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Start-up, welches das Girokonto revolu- muss sich Fehler eingestehen – es kann bei Intelligent Motion nie Geheimnisse
tionieren wollte, Schluss. niemand anderer einen Fehler gemacht gegeben. „Der Vorstandsvorsitzende hat
haben als man selbst“, sagt Barth und uns oft besucht, er kannte unsere Zahlen
Aber keiner der drei ehemaligen Grün- nennt als einen Fehler, sich zu spät mit und Schwierigkeiten. Zum Schluss gab es
der bereut den Ausflug in das Unterneh- der Investorensuche beschäftigt zu ha- noch eine offene Diskussion, ob wir kurz-
mertum. „Ich habe alle meine bisheri- ben. „Als Geschäftsführer eines jungen fristig noch Finanzmittel in ausreichender
gen Jobs geliebt, aber so viel Spaß und Unternehmens muss man die Balan- Höhe aufstellen können oder den Weg der
Erfüllung wie ich in der Selbstständig- ce zwischen der Produktentwicklung Insolvenz wählen“, so Barth. Wenn man
keit hatte, wird wahrscheinlich schwer und den Themen wie Finanzierung und zu lange mit dem Insolvenzantrag war-
wieder zu erreichen sein“, so Barth. Am Vertrieb finden.“ Wenn man vor dem tet, kommt man in die Geschäftsführer-
Anfang haben ihm viele Branchenkenner Unternehmensaus steht, raten die ehe- haftung und es geht schnell um privates
prophezeit, dass er wegen der schwieri- maligen Gründer zu raschem Handeln Vermögen. Dazu Seher: „Wir haben uns
gen Zulassungen in der Medizintechnik und Offenheit. Gegenüber Mitarbeitern früh mit Experten für Insolvenzrecht zu-
scheitern würde – aber diese habe man und Miteigentümern – darunter der Au- sammengesetzt – wenn der Worst-Case
schneller bekommen als gedacht. Man tomatisierungsspezialist Keba– habe es eintritt, muss man wissen, was zu tun ist.“
kann laut Lukesch auch nicht alles vo-
raussehen, muss stellenweise einfach
ins kalte Wasser springen. „Wenn man
persönlich kein Risiko eingehen will und
kann, soll man kein Unternehmen grün- „Die Kehrseite der
den“, so Lukesch. Barth bezeichnet sich Medaille unserer relativ
selbst als „nicht unbedingt ängstlichen hohen Überlebensraten
Menschen“. Vorm Risiko zu scheitern, sei bei Firmengründungen
man nirgends gefeilt: „Wenn man bei ei- sind viele vergebene
nem Unternehmen angestellt ist und die- Chancen – viele gründen
ses muss Insolvenz anmelden, steht man wegen der hohen
auch vor der Frage, wie es weitergeht.“ Risikoscheu gar nicht.“
Michael Strugl
Vergebene Chancen OÖ Wirtschafts-Landesrat
Michael Strugl, VP-Wirtschafts-Landes-
rat, wünscht sich diese Einstellung noch
bei viel mehr Menschen: „Unternehmer-
tum heißt Risiko eingehen.“ Viele würden KULTUR DES SCHEITERNS
wegen der hohen Risikoscheu kein Un-
ternehmen gründen und damit Chancen In Österreich wird seit Jahren die fehlende Kultur des Scheiterns beklagt. „Es
vergeben. Strugl nennt die USA, Israel ist kontraproduktiv, wenn die Gesellschaft mit gescheiterten Unternehmens-
und Berlin, wo sich start-up-mäßig sehr ideen so destruktiv umgeht“, fordert Michael Strugl, VP-Wirtschafts-Landes-
viel tue. Dort überall werde gesellschaft- rat, ein Umdenken in der heimischen Gesellschaft.
lich lockerer mit dem Scheitern umge-
gangen. Ein wesentlicher Grund dafür sei In Ländern mit anderem Umgang mit dem Unternehmensrisiko gebe es
die hohe Anzahl von Venture Capital-Ge- eine viel größere Dynamik bei den Unternehmensgründungen, wie etwa
bern. In Österreich beginne sich erst jetzt in den USA und in Israel. Dort werden jährlich 7.000 Start-ups gegründet,
zaghaft eine Szene zu entwickeln (nähe- wovon 6.000 scheitern und trotzdem sei Israel einer der weltweit besten
res zur Venture Capital-Szene in Öster- Nährböden für Start-ups. Israel ist das Land mit den zweitmeisten Unter-
reich auf Seite 64) und diese ist für Strugl nehmen an der Technologiebörse Nasdaq.
auch der wesentliche Erfolgsschlüssel
für mehr Unternehmensgründungen. Zum Vergleich: In Oberösterreich werden jährlich 4.500 Unternehmen
gegründet, davon überleben rund zwei Drittel. Damit gebe es eine relativ
Das Umfeld von Seher, Lukesch und hohe Überlebensrate. „Die Kehrseite der Medaille unserer relativ hohen
Barth hat verständnisvoll reagiert. Posi- Überlebensrate bei Firmengründungen sind viele vergebene Chancen“, so
tive Reaktionen von Geschäftspartnern Strugl, der durch die oberösterreichische Gründerstrategie eine massive
und Kunden hätten gezeigt, dass man Steigerung bei den Unternehmensgründungen in Oberösterreich erreichen
doch nicht alles falsch gemacht hat. möchte. Bis zum Jahr 2020 sollen die Gründungen auf insgesamt 5.000
Dafür sei wichtig, dass man sich aus- gesteigert werden. Besonders die Zahl der aktuell rund 1.000 wissens- und
reichend Zeit nehme und den Leuten technologiebasierten Gründungen soll signifikant steigen. Damit werde
erkläre, was passiert ist, sagt Barth. Er auch die Zahl der gescheiterten Unternehmen steigen und daher sei eine
unterstützt jetzt auch andere Start-up- Kultur des Scheiterns in Österreich auch so wichtig. „Ich wünsche mir, dass
Gründer und erzählt seine Geschichte möglichst wenige Unternehmer scheitern, aber das gehört zum Unterneh-
bei Veranstaltungen, um Gründern Mut mertum dazu“, sagt Strugl. Ein ausgewogenes Verhältnis von 50 Prozent
zu machen. Um die Fragen von anderen gescheiterten und 50 Prozent überlebenden Unternehmen wäre für Oberös-
richtig beantworten zu können, müsse terreich ein sehr gesundes Verhältnis.
man aber für sich selbst aufarbeiten,
was genau schiefgegangen ist. „Man
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