93
#2
„Forschung ist ein Rätsel
mit mehreren Lösungen“
Zwei Karrierewege, die wohl kaum unterschiedlicher sein könnten. Aber: Bekanntlich führen ja
alle Wege nach Rom – oder eben in die Forschung. Verena Geist hat eine sehr direkte Linie ver-
folgt und wurde 2012 sogar vom damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer mit der höchsten
Studienauszeichnung des Landes, der „Promotio sub auspiciis Praesidentis rei publicae“, geehrt.
Volkmar Wieser hingegen … Nun ja, sein Weg war nicht weniger erfolgreich, aber sagen wir mal
so: Er hat es doch ganz anders gemacht. Die beiden Forscher vom Software Competence Cen-
ter Hagenberg (SCCH) plaudern über ihren Werdegang und erklären, was einen guten Forscher
auszeichnet.
Wie kann man sich den Berufsalltag eines
Forschers vorstellen?
GEIST
_Einen Alltag gibt es bei uns eigentlich
kaum, weil unsere Aufgaben so vielfältig sind. Die
Themen sind sehr schnelllebig und das Bestehende
muss immer wieder hinterfragt werden. Ganz all-
gemein gesprochen, besteht der Arbeitsalltag aber
aus viel Computerarbeit und Kommunikation.
WIESER
_Dem kann ich mich nur anschließen.
Man wird immer wieder mit neuen Ideen von
sehr interessanten Personen konfrontiert oder
kann eigene Ideen umsetzen. Ein Forscher hat
also ein sehr dynamisches Umfeld. Wesentliche
Bestandteile sind eigene Ideen niederschreiben,
dokumentieren und präsentieren.
Wie würden Sie einem sechsjährigen Kind
Ihren Beruf beschreiben?
GEIST
_An uns wenden sich Personen, die neue
Ideen haben, wie sie Aufgaben in ihrer Firma ein-
facher, besser und schneller erledigen können.
Daraufhin führen wir Gespräche miteinander,
denken scharf nach, machen Vorschläge und ver-
suchen gemeinsam, eine Lösung zu finden. Das
ist eigentlich wie ein ganz kniffliges Rätsel – nur
mit mehreren Lösungswegen.
WIESER
_Ich würde einen bildlichen Ansatz ver-
suchen: Ich möchte für mein Modell-Segelboot
ein neues Segel, da mir das aktuelle zu langsam
ist. Die Segel, die man kaufen kann, machen
das Boot aber nicht schneller. Nachdem ich aber
weiß, dass Insekten sehr schnell fliegen können,
entwickle ich mir mehrere Segel, die unterschied-
lichen Insektenflügeln ähneln. Zum Schluss muss
ich bei verschiedenen Wetterbedingungen testen,
welches der Segel am schnellsten ist – und hof-
fentlich ist dieses dann schneller als das bisherige.
Was ist die größte Herausforderung in
Ihrem täglichen Schaffen?
GEIST
_Aus der Fülle an wissenschaftlichen The-
men auf einem Gebiet das richtige „herauszu-
spüren“, also eine Sensibilität für die aktuellen
wissenschaftlichen Herausforderungen zu haben.
WIESER
_Unsere Zeit ist von permanentem Wan-
del geprägt. Und wir müssen dabei immer einen
Schritt voraus sein, das ist wirklich fordernd.
Welches Ihrer aktuellen
Forschungsprojekte ist das spannendste?
GEIST
_Das Forschungsprojekt mit dem krypti-
schen Namen KnoP-2D. Wir wollen Wissen aus
den Köpfen der Menschen in ein Softwaresystem
übertragen, um dieses Wissen automatisch für spä-
tere Prozesse nutzen zu können. Konkret wollen
wir das durch die Einführung eines semantischen
Wissensmanagements mit Prinzipien aus dem
Geschäftsprozessmanagement umsetzen. Künstli-
che Intelligenz spielt hier eine wesentliche Rolle.
WIESER
_Wir haben gerade die Bestätigung für
die Förderung des EU-Projektes Teaming.AI be-
kommen, bei dem das SCCH auch die Koordi-
nation übernehmen wird. Es geht dabei darum,
den Menschen beim Umgang mit KI-Systemen
in den Mittelpunkt zu stellen. Das heißt, der
Mensch soll der Maschine etwas beibringen und
nicht umgekehrt. Die Vermischung von sozialen
Aspekten mit intelligenten Technologien wird in
Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Unser Ziel
ist es, die Akzeptanz gegenüber solchen Systemen
zu erhöhen, indem wir zeigen, dass KI den Men-
schen unterstützt und nicht ersetzt.
Frau Geist, Sie beschäftigen sich intensiv
mit formalen Grundlagen der Modellierung
von Geschäftsprozessen. Welche
Verbesserungspotentiale werden bei der
Modellierung am häufigsten sichtbar?
GEIST
_Bei der Modellierung wird implizites Pro-
zesswissen explizit sichtbar gemacht. Dadurch