige Dinge ändern. Es werden we-
            sen, wann sie wo sein müssen. Und dort kommen   niger Menschen ins Büro fahren, um das zu tun,
            sie dann auch an. Pünktlich.  Natürlich.  Abends   was sie tun wollen. Das hat zwei Gründe. Einer-
            dasselbe Bild, nur in die andere Richtung. Doch   seits werden Unternehmen flexibler in der Art
            was, wenn wir die Uhr vordrehen? Zehn Jahre.   und Weise, wie sie arbeiten. Andererseits bin ich
            Wie wird das Bild dann aussehen? Werden Men-  felsenfest davon überzeugt, dass es in den nächsten
            schen immer noch Nine-to-five-Jobs machen?   zehn Jahren ein Vielfaches an Selbstständigen ge-
            Werden sie in den Büros von großen Konzernen   ben wird im Vergleich zu heute. Das werden Leute
            ihre  Karriereleiter  hochklettern?  Werden  sie  30   sein, die so arbeiten, wie es ihnen taugt, und zwar
            Stunden arbeiten, vier Tage oder doch rund um die   dann, wann und wo sie wollen. Beide Entwicklun-
            Uhr? Wir wollen dieses Bild zeichnen – mit einem   gen werden in den nächsten Jahren eine massive
            Zukunftsdenker, mit einem Innovationsgeist, der   Rolle spielen und deswegen wird es am Bahnhof
            sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Philipp Ma-  noch immer geschäftiges  Treiben geben, aber es
            derthaner.                                  wird sich anders verteilen.

            Schon als kleines Kind war für den Unternehmer,   Wenn weniger Menschen ins Büro fahren,
            Speaker und Investor klar: Ich will auf einer Bühne   dann wird es wohl auch weniger Büros brauchen.
            stehen. Das Problem: „Ich war wirklich verzwei-  Nun sitzen wir hier aber in einem regelrechten
            felt, weil ich weder singen noch tanzen kann und   Büro-Palast – wird dieser dann in zehn
            ein Instrument kann ich auch nicht spielen.“ Und   Jahren leer stehen?
            dann  besucht  Maderthaner  ein  Seminar  seines   Philipp Maderthaner: Wenn du willst, dass die Leu-
            heutigen Mentors Manfred Winterheller. „Der ist   te zu dir ins Büro kommen, dann musst du ihnen
            vor Tausenden Menschen wie ein Rockstar aufge-  etwas bieten, das sie im Homeoffice nicht haben.
            treten. An dem Tag ist mir gedämmert, dass ich   Unser Büro ist eingerichtet wie ein tolles Hotel oder
            auf einer Bühne reden kann. Das hat mich verän-  ein schönes Zuhause, das inspiriert. So kann genau
            dert, seither habe ich den Traum weiterverfolgt.“   das entstehen, worum es geht: ein soziales Erleb-
            Er schiebt seine Brille nach oben und grinst. „Du   nis. Wir Menschen sind soziale Wesen. Seit Jahr-
            brauchst nur einen Menschen, der dir vorturnt,   tausenden versammeln wir uns um das Lagerfeuer.
            der dir Mut macht. Das bin ich auch gern für an-  Am Ende ist ein Büro nichts anderes als ein Lager-
            dere.“ Zum Beispiel am 15. April bei seinem ersten   feuer. Das Problem ist nur: Wenn ein Büro keine
            Tour-Event in der Grand Hall am Erste Campus   Wärme ausstrahlt wie ein Lagerfeuer, sondern nur
            in  Wien. Oder heute. Hier in seinem Büro im   Kälte, dann gibt es überhaupt keinen Grund, um
            21. Stock des  ICON-Tower  am  Wiener  Haupt-  dort hinzugehen. Wenn du glaubst, dass das Büro
            bahnhof. Wobei „Büro“ nicht ganz der Wahrheit   ein Ort ist, wo du Tische und Sessel aufstellst, wirst
            entspricht. Der Empfang sieht aus wie die Lobby   du damit keine Leute anziehen.
            eines Designhotels, gleich dahinter eine Bar, die
            Wochenend- und ganz sicher kein Montagmor-  Hinzu kommt, dass die Anzahl der Menschen,
            gen-Feeling aufkommen lässt. Der Meetingraum?   die überhaupt angezogen werden können, sinkt.
            Keine  Chance,  kann  man  nicht  beschreiben,   Es wird weniger Menschen geben, die arbeiten.
            muss  man  erleben.  Und  am  anderen  Ende?  Da   Was bedeutet das für die Unternehmen?
            ist ein Dschungel.  Willkommen im New-Work-   Philipp Maderthaner: Da gibt es ein paar völlig
            Himmel.                                     verrückte Zahlen. Der Jahrgang, der jetzt in


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