Page 120 - DIE MACHER_Fruehling 2024
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das, was jedes  eater macht, sondern dass wir die
                                      Das Publikum ist ein            ganze Breite des Spektrums, was im Musical mög-
                                   Wesen, das man eigentlich          lich ist, zeigen. Damit sind wir ganz gut gefahren.
                                       nie verstehen wird.
                                                                      Muss ein Musical nicht nur unterhalten,
                                            Arne Beeker               sondern auch zum Nachdenken anregen?
                                           Dramaturg und              Arne Beeker: Es gibt natürlich Sto e, die wirklich
                                        Produktionsleiter Musical,    reine Unterhaltung sind und die unheimlich gut
                                          Landestheater Linz
                                                                      sind. Ich würde zum Beispiel „Tootsie“ in diese Ka-
                                                                      tegorie setzen, oder auch „School of Rock“. Wobei
                                                                      es auch dabei Botschaften gibt, die zum Nachden-
                                                                      ken anregen können – natürlich nie mit dem Holz-
                                                                      hammer. Wir haben Stücke wie „Natascha und Pi-
                                                                      erre“ gemacht, die sind wirklich Avantgardestücke,
                                                                      aber wir haben eben auch Stücke wie „School of
                                                                      Rock“ produziert, die  sehr volksnah  sind. Dafür
                                                                      muss man sich überhaupt nicht schämen, denn wir
                                                                      führen damit auch eine Generation ans  eater he-
                                                                      ran, die vielleicht ansonsten eher doch bei TikTok
                                                                      und Co. hängenbleiben würde.
                                                                      Was hält dich in Linz?
                                                                      Arne Beeker: Vor allen Dingen natürlich die Mög-
                                                                      lichkeit, hier diese Art von  eater zu machen.
                                                                      Denn die gibt es im gesamten deutschsprachigen
                                                                      Raum in der Art, wie wir das machen, überhaupt
                                                                      nicht. Natürlich könnte man meinen: Ach, wär das
                    Arne Beeker im Interview mit Susanna Winkelhofer im Foyer des Linzer Musiktheaters.  schön, bei den Vereinigten Bühnen Wien zu sein.
                                                                      Aber wenn man dann bedenkt, dass man ein, zwei
                                                                      Stücke pro Jahr macht, die dann 300-mal gespielt
          #Gedankensprung                                             werden müssen, und jedes Mal muss das  eater
                                                                      voll sein, dann ist das irgendwie nicht interessant.
                                                                      Da fallen gleich mal 1.000 Stücke raus, die man
                                                                      gerne machen möchte, die aber für diesen Zweck
          mit Arne Beeker                                             nicht geeignet sind. Im Musicalbereich gibt es
                                                                      nichts wie hier in Linz. Und dann fühle ich mich
          Dieses Musical hat mein Leben verändert_„Sweeney Todd“      auch wohl hier. Linz ist eine Industriestadt, die den
          von Stephen Sondheim. Das war das allererste Musical, das   Sprung zur Kulturstadt gescha t hat. Ich komme
          ich am Broadway gesehen habe – vor ungefähr 30 Jahren.
                                                                      aus dem Ruhrgebiet, das ist dort ähnlich. Und ich
                                                                      mag die Menschen hier, ich mag die ganze Stadt.
          Linz ist anders, weil_es eine gemütliche Stadt ist, vor
          allem deshalb, weil die Menschen hier ein bisschen anders   In der Coronakrise habe ich dann sogar zu wan-
          drauf sind. Und das gefällt mir gut. Ich war früher ein     dern begonnen, das hab ich davor nie gemacht –
          Großstadtmensch, habe lange in Köln gelebt, und inzwischen   auch etwas Schönes, das mir Linz beigebracht hat.
          merke ich, dass mich Großstädte immer mehr anstrengen.
                                                                      Worauf achtest du, wenn ihr Künstler:innen
          Das mache ich mit negativer Kritik_Zuerst muss ich          für euer Ensemble auswählt?
          schlucken. Aber dann versuche ich natürlich herauszufinden,   Arne Beeker: Es ist natürlich ein Unterschied, ob
          ob an der Kritik wirklich etwas dran ist oder ob ich es     das jemand für eine Gastposition oder für das  xe
          eigentlich besser weiß.
                                                                      Ensemble ist. Das sind mittlerweile zwölf Perso-
                                                                      nen.  Wir haben gemerkt, dass sich diese Größe
          Mein Appell an Kritiker:innen_Habt keine Vorurteile
          gegenüber einem Genre. Ich lese immer noch die Kritik,      eines  xen Ensembles durchaus auszahlt – sowohl
          dass das ein ungewöhnlicher Stoff für ein Musical sei. Nach   künstlerisch als auch monetär. Für dieses  xe En-
          elf Jahren sollten die Kritiker:innen zumindest hier in Linz   semble ist es unheimlich wichtig, dass die Leute
          langsam gelernt haben, dass man aus fast jedem Stoff ein    sowohl singen,  spielen als  auch tanzen  können.
          Musical machen kann – wenn man es richtig angeht. Und       Und das möglichst in mehreren Sparten. Sie müs-
          bitte sagt nie mehr, da sei kein Ohrwurm drin, das nervt.   sen sowohl das klassische  Musical als auch Pop-
                                                                      musicals beherrschen. Wir kennen so viele Musi-
          Musicals werden in 20 Jahren_noch mehr auch in den          caldarsteller:innen, haben Tausende gecastet – so
          städtischen Theatern dominieren.
                                                                      viele bleiben dann gar nicht übrig, die man haben
                                                                      möchte. Und dann sollen sie natürlich auch noch
          TikTok und Co. werden die Theaterbühne also nicht
          ersetzen?_Ich hoffe nicht. Aber zu 100 Prozent kann ich das   ensemblefähig sein, weil es extrem anstrengend sein
          natürlich nicht sagen. Es ist sicherlich eine große Aufgabe,   kann, wenn es da Kon ikte im Ensemble gibt. Ich
          ein junges Publikum für Theater zu begeistern.              glaube, dafür haben wir mittlerweile einen Blick._


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